Auf einer improvisierten Bühne wird "Hamlet" gegebeben, das Sommertheater nimmt sich nicht ganz ernst: So wird die Königin von einem Mann dargestellt. 8 min
Das Stück der Stücke auf der Sommertheaterbühne am e-werk: Das DNT Weimar präsentiert: "Hamlet, Prinz von Dänemark".
Auf dem Bild:
Johannes Winde (Musiker), Janus Torp (Schauspielkönigin), Christian Bayer (Schauspielkönig), Laurie Gibson (Hofdame)
Bildrechte: Candy Welz
8 min

Das Deutsche Nationaltheater in Weimar inszeniert "Hamlet" als Sommertheater. Ob eine Tragödie über den größten Selbstzweifler aller Zeiten sommerliches Unterhaltungstheater sein kann, verrät Stefan Petraschewsky.

MDR KULTUR - Das Radio Di 30.07.2024 12:10Uhr 08:17 min

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Sommertheater in Weimar Hamlet auf der Baustelle

29. Juli 2024, 17:09 Uhr

Am Deutschen Nationaltheater in Weimar beginnt die letzte Spielzeit von Generalintendant Hasko Weber. Für Hausregisseur Jan Neumann, der von Anfang an, seit 2013, mit dabei war, ist deswegen große Klassikerdämmerung angesagt. Im Dezember wird er Goethes "Faust I" auf die Bühne bringen. Zum Saisonauftakt hat er "Hamlet" für das Sommertheater inszeniert. Kann eine Tragödie über den größten Selbstzweifler aller Zeiten mit sechs toten Hauptfiguren sommerliches Unterhaltungstheater sein?

Das DNT Weimar zeigt im Sommertheater "Hamlet, Prinz von Dänemark" von William Shakespeare. Sommertheater und Tragödie – das muss kein Widerspruch sein. Es kann sich sogar gut verbinden. Und obendrein den ganzen Theaterkosmos zeigen.

Am Ende ist die Inszenierung hier eine Art Gesamtkunstwerk aller Gewerke, die es am Theater gibt: vor und hinter den Kulissen. Und alle Gewerke stellen sich dem Publikum vor, so wie sie sind. Ästhetisch könnte man also von Brutalismus sprechen, von französisch "brut", übersetzt: roh, grob, ehrlich. Spielort ist die Außenanlage des sogenannten E-Werks: eine gründerzeitliche, sehr in die Jahre gekommene Fabrikhalle, die seit Jahren Zweitspielstätte des Theaters ist.

E-Werk Weimar: (K)ein Bühnenbild mit Baustellen-Optik

Auf einem Teil des Vorplatzes ist eine Zuschauertribüne aufgebaut, die an das originale Globe Theatre von Shakespeare in London erinnert, sich aber in radikaler Baustellenoptik gibt. Der andere Teil des Platzes ist Bühne: Schotter, Beton und Pfütze, rechts ein Bagger und ein Erdhaufen, links ein betagter Campinganhänger mit Vorzelt. Dahinter wird's schöner: Wiese, Bäume, Bachsaum. Die Bühne von Oliver Helf zeigt hinten Natur und davor eine desolate Industrielandschaft. Gefühlt ist es ein Bühnenbild bis zum Horizont. Vor allem aber eine Behauptung, denn im Grunde ist ein Bühnenbild gar nicht da. Es ist der Ort, so wie er ist. Ein Unort auch. Sommertheater in Weimar – das ist also keine schöne Vorstellung von etwas, keine Utopie – sondern eine Dystopie, ein Endzeitdrama. Unser Endzeitdrama?

Sommertheater in Weimar: Nahuel Häflinger spielt Hamlet und spielt Gitarre in einer Pfütze tanzend
Im Sommertheater des DNT Weimar spielt Nahuel Häflinger den "Hamlet" und zeigt eine große schauspielerische Leistung, betont Kritiker Stefan Petraschewsky. Bildrechte: Candy Welz

Im Hamlet-Finale sind sechs von sieben Protagonisten tot

Das Stück selbst ist mit Pause drei kurzweilige Stunden lang. Die Handlung ist präsent und wird "brut" – brutal – dargeboten. Im Zentrum steht Hamlet. Sein Vater, der König von Dänemark, ist gerade gestorben. Die Mutter heiratet den Onkel, der neuer König ist. Und dann erscheint der Geist des Vaters vor Hamlet und behauptet, er sei vom Bruder ermordet worden. Das ist die Startposition für Hamlet. Es ist etwas faul im Staate Dänemark. Hamlet will die Wahrheit herausfinden. Er spielt verrückt und wird es vielleicht auch: Sein oder Nichtsein. Seine Freundin Ophelia wird wirklich verrückt, weil Hamlet sich von ihr trennt und aus Versehen ihren Vater umbringt. Schließlich bringt Ophelia sich selber um. Im großen Finale sind sechs von sieben Hauptpersonen tot. Der einzig Überlebende bleibt, um die Geschichte der Nachwelt zu überliefern.

Besser kann Sommertheater nicht sein.

Theaterkritiker Stefan Petraschewsky über "Hamlet" am DNT Weimar

Man sieht den "Hamlet", den ein Sommertheaterpublikum hier auch entdecken kann, in einer originalen Form in der klassischen Schlegel-Übersetzung. Und die Inszenierung beweist: Endzeitdrama und Unterhaltungstheater muss kein Widerspruch sein. Das Drama kann sogar noch durch die betont unterhaltsame, spielerische Art gewinnen. Besser kann Sommertheater nicht sein.

Auf der Bühne des Sommertheaters ist ein Bagger zu sehen - so stellt die "Hamlet"-Inszenierung die berühmte Totengräber-Szene dar.
Die berühmte Totengräber-Szene in Shakespeares "Hamlet": In Weimar wird sie mit einem Bagger dargestellt. Im Bild zu sehen: Christian Bayer (der Andere), Krunoslav Šebrek (Totengräber) Bildrechte: Candy Welz

"Olsenbande"-Kostüme und politische Dystopie

Die Schauspieler und auch das Personal, das hinter den Kulissen agiert, kommen zum Stückbeginn mit Mofas und Autos angefahren. In Anhängern bringen sie Requisiten, Garderoben, Schminktische mit – und auch einen Campinganhänger mit Vorzelt, unter dem die Bühnentechniker Pause machen werden, bevor sie die nächste Szene einrichten. Willkommen in der mobilen Welt. Die Botschaft: Überall ist etwas faul. Die mobile Welt ist auch eine Welt ohne Heimat und Identität. Der Mensch ist Migrant und immer auf der Flucht.

Die Kostüme von Nini von Selzam passen zu diesem Regiekonzept und wirken wie aus dem Fundus. Zum Beispiel, wenn Rosencrantz, Güldenstern und Hamlets Mutter dänisch auftreten wie Egon, Benny und Yvonne aus der Olsenbande. Eine zweite Interpretationsebene tut sich hier auf: Das deutsche Stadttheater ist am Ende; es wird nichts mehr genäht, es wird nichts mehr gebaut; wir nehmen das, was noch da ist – das war's dann! Auch eine Dystopie, die mit den politischen Positionen vor der Landtagswahl spielt: Was wäre, wenn?!

"Hamlet" in Weimar: Zwei Schauspieler, verkleidet als Laertes und Ophelia, sitzen auf dem Kotflügel eines Autos
"Hamlet" auf der Außenanlage des E-Werks: eine in die Jahre gekommene Fabrikhalle, die seit Jahren Zweitspielstätte des Theaters ist. Im Bild: Janus Torp (Laertes), Dascha Trautwein (Ophelia) Bildrechte: Candy Welz
Christian Bayer (Reynaldo), Krunoslav Šebrek (Polonius) 2 min
Bildrechte: Candy Welz
2 min

Das DNT Weimar inszeniert "Hamlet" für das Sommertheater als unterhaltsames Endzeitdrama – mit Baustellen-Optik, Dixi-Klo und Bagger. Dabei spielen alle Theater-Gewerke mit. Ein Bericht von Sophie Hartmann.

MDR KULTUR - Das Radio So 28.07.2024 13:41Uhr 02:01 min

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Demokratieverdrossene Menschen folgen dem "Rattenfänger"

Stark wirkt auch der Akzent auf einem "Hamlet"-Textteil, der ansonsten gern gestrichen wird. In diesem Handlungsstrang geht es um eine Fehde zwischen Dänemark und Norwegen, um ureigene territoriale Ansprüche, die Norwegen angeblich an Dänemark hat und sich deswegen zum Krieg hochrüstet. Und weil sich die beiden in letzter Sekunde doch noch diplomatisch einigen, muss eben Polen dran glauben und wird erfolgreich annektiert. Um diese Ebene zu bedienen, kommen heutige Soldaten ins Spiel. Ganz zum Schluss kommt der neue norwegische König – fast noch ein Kind – im Pelzmantel im gepanzerten Jeep auf die Bühne. Die Menschen, demokratieverdrossen, laufen dem Rattenfänger und Warlord hinterher.

Zwei Schauspieler auf der Wiese: der eine kniet, der andere hat ist in ein weißes Tuch gehüllt: Hamlet erscheint der ermordete Vater als Geist
Hamlets Vater, der König von Dänemark, ist gestorben. Sein Geist erscheint Hamlet und behauptet, er sei von seinem Bruder ermordet worden. Im Bild: Marcus Horn (Geist), Nahuel Häfliger (Hamlet) Bildrechte: Candy Welz

"Hamlet" in Weimar: schauspielerisch ganz großes Kino

Schauspielerisch ist der "Hamlet" großes Kino. Nahuel Häfliger, der den Hamlet spielt, gelingt es, den Text samt Rhythmus und Pausen so aus sich herausfließen zu lassen, dass man denkt, er sei in diesem Moment entstanden. Krunoslav Šebrek, der Polonius und auch den Totengräber spielt und dabei ganz professionell den Bagger fährt, spielt auch in dieser Topliga. Ebenso Sebastian Kowski als Hamlets Mutter, weil er sich nicht auf die Rolle setzt oder gar versucht, eine Frauenstimme nachzumachen. Es legt seine Figur sparsam und genau und damit sehr glaubwürdig an.

Fast alle anderen agieren knapp unter Augenhöhe – zwei Schauspieler fallen ab: Marcus Horn als König Claudius, der sich in seinem Monolog nicht frei spielen kann, Rosa Falkenhagen als Horatio bleibt eindimensional. Noch ein Wermutstropfen: Dascha Trautwein als Ophelia, die ihre Rolle gut spielt. Aber Regisseur Neumann hat für sie keine Szene, in der sie ihre starke Seite der Rolle zeigen kann, die sie andeutet, hinten am Bach, als sie Bruder Laertes umarmt, erstmals nach dem Tod des Vaters.

Quelle: Stefan Petraschewsky (MDR KULTUR)
Redaktionelle Bearbeitung: jb

Informationen zur Inszenierung (zum Aufklappen)

"Hamlet, Prinz von Dänemark" von William Shakespeare

Sommertheater des Deutschen Nationaltheaters Weimar
Spielort: E-Werk Weimar

Regie: Jan Neumann
Es spielen: Nahuel Häfliger, Marcus Horn, Sebastian Kowski, Dascha Trautwein, Christian Bayer, Krunoslav Šebrek, Janus Torp, Rosa Falkenhagen, Nicolai Šebrek

Termine:
Di 30.07.2024 // 19.00 Uhr
Mi 31.07.2024 // 19.00 Uhr
Do 01.08.2024 // 19.00 Uhr
Sa 03.08.2024 // 19.00 Uhr
So 04.08.2024 // 19.00 Uhr
Di 06.08.2024 // 19.00 Uhr)
Weitere Termine entnehmen Sie der Website des DNT Weimar

Szene aus der Hamlet-Inszenierung: Zwei Schauspieler sitzen auf einer Bank, der eine liest die Zeitung.
Polonius und Reynaldo treten wie zwei Agenten auf. Die "Hamlet"-Inszenierung thematisiert aktuelle politische Themen wie Annektion und Wahlergebnisse. Im Bild: Christian Bayer (Reynaldo), Krunoslav Šebrek (Polonius) Bildrechte: Candy Welz

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Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 30. Juli 2024 | 12:10 Uhr

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