Deutsches Nationaltheater Weimar: "Dumme Jahre" erzählt von Brüchen in den Biografien Ostdeutscher
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05. Oktober 2024, 18:05 Uhr
Ein Paar erlebt Aufstieg und Fall der DDR und stellt sich am Ende die Frage: Habe ich wirklich das Beste aus allem gemacht? Das Nationaltheater Weimar greift in "Dumme Jahre" Diskussionen über Fehler und vertane Chancen in der Wende- und Nachwendezeit aus der Perspektive individueller Biografien auf. Zur Inszenierung von Tilmann Köhler meint unser Kritiker: "Ansehen!"
- Eine neue Inszenierung am Deutschen Nationaltheater beschäftigt sich mit den Brüchen in ostdeutschen Biografien.
- Regisseur Tilmann Köhler und Autor Thomas Freyer kennen sich bereits seit Jahren.
- Im Stück geht es um die DDR, die Phase danach und die Innenenansichten einer Frau in Zeiten massiver Umbrüche.
Als Tilmann Köhler vor fast 20 Jahren direkt von der Berliner Ernst Busch-Schule ans Deutsche Nationaltheater kam, wurde er zum Shootingstar. Das Haus übernahm sogar seine Diplom-Inszenierung in den eigenen Spielplan. Heute arbeitet Köhler als freier Regisseur an wechselnden Theater- und Opernhäusern.
Noch während seines Erst-Engagements in Weimar inszenierte Tilmann Köhler sein erstes Stück von Thomas Freyer. Die beiden kennen sich schon aus Jugendzeiten. Aufgewachsen in Gera haben sie dort als Heranwachsende zusammen Theater gemacht. Später landeten beide in Berlin: Köhler zog es zum Studium der Regie an die Ernst Busch-Schule, während Freyer Szenisches Schreiben an der Universität der Künste studierte.
Texte, die auf die Bühne gehören
Das künstlerische Interesse aneinander ist nie abgerissen. Bis heute sind viele gemeinsame Arbeiten an verschiedenen Häusern entstanden. Die biografischen Schnittpunkte, vor allem das Aufwachsen in der ostdeutschen Nachwendezeit, spielten dabei immer wieder eine Rolle.
Gleichzeitig haben Thomas Freyers Texte für Tilmann Köhler stilistisch einen besonderen Reiz: "Seine Sprache ist sehr rhythmisch. Das sind Texte, die gesprochen werden müssen, die auf die Bühne gehören". In "Dumme Jahre" wechseln sich kurze Szenen mit Monologen ab, die in Versform geschrieben sind und auf dem Papier fast schon an Gedichte erinnern.
Der Umgang mit Umbrüchen
Im Zentrum der Handlung steht Regine. Eine Frau, die in der Nachkriegszeit geboren wurde und so die erste Hälfte ihrer Biografie in der DDR erlebt. Sie lernt ihren Mann Wolfang kennen, gründet eine Familie, fasst beruflich Fuß. Dann kommt die Wende, die das Paar mittendrin zu einem Neustart zwingt.
Für Regisseur Tilmann Köhler geht es in "Dumme Jahre" nicht vordergründig darum, DDR-Geschichte zu erzählen: "Für mich geht es um die vielfältigen Transformationen, die diese Generation erlebt hat. Die DDR ist ein Teil davon, aber genauso bedeutsam ist all das, was danach passierte. Der ganze Weg bis ins Jetzt".
Für mich geht es um die vielfältigen Transformationen, die diese Generation erlebt hat.
Sprünge durchs Leben
Das Stück spannt den Bogen über ein gesamtes Familienleben. Die gealterte Regine lässt die Jahre Revue passieren. Erzählt wird jedoch nicht chronologisch: Die Jahre springen wild durcheinander. Orientierung gibt dem Zuschauer eine große digitale Jahresanzeige auf einer sonst kargen Bühne, die als intimes Herzstück des Privaten, ein Wohn- und Esszimmer skizziert.
Der Text bleibt subtil, nimmt keine politischen Bewertungen vor. Und auch Regisseur Tilmann Köhler interessiert sich vor allem für Regines Innenschau, ihr Hadern, das sich in der Frage ergießt: "Habe ich wirklich das Beste aus allem gemacht?" Eine Frage, die im Übrigen auch für ganz andere Biografien anschlussfähig ist.
Abend regt zur Versöhnung mit der eigenen Biografie an
Die Suche nach Antworten führt nicht in die zerstörerische Selbstanklage. Vielmehr kann der Abend zu einem versöhnlichen Blick auf die eigene Biografie anregen – ohne den Einzelnen von seiner Verantwortung pauschal frei zu sprechen.
Für Regisseur Tilmann Köhler bleibt auch die Erkenntnis: "Rückwirkend lässt sich immer schnell urteilen über eine gewisse Zeit. Vergessen wird dabei oft, wie stark das eigene Handeln auch geprägt wird von der jeweiligen Zeit, in die wir geworfen sind."
Mehr Informationen:
"Dumme Jahre"
Premiere am 4.10. um 19:30
Weitere Termine
11. Oktober 2024 – 19:30
15. November 2024 – 19:30
2. November2024 – 19:30
24. November 2024 – 19:30
Adresse
Deutsches Nationaltheater
Theaterplatz 2
99423 Weimar
Mehr Informationen zum Stück finden Sie hier.
Redaktionelle Bearbeitung: tis
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 03. Oktober 2024 | 13:10 Uhr