MDR-Reporter sind auf Wählerreise gegangen und haben im Zug mit Pendlern gesprochen.
MDR-Reporterin Madeleine Arndt ist auf Wählerreise gegangen und hat auf der Bahnstrecke zwischen Dresden und Zittau mit Pendlern gesprochen. Bildrechte: MDR/Benjamin Jakob

Wählerreise Das sagen Pendler zwischen Zittau und Dresden zur aktuellen Politik in Sachsen

28. August 2024, 15:15 Uhr

Jeden Tag machen sich eine Menge Sachsen früh am Morgen auf den Weg von Dresden in die Oberlausitz. Zur selben Zeit fährt eine ähnliche Menge von der Oberlausitz nach Dresden. Auspendeln und einpendeln für den Job. Wie halten es diese Berufstätigen eigentlich mit der aktuellen Politik? Das wollte MDR SACHSEN wissen. Hier ein Einblick mit bestem Dank an die Gesprächspartner, die noch mit der Müdigkeit gekämpft haben.

Halb sechs startet der Trilex vom Neustädter Bahnhof in Dresden Richtung Zittau. Zu dieser Zeit sind die Zugabteile stille Aufwachräume. Man lässt sich mit geschlossenen Lidern zur Arbeitsstelle ruckeln, blinzelt manchmal aus dem Fenster. An einigen Handys werden Nachrichten getippt - die Tagesorganisation des Familienalltags geht auch im Dusel. Respekt dem, der sich jetzt schon mit dem Laptop an eine Exceltabelle setzt.

Gerechte Bezahlung für die Arbeit

"Über Politik reden vor der Landtagswahl? Nee, bitte nicht um diese Uhrzeit. Da kann ich nicht drüber nachdenken." Ich blicke in graue Gesichter und ernte verschlafenes Kopfschütteln. Mein Wunsch ist eine echte Herausforderung, das ist klar. Doch manch einer stellt sich ihr dann doch. "Die Schere zwischen Arm und Reich muss kleiner werden", sagt mir Stefan Pfeiffer, der als Wohnheimbetreuer arbeitet. Eine gerechte Bezahlung für Arbeit, das sei ein wichtiger Punkt für ihn. Dann entschuldigt sich der 39-Jährige: Der nächste Halt ist Arnsdorf, er muss aussteigen.

Die Schere zwischen Arm und Reich muss kleiner werden.

Stefan Pfeiffer Wohnbetreuer

Ein Mann in einem Zug
Für Stefan Pfeiffer ist eine gerechte Bezahlung von Arbeit ein sehr wichtiger Punkt. Bildrechte: MDR/Madeleine Arndt

Gut aufgestellte Wissenschaft und Forschung

Im Gang steht Mirko Ernst. Mit der Wahl habe er sich noch nicht befasst. "Das mache ich erst kurz vorher und dann sprechen wir meistens mit Freunden darüber", sagt er mir. Mirko Ernst hat sein Rad dabei und seinen Kreislauf schon auf Touren gebracht. Gut laufe ja gerade nicht so viel, meint er. Aber das Schlimme sei, dass bei der Landtagswahl die falsche Partei bei den Umfragen mit vorn ist. "Da sind wir im Freundeskreis gewillt, so viel wie möglich dagegenzusetzen", sagt er und hievt sein Fahrrad beim nächsten Halt aus dem Zug.

Ein Mann in einem Zug
Mirko Ernst spricht mit Freunden über Politik und fällt dann seine Entscheidung. Bildrechte: MDR/Madeleine Arndt

Etwas Muße hat Thomas Berek. Er fährt bis Zittau, zu seiner Arbeitsstelle am Fraunhofer Institut. "Ich glaube, dass die aktuelle Regierung in Sachsen schon viele Sachen gut macht und dass es trotzdem anscheinend nicht gelingt, das Positive den Leuten zu vermitteln", sagt er mir. Im Bereich Wissenschaft und Forschung sei Sachsen allgemein sehr gut aufgestellt, findet der Ingenieur.

Aber er bekomme viel mit, dass es im Bereich Bildung bei den Grundschulen und weiterführenden Schulen hake und dort die Bedingungen nicht gut sind. "Das wäre für mich ein aktuelles Thema, da ich selbst kleine Kinder habe, die in den nächsten Jahren in die Schule kommen. Und da macht man sich als Vater auch seine Gedanken."

Ich glaube, dass die aktuelle Regierung in Sachsen schon viele Sachen gut macht und dass es trotzdem anscheinend nicht gelingt, das Positive den Leuten zu vermitteln.

Thomas Berek Ingenieur

Ein Mann in einem Zug
Im Bereich Wissenschaft und Forschung ist Sachsen sehr gut aufgestellt, findet Thomas Berek. Bildrechte: MDR/Madeleine Arndt

Energiepreise und Rente als Thema

Ältere, die ich im Zug anspreche, sorgen sich um die Bildung der Kinder und Jugendlichen. Die Jüngeren wiederum sprechen Probleme der Alten an und sorgen sich um das von ihnen Geschaffene: "Es ist schlimm zu sehen, wie große Firmen durch hohe Energiepreise hier in Deutschland zu Grunde gehen, vor allem hier im Osten. Das macht mir Sorgen", sagt zum Beispiel der 21 Jahre alte Student Richard Rödiger, der auf dem Weg zur Zittauer Hochschule ist.

Es ist schlimm zu sehen, wie große Firmen durch hohe Energiepreise hier in Deutschland zu Grunde gehen, vor allem hier im Osten.

Richard Rödiger Student

Ein Mann in einem Zug
Richard Rödiger macht sich Sorgen, dass Firmen durch die hohen Energiepreise zu Grunde gehen. Bildrechte: MDR/Madeleine Arndt

Probleme mit der Infrastruktur

Der 19 Jahre alte Tim denkt an die Älteren und wünscht sich, dass deren Rente ein bisschen erhöht wird. "Es wird ja alles teurer: Wasser, Strom." Für das Land wünscht sich der Azubi den Ausbau von Internet und Infrastruktur. So sei seit langem eine Zugverbindung zwischen seinem Heimatdorf und Bautzen stillgelegt. "Das Umsteigen zwischen Zug und Bus ist Stress. Manchmal schafft man das gar nicht."

Anzeige in einem Zugabteil
Anderthalb Stunden braucht der Trilex von Dresden nach Zittau. Bildrechte: MDR/Madeleine Arndt

...und was ist mit der Meinungsfreiheit?

Ebenfalls von den Jüngeren kommt hier im Zug der Wunsch nach mehr Meinungsfreiheit. Leute würden benachteiligt, wenn sie nicht der politischen Meinung seien, die gerade herrsche, meint Tim. "Ich finde, jeder sollte seine eigene Meinung äußern können und selbst entscheiden, was man wählt und dafür nicht verurteilt werden", sagt eine 18 Jahre alte angehende Hotelfachfrau.

Bildung braucht Fortschritt, Politik weniger Abgehobenheit

Inzwischen ist es kurz vor sieben Uhr. Unser Zielbahnhof Zittau leuchtet auf dem Display auf. Hier steigen wir um und fahren mit den Einpendlern zurück nach Dresden. Zu dieser Fahrzeit ist Leben in der Bude, was vor allem daran liegt, dass viele Schulkinder unterwegs sind.

Einige werden von Eberhard Müller begleitet. Der frühere Schulleiter hat sich nach kurzer Ruhestandspause entschieden, wieder zu unterrichten. Problem sei nicht nur der Lehrermangel. "Deutschland ist eines der rückständigsten Länder, was die Bildung betrifft", sagt der 67-Jährige. Keiner würde mit einem alten Auto täglich fahren. "In der Bildung fahren wir aber noch sehr alte Autos." Hier müsse man zeitgemäßer, fortschrittlicher werden, so sein Appell an Sachsens Politiker.

Deutschland ist eines der rückständigsten Länder, was die Bildung betrifft.

Eberhard Müller Lehrer

Ein Mann in einem Zug
Weil die Schule dringend Lehrkräfte benötigt, ist Eberhard Müller aus der Rente in den aktiven Schuldienst zurückgekehrt. Bildrechte: MDR/Madeleine Arndt

Dann sollte Politik auch nicht so abgehoben sein, sagt der Lehrer mit Blick auf die Bundesebene. "Ich denke, die Menschen sind klug genug, um basisdemokratisch viel mehr entscheiden zu können. Zum Beispiel auch bei Fragen von Krieg und Frieden."

Eine Frau mit Aufnahmegerät in einem Zug 2 min
Bildrechte: MDR/Benjamin Jakob
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Do 15.08.2024 13:14Uhr 01:55 min

https://www.mdr.de/nachrichten/sachsen/politik/video-landtagswahl-wahl-waehler-zittau-dresden-pendler-100.html

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Pflege und Förderung der Wirtschaft

Ronald Schwerner, tätig im Korrosionsschutz, fährt ebenfalls jetzt zur Arbeit. Ihm werde die Entscheidung bei der Landtagswahl am 1. September schwerfallen, sagt er. Jede Partei habe Ziele, die teils gut und teils schlecht sind. Ihm persönlich sind die Pflege und die Wirtschaft wichtig. "Der Mittelstand, die Wirtschaft, da liegt sehr viel am Boden. Da müsste viel unternommen werden, dass es wieder nach oben geht."

Der Mittelstand, die Wirtschaft, da liegt sehr viel am Boden.

Ronald Schwerner Handwerker

Ein Mann in einem Zug
Ronald Schwerner ist im Korrosionsschutz tätig. Für den Mittelstand müsse was getan werden, sagt er. Bildrechte: MDR/Madeleine Arndt

Bei Asylpolitik menschlich, bei Energiewende realistisch bleiben

Fahrgemeinschaften gibt es nicht nur mit dem Auto. Lukas, Laureen und Thomas treten ihren Arbeitsweg in den öffentlichen Dienst von Zittau nach Dresden gemeinsam an. So ist es unterhaltsamer im Zugabteil. Der 26 Jahre alte Lukas macht sich über den Rechtsruck im Land Gedanken, vor allem über das radikale Spektrum "Das ist ein ganz, ganz gefährliches Pflaster."

Auf der anderen Seite müssten sich auch Dingen ändern, so zum Beispiel bei der Migration, aber da müsse man beim Menschlichen bleiben. Für Thomas gehören die Asylpolitik und die Energiewende zu den aktuell wichtigen Themen. Seine Botschaft an Politiker ist, realistisch zu bleiben und nicht zu viel auf einmal zu wollen.

Eine Frau und zwei Männer in einem Zug
Laureen, Lukas und Thomas haben eine Zugfahrgemeinschaft von Zittau nach Dresden gebildet. Bildrechte: MDR/Madeleine Arndt

Die 22-jährige Laureen merkt an, dass es gerade für Jugendliche in Zittau wenige Angebote gebe. "Viele ziehen weg, das merkt man schon." Sie selbst würde auch nicht für immer in der Gegend bleiben wollen.

Wunsch nach gesunder Umwelt und kurzen Arbeitswegen

Erst kürzlich nach Sachsen gezogen ist Constanze. Vorher lebte die 36-Jährige in Sachsen-Anhalt und wird nun das erste Mal den Sächsischen Landtag mitwählen. Gut kenne sie sich mit Sachsen noch nicht aus, aber ein Thema ist ihr unabhängig vom Bundesland wichtig - der Umweltschutz. "Wenn wir die Umwelt nicht schützen, dann ist irgendwann unsere ganze Welt kaputt. Dann ist es völlig egal, welche Partei an der Macht ist, weil es nichts mehr gibt, wo Politik gemacht werden kann."

Wenn wir die Umwelt nicht schützen, ist irgendwann unsere ganze Welt kaputt.

Constanze frisch nach Sachsen gezogen

Eine Frau in einem Zug
Egal ob in Sachsen-Anhalt oder Sachsen, Umweltschutz ist überall wichtig, findet Constanze. Bildrechte: MDR/Madeleine Arndt

Familie und Pendeln unter einen Hut bekommen

"Umwelt, Klima, Flüchtlinge, Inflation, ach das ist so viel", sagt Lisette auf die Frage zu brennenden Problemen. Man müsse persönlich einen Weg für sich finden, dass man sich davon nicht irremachen lässt. Für ihren Job pendelt die 30-Jährige, die Familie hat, von der Kleinstadt in die Großstadt. "In meiner Branche muss man einen Fahrtweg in Kauf nehmen", sagt sie.

Eine Frau in einem Zug
Lisette meistert den Familienalltag und das Pendeln zur Arbeit in die Stadt. Bildrechte: MDR/Madeleine Arndt

Wenig Perspektive im Einzelhandel

Auf das Pendeln zwischen Neugersdorf und Dresden gern verzichten, würde Mareen. Jeden Arbeitstag fährt sie an die 200 Kilometer, kommt abends 21 Uhr nach Hause. "Ich wünsche mir mehr Arbeit in der Region, die fachgerecht bezahlt wird und nicht auf Mindestlohn läuft."

Ich wünsche mir mehr Arbeit in der Region, die nicht auf Mindestlohn hinausläuft.

Mareen Kassiererin

Eine Frau in einem Zug
Mareen fährt täglich 200 Kilometer, um im Einzelhandel zu arbeiten. Bildrechte: MDR/Madeleine Arndt

Die Kassiererin würde gern in ihrem Ort arbeiten, doch dort stelle der Einzelhandel nur auf 25-Stunden-Basis ein. "Wie soll man da auf seine Rente kommen?" Man plane auf dem Land nicht mit Vollzeit-, sondern mit Teilzeitstellen, weil die einfacher zu kompensieren seien, falls mal eine Arbeitskraft ausfalle. "Das könnte man ändern."

Unsere Fahrt endet am Bahnhof in Dresden. Bei meinen Gesprächen bin ich auf keine expliziten Nichtwähler getroffen, stattdessen gab es eine breite Palette an Themen. Und es schwang, eine Erwartungshaltung mit: Die, dass die bald neu gewählten Politiker die Themen beackern werden. So wie Sachsens Pendler eben auch tagtäglich zur Arbeit fahren und dann ihren Job machen.

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