ein Bild des Philosophen Friedrich Nietzsche mit seinem riesigen Oberlippenbart 4 min
Wie aktuell sind die Gedanken von Friedrich Nietzsche? Blanka Weber berichtet. Bildrechte: IMAGO / Leemage

Philosophie Nietzsche – ein Ratgeber für heutige Probleme?

08. Oktober 2024, 14:47 Uhr

Friedrich Nietzsches Ideen und Gedanken – können sie auch unsere heutige Welt erklären? Internationale Experten sagen: Ja. Vom 7. bis 11. Oktober findet dazu in Weimar eine internationale Tagung statt. Unter dem Motto "Nietzsches Zukünfte" diskutieren sie, wie uns der Philosoph bei Fragestellungen unserer Zeit weiterhelfen kann. Am 15. Oktober jährt sich Nietzsches Geburtstag zum 180. Mal.

  • Auf einer Tagung denken Wissenschaftler aus aller Welt über Nietzsches Ideen im Heute nach
  • Der Philosoph liefere Antworten auf die Frage nach dem Sinn des Lebens.
  • Mit seinen Gedanken ließe sich sogar erklären, wie in einer Demokratie Populismus entstehe.

Nach wie vor beliebt sind Nietzsches Aphorismen, wie zum Beispiel: "Leben heißt leiden. Und überleben heißt, im Leiden einen Sinn zu finden." Einige seiner Texte dürfte Feministinnen jedoch nicht gefallen. Andere Gedanken von ihm wiederum wurden von den Nationalsozialisten und auch von seiner Schwester vereinnahmt und verdreht. Friedrich Nietzsche, dessen Geburtstag sich am 15. Oktober 2024 zum 180. Mal jährt, ist also nicht unumstritten.

Tagung in Weimar denkt Nietzsche ins Heute

Trotzdem befassen sich noch heute Wissenschaftler auf der ganzen Welt mit den Ideen des Philosophen. Etwa 50 von ihnen sind nach Weimar gekommen, wo das Nietzsche-Kolleg der Klassik Stiftung Weimar vom 7. bis 11. Oktober eine Tagung veranstaltet. Die Überschrift: "Nietzsches Zukünfte" – ein von dem Philosophen selbst geprägter Plural. Die Wissenschaftler treten in einen transkulturellen Austausch darüber, welche Bedeutung Nietzsche in den verschiedenen Regionen der Welt heute hat und wie die Zukunft mit ihm aussehen kann.  

Ein Mann steht auf einer Bühne und redet, vor ihm sitzen Zuhörer. Veranstaltung während der Tagung "Nietzsches Zukünfte" in Weimar vom 7. bis 11. Oktober 24
Während der Tagung "Nietzsches Zukünfte" finden in Weimar mehre öffentliche Diskussionsrunden statt. Bildrechte: Klassik Stiftung Weimar

Ein Philosoph mit Humor?

Friedrich Nietzsche wurde 1844 in Röcken, Sachsen-Anhalt, geboren und starb 1900 geistig umnachtet in Weimar. Er war ein Meister der Sprache, Philologe und er beherrschte Altgriechisch so gut, dass er mit 24 Jahren bereits Professor in Basel wurde. Bilder zeigen ihn oft streng und unnahbar – war er ein Einzelgänger? Auf viele Fragen Nietzsche betreffend gibt es noch immer keine eindeutigen Antworten. Auch das ist ein Thema der Tagung, die die Gedanken jenes entrückt wirkenden Mannes im Heute denken will.

Hatte Nietzsche eigentlich Humor? Helmut Heit, Leiter des Kollegs, gesteht: "Das weiß ich gar nicht." Nietzsche habe einnehmende Züge gehabt, improvisierte zum Beispiel gern am Klavier. Doch aufgrund seines zurückgezogenen, distinguierten, wohlerzogenen und höflichen Wesens habe er eine gewisse Distanz ausgestrahlt. Aber richtig mürrisch sei er wohl gar nicht gewesen, so Heit.

Das Nietzsche-Archiv in Weimar, die historische "Villa Silberblick", wo der Philosoph seine letzten Jahre verbrachte.
Das Kolleg Friedrich Nietzsche hat seinen Sitz im Nietzsche-Archiv, der "Villa Silberblick". Dort verbrachte der Philosoph die letzten Jahre seines Lebens. Bildrechte: IMAGO/Heritage Images

Nietzsche und der Sinn des Lebens

Nicht mürrisch vielleicht, aber ernst. So liest Heit bei Nietzsche nach, wenn es um die ganz großen Fragen geht: Wofür machen wir das alles? Hat der Mensch ein kulturelles Ziel? Geht es nur darum, ein gutes Leben zu führen oder gibt es noch etwas, das wir darüber hinaus als Kultur oder Gesellschaft erreichen wollen? Das sei eine Frage, die sich mit Nietzsche stellt, sagt Heit – auch vor dem Hintergrund, dass wir "wahnsinnige Ressourcen verbrauchen, uns alle irrsinnig anstrengen und man gar nicht genau weiß, wozu überhaupt."

Helmut Heit, Leiter des Kolleg Friedrich Nietzsche der Klassik Stiftung Weimar
Helmut Heit ist Leiter des Kolleg Friedrich Nietzsche der Klassik Stiftung Weimar. Bildrechte: picture alliance/dpa | Martin Schutt

Nietzsche lädt uns als Gesellschaft, letztlich sogar als globale Kultur ein, uns zu fragen: Wofür machen wir das alles?

Helmut Heit, Leiter Nietzsche-Kolleg der Klassik Stiftung Weimar

Nietzsche als Populismus-Erklärer?

Der Wissenschaftler Christian Emden, der an der Rice University Houston in den USA lehrt, interessiert sich für Nietzsche als politischen Philosophen. Mit dessen Gedanken gehe er gemeinsam mit seinen Studenten unter anderem der Frage nach, wie Populismus in einer Demokratie entsteht. Das kritische Potenzial des Philosophen beleuchte die "dunklen Unterseiten der Moderne" und stelle ein Instrumentarium bereit, mit dem wir heute über Gemeinschaft nachdenken können, so Emden. Und Gemeinschaft sei bei Nietzsche positiv besetzt.

Durch Nietzsches Moralkritik lässt sich nachweisen, wie grundsätzlich hinter Identitäten, Gemeinschaften oder Gemeinschaftsbegriffen letztendlich auch ein hohes Gewaltpotenzial steht.

Christian Emden, Wissenschaftler und Tagungsteilnehmer

Politische Gemeinschaften würden sich auch als moralische Gemeinschaften verstehen, führt der Wissenschaftler aus. Durch Nietzsches Moralkritik lasse sich nachweisen, wie grundsätzlich hinter Identitäten, Gemeinschaften oder Gemeinschaftsbegriffen letztendlich auch ein hohes Gewaltpotenzial stehe.

Der Wissenschaftler Christian J. Emden lehrt in Houston, in den USA
Der Wissenschaftler Christian J. Emden lehrt in Houston, USA. Bildrechte: Christian J. Emden

Mit Nietzsche das Heute beleuchten

Wissenschaftler aus der Türkei, aus Japan, Südamerika, Frankreich und Italien sind zur Tagung nach Weimar angereist. Martine Prange ist Professor in Tilburg, in den Niederlanden. Auch dort werde Nietzsche fasziniert gelesen, sagt er. Aber wichtig sei, den Philosophen im Kontext seiner Zeit zu sehen. Die eine Antwort jedoch gäbe es nicht, so Prange. Was Nietzsche auch so kompliziert macht.

Für Prange bietet die Tagung eine gute Möglichkeit zu diskutieren, was Nietzsche meinte – und in welchem Land seine Philosophie wie gesehen wird und wie so auch die Probleme der Gegenwart beleuchtet werden können.

Professor Martine Prange aus den Niederlanden (Tilburg), Teilnehmer Nietzsche-Tagung 2024
Professor Martine Prange aus den Niederlanden (Tilburg), sagt: Man muss Nietzsche im Kontext lesen. Bildrechte: Blanka Weber

Wer Nietzsche verstehen will, muss in die Tiefe gehen, filtern und heraussuchen: Das, was der Mann mit dem markanten Oberlippenbart uns heute noch über die Welt zu sagen hat.

Informationen zur Tagung

"Nietzsches Zukünfte"
Global Conference on the Futures of Nietzsche

7. — 11. October 2024

Jugend-, Kultur- & Bildungszentrum mon ami
Goetheplatz 11
99423 Weimar

Hier finden Sie das ganze Programm der Tagung "Nietzsches Zukünfte".

Quelle: MDR KULTUR(Blanka Weber), Stiftung Klassik Weimar
Redaktionelle Bearbeitung: jb, bh

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 08. Oktober 2024 | 07:40 Uhr

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