Buntes beschädigtes Kirchenfenster wird von einer Person gehalten.
Die Kirchenfenster aus der St. Wigberti Kirche in Bilzingsleben sind nach 25 Jahren wieder aufgetaucht. Bildrechte: privat

Nach 25 Jahren Das Osterwunder von Bilzingsleben - Verschwundene Kirchenfenster wieder da

22. April 2025, 08:00 Uhr

Rund 25 Jahre musste die Kirche St. Wigberti in Bilzingsleben im Landkreis Sömmerda ohne ihre schönsten Fenster auskommen. Sie gehören zum Chorraum der Kirche, der einst angebaut aber schlecht gegründet wurde. Ähnlich schlecht waren die Prognosen, akute Einsturzgefahr bescheinigten Fachleute, die Fenster mussten raus und verschwanden. Bis jetzt.

Rund zwanzig Zentimeter war der Anbau über Jahrzehnte abgesackt. In die Risse der St. Wigberti Kirche von Bilzingsleben konnte man schon die Hand reinstecken, die Stürze oberhalb der rahmenlosen Bleiglasfenster drohten, die historischen Gläser zu zerdrücken.

Pfarrer Jens Bechtloff zeigt 2018 Risse im Mauerwerk der evangelischen Dorfkirche St. Wigberti
Pfarrer Jens Bechtloff zeigt noch im Jahr 2018 die breiten Risse im Mauerwerk der evangelischen Dorfkirche. Bildrechte: IMAGO / Steve Bauerschmidt

Das war Ende der 1990er-Jahre. Eilig wurden die Fenster ausgebaut und eingelagert, aber wo? Diese Frage stellte sich leider erst ein Vierteljahrhundert später, als die Rettung des Chorraums so weit gelungen war, dass die Fenster wieder hätten zurückkehren können. Doch es war niemand mehr da, der sich an irgendetwas Hilfreiches erinnern konnte.

So machten im Dorf Gerüchte die Runde, dass die wohl jemand zu Geld gemacht habe. Man verdächtigte sich gegenseitig und auch längst Verstorbene, die sich gar nicht mehr wehren konnten. Irmtraut Thiele vom Frauenkreis hatte schließlich die Nase voll und meldete sich bei MDR THÜRINGEN mit der Bitte, einen Aufruf zu starten im Radio.

Irgendjemand muss doch Kisten in der Scheune haben, die unbeachtet vollstauben. Und allzu klein dürften sie auch nicht sein. Jeder der drei Fensterbereiche war mehr als vier Meter hoch und bestand aus zwei parallelen, schlanken Bleiglaselementen und darüber thronte ein rundes Oberlicht mit jeweils einem streng blickenden Herrn.

Buntes beschädigtes Kirchenfenster wird von einer Person gehalten.
Eines der drei Oberlichter. Bildrechte: privat

Keine Unterlagen, Firmen aufgelöst, keine Zeugen

Nun steht die Kirche von Bilzingsleben in Deutschland. Keine Frage also, dass es Papiere gegeben hat und Akten nebst Aktenzeichen. Doch nichts dergleichen war auffindbar. Zur Ehrenrettung aller Beteiligten sei angemerkt, dass in den vergangenen Jahrzehnten die Kirchenkreise immer mal wieder umstrukturiert und Zuständigkeiten verschoben wurden, nebst alter Ordner.

Nahezu alle Mitarbeiter in den Büros sind kürzere Zeit im Amt als die Fenster verschwunden. Und das Finanzamt wünscht sich bekanntlich nur, dass Unterlagen zehn Jahre aufbewahrt werden, nicht 25. Trotzdem fand sich ein einziger kleiner Hinweis auf Papier und zwar bei Nikola Falkenberg, der Kirchbaureferentin im Kreiskirchenamt Sangerhausen.

Es war das Angebot der Brandenburger Zweigstelle einer hessischen Firma. Es lautete auf "Ausbau, Verschließen, Überarbeitung der Konstruktion und Einbau" von drei Kirchenfenstern in Bilzingsleben. Das Datum des Angebots: 10. März 1999, unterschrieben von einem Herrn M.

Evangelische Dorfkirche St. Wigberti, 2018
Die evangelische Dorfkirche St. Wigberti in Bilzingsleben noch vor ihrer Sanierung. Bildrechte: IMAGO / Steve Bauerschmidt

Zu diesem Datum passten auch zwei datierte Fotos des Chorraums, die es im Dorf noch gibt: Im Dezember 1998 waren die Fenster noch drin, im Dezember 2003 nicht mehr. Irgendwann dazwischen müssen sie also ausgebaut worden sein. Aber ob von der Brandenburger Firma – unklar.

Das Problem: Die hessische Firma hat ihre Brandenburger Zweigstelle schon vor Jahren aufgelöst, einen Eigentümerwechsel später sind auch in der Mutterfirma keine Unterlagen mehr zu finden. Herauszubekommen war nur: Herr M., also der Mann, dessen Unterschrift das Angebot trägt, hat das Geschäft in Brandenburg noch eine kurze Zeit weiterbetrieben. Dann verschwand er so spurlos wie die Fenster.

Er hinterließ einiges an Schulden, erzählt man sich im Dorf, und tonnenweise Glas auf dem ehemaligen Firmengrundstück, das mittlerweile Messie-Formen angenommen hat. 2018 wurde das Grundstück schließlich verkauft.

Evangelische Dorfkirche St. Wigberti, 2018
Die Kirche macht von außen einen stabileren Eindruck als von innen. Bildrechte: IMAGO / Steve Bauerschmidt

Wurden die Kirchenfenster versteigert?

Zunächst mussten also die neuen Grundstückseigentümer gefunden werden und bestenfalls auch ehemalige Mitarbeiter der Firma. Die Anlaufpunkte waren typisch für Recherchen dieser Art: Gemeinderäte, Vereine, Ortsteilbürgermeister – der Kontakt zu den neuen Eigentümern war schnell hergestellt und dann auch der zu einem ehemaligen Mitarbeiter der Brandenburger Firma.

Er erinnerte sich, dass jahrelang ein paar Kisten herumstanden, die keiner haben wollte. Denn im Normalfall kehren Kirchenfenster nach der Sanierung zügig zurück. Wir finden den Hinweis auf eine Versteigerung und einen Auktionator.

So ein paar runde Kirchenfenster könnten dabei gewesen sein, erinnert er sich vage, doch der Auktionskatalog 2018 war nur digital, die Software verwendet heute niemand mehr und eventuelle Fotos vergilben auf einer alten Festplatte.

Buntes beschädigtes Kirchenfenster wird von einer Person gehalten.
Aufnahme eines der drei Kirchenfenster, die bei der Versteigerung niemand haben wollte. Bildrechte: privat

Doch wir haben Glück, die Platte läuft noch und die Fotos sind besser als die vor 25 Jahren geknipsten. Für die Identifizierung brauchte es keinen Sachverständigen. Abgebildet sind tatsächlich die drei runden Fenster aus Bilzingsleben. Nur: Wer hat sie damals ersteigert? Die ernüchternde Antwort: Niemand.

Verschollen auf einem Messie-Hof

Mittlerweile geht es auf Ostern zu. Wir sind im regen Austausch mit der Familie, die das Grundstück 2018 gekauft hat, "wie es steht und liegt". Und es stand und lag sehr viel.

Ich glaube schon, dass ich die damals in der Hand hatte.

Grundstückseigentümer

Im ehemaligen Werkstattgebäude, auf dem Hof, in Regalen und Containern. Es waren Berge von Glas in allen denkbaren Varianten. Die erwähnte Versteigerung der am wertvollsten wirkenden Stücke brachte nicht den erhofften Erfolg und so blieben auch unsere drei runden Fenster auf dem Hof.

"Ich glaube schon, dass ich die damals in der Hand hatte", erinnert sich der Grundstückseigentümer angesichts der sehr guten Fotos für den Auktionskatalog. Das war aber leider in den Wochen der Entrümpelung. Wer wollte, konnte sich damals für einen schmalen Taler Glas abholen: Fensterglas, Sicherheitsglas, Bleiglas usw.

Breite Risse im Mauerwerk des Chorraums der St. Wigberti Kirche in Bilzingsleben
Der Kirchenchor in Bilzingsleben. Wo Pappe hängt, waren früher die Kirchenfenster eingebracht. Bildrechte: IMAGO / Steve Bauerschmidt

Es rollten immer mal wieder Transporter an, einer kam sogar aus Thüringen, erinnert sich der Grundstückseigentümer. Sogar ganze Lkw wurden vollgepackt und die Reste landeten schließlich im Container, bis alles weg war. Weg waren damit auch unsere Fenster aus Bilzingsleben.

Letzte Möglichkeit: ein Kontakt auf WhatsApp

Es ist der Dienstag vor Ostern, als unser Grundstückseigentümer noch den Ansatz einer Idee hatte. Irgendwie war die Geschichte für alle Beteiligten zu einem spannenden Detektivspiel geworden. Unter den vielen Glasinteressenten gab es auch einen jungen Mann aus der Region, der hatte sich vor allem für alte Bleiglasfenster interessiert.

Könnte sein, dass ich die liegen habe, versprechen kann ich nichts, ich hatte die zuletzt vor Jahren in der Hand.

Steffen

Ein paar Rückfragen später meldete der Dorffunk: Er heißt wohl Steffen und wohnt ein paar Kilometer weiter, aber schon in Sachsen-Anhalt. Ob er die Fenster damals mitgenommen hat? Es ist der wirklich allerletzte Pfeil im Köcher. Wir machen also den nächsten Ort rebellisch, die Feuerwehr hilft. Der Wehrleiter weiß sofort, wer gemeint ist, und vermittelt den Kontakt zu Steffen, der gerade im Urlaub ist.

"Könnte sein, dass ich die liegen habe, versprechen kann ich nichts, ich hatte die zuletzt vor Jahren in der Hand". Er wollte sie sich eigentlich in den Flur hängen, "bin aber nie dazu gekommen" – wie das halt so ist. "Ostersonntag bin ich wieder zu Hause, dann gucke ich nach", schreibt er auf WhatsApp.

Ein klassischer Scheunenfund

Am Ostersonntag fliegen plötzlich die Fotos von unseren mittlerweile ziemlich verstaubten Fenstern aus Bilzingsleben bei WhatsApp herein – ein klassischer Scheunenfund. Die große Überraschung: Nicht nur die drei runden Fenster sind dabei, sondern auch die länglichen. Ob sie komplett sind, ist noch unklar.

Stapel bunter verstaubter Kirchenfenster
Da sind sie: die verschwundenen Kirchenfenster. Bildrechte: privat

Sie sind zerbrechlich, Steffen will sie lieber liegen lassen für die Fachleute, die sie zeitnah abholen sollen. Gibt es einen besseren Tag als den Ostersonntag für ein kleines Wunder? Sicher kaum, und einen besseren Ort gibt es auch nicht. Denn die Fenster der evangelischen Kirche zu Bilzingsleben haben die letzten sieben Jahre ihrer Odyssee tatsächlich in Wittenberg verbracht, also quasi bei Martin Luther vor der Kirchentür. 

MDR (dvs)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN | MDR THÜRINGEN JOURNAL | 22. April 2025 | 19:00 Uhr

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