Um das Logo der Bundesagentur für Arbeit sind mehrere Symbole angebracht: Ein Wecker, Stadt Halle, ein Klemmboard und Handschuhe mit Geld.
Löhne, Fachkräfte, Geld und wie weiter mit Sachsens Bildung? Darüber diskutierten am Montagabend die sieben Spitzenkandidaten der Parteien zur Landtagswahl in der Fakt ist!-Wahlarena. Bildrechte: MDR/MDR Data

Fakt ist! Wahlarena Sachsen Geld, Schule, Frieden: Fakt ist! im Faktencheck

23. August 2024, 16:05 Uhr

Während der "Fakt ist"-Livesendung vor der Landtagswahl in Sachsen am Montagabend hat MDR SACHSEN die Aussagen der Spitzenkandidatinnen und Spitzenkandidaten überprüft. Was stimmt, was nicht, was muss eingeordnet werden?

Stimmte das alles, was die Spitzenkandidaten in der Wahlarena Sachsen bei "Fakt ist!" gesagt haben? MDR SACHSEN hat Michael Kretschmer (CDU), Jörg Urban (AfD), Susanne Schaper (Die Linke), Katja Meier (Bündnis 90/Die Grünen) und Petra Köpping (SPD), Robert Malorny (FDP) und Sabine Zimmermann (BSW) genau zugehört.

Arbeit und Löhne: Ist Ostsachsen wirklich Schlusslicht?

Bei der Diskussion um Fachkräftegewinnung ging es in der Wahlarena auch um das Potenzial arbeitsloser Menschen in Sachsen. AfD-Kandidat Jörg Urban und Linken-Kandidatin Susanne Schaper sprachen von rund 140.000 Arbeitslosen. Laut Urban gebe es 34.000 unbesetzte Arbeitsstellen in Sachsen.

  • Stimmt. Fakt ist: Die Zahl der Arbeitslosen in Sachsen ist im Juli im Vergleich zum Juni um rund 4.700 auf insgesamt 141.500 gestiegen. Die Arbeitslosenquote betrug 6,6 Prozent, teilte die Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit in Chemnitz mit. Im Juli waren demnach 35.500 Jobs offen.

Laut BSW-Kandidatin Zimmermann sind "Ostsachsen und das Erzgebirge die Regionen, in denen in Ostdeutschland am wenigsten verdient wird - hinter der Insel Rügen."

  • Kommt darauf, welche Statistik genau gemeint ist. Fakt ist: Von den 401 Landkreisen und Großstädten in Deutschland liegen Ost- und Westsachsen im letzten Viertel, sind aber nicht die Schlusslichter bei den durchschnittlichen Haushaltseinkommen pro Kopf, weder im Osten noch im gesamtdeutschen Ranking. Der Kreis Bautzen und das Erzgebirge liegen auch nicht hinter Rügen. Das zeigen Zahlen des Bundesamtes für Statistik für 2023:
  • Der Kreis Bautzen steht auf Platz 303 mit durchschnittlich 22.530 Euro Haushaltseinkommen jährlich pro Person.
  • Der Erzgebirgskreis ist auf Platz 336 mit 22.088 Euro.
  • Die Insel Rügen steht auf Rang 343 mit einem Haushaltseinkommen von 21.902 Euro jährlich.
  • Görlitz kommt auf Platz 375 mit 21.037 Euro Einkommen je Privathaushalt/Kopf.
  • Weimar, Magdeburg, Leipzig, Halle, Frankfurt/Oder schneiden im ostdeutschen Vergleich schlechter ab als Ost- und Westsachsen.
  • Die drei einkommensschwächsten Landkreise/Städte sind: Herne, Duisburg und Gelsenkirchen.

  • Blickt man jedoch auf die Median-Einkommen, hat Sabine Zimmermann recht. Beim Einkommen desjenigen, der genau in der Mitte stünde, wenn sich alle Menschen eines Landes nach ihrem Einkommen gestaffelt in einer Reihe aufstellen würden, war Görlitz 2022 mit 2.650 Euro das Schlusslicht, der Median-Lohn war nur halb so hoch wie in Ingolstadt in Bayern (5.282 Euro).
  • Sachsen war im ostdeutschen Vergleich ganz vorne: Mit 3.012 Euro lag der Medianlohn höher als in Brandenburg (3.011 Euro), Sachsen-Anhalt (2.993 Euro), Thüringen (2.945 Euro) und Mecklenburg-Vorpommern (2.935 Euro).

Eine Grafik zeigt die mittleren Bruttomonatsentgelte von sozialversicherungspflichtig Vollzeitbeschäftigten in Euro.
Bildrechte: Bundesagentur für Arbeit

Ist die Wirtschaft im Osten dem Niedergang geweiht?

AfD-Kandidat Urban sagte in seinem Schlusswort: "Unser Land hat sich in den letzten Jahren in vielen Bereichen zum Schlechteren entwickelt". Er nannte als erstes den Bereich Wirtschaft, die im "Niedergang" begriffen sei.

  • Falsch für Ostdeutschland, für Sachsen zum Teil falsch. Fakt ist: Laut dem Konjunkturexperten am Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle, Oliver Holtemöller, sei der Osten gar nicht so tief in die Krise reingerutscht. Die gesamtdeutsche Wirtschaft sei vergangenes Jahr um 0,3 Prozent geschrumpft, Sachsens Wirtschaft preisbereinigt um 0,6 Prozent. Doch die ostdeutsche Wirtschaft insgesamt sei um 0,7 Prozent gewachsen. Gründe: der Osten der Bundesrepublik ist weniger von Exporten ins Ausland abhängig, es gebe Sondereffekte, Rentenerhöhung und gestiegenen Mindestlohn.
  • Das ifo Institut Dresden erklärt, dass einige Großinvestitionen in die Wachstumszahlen eingeflossen seien. "Wenn man an Tesla denkt in Brandenburg, die hatten ein sehr kräftiges Wachstum vor allem im verarbeitenden Gewerbe." In Mecklenburg-Vorpommern habe es einen Sondereffekt gegeben, weil dort das neue LNG-Terminal ausgebaut und ans Netz genommen worden sei. Auch Werften hätten im Zuge des Sondervermögens mehr Rüstungsaufträge bekommen. Zwar sei die ostdeutsche Wirtschaft kein Zugpferd für Westdeutschland, aber die Stimmung unter ostdeutschen Unternehmern besser als unter westdeutschen - das zeigten die Zahlen im Geschäftsklimaindex.

Warum ist Deutschland für Fachkräfte wirklich unattraktiv?

AfD-Kandidat Urban sagte in der Diskussion zum Fachkräftemangel: "Deutschland ist für Fachkräfte hochgradig unattraktiv. Es steht bei der Attraktivität auf Platz 50 von 55." Das liege "an den hohen Steuern in Deutschland und dass das Bildungssystem nicht gut genug" und die innere Sicherheit gefährdet sei.

  • Die Begründungen sind falsch. Fakt ist: Bei der Zufriedenheit der ausländischen Fachkräfte liegt Deutschland auf Platz 50 von 53 (Studie des Netzwerks InterNations für 53 Länder unter hochgebildeten Auswanderern). Demnach schneidet die Bundesrepublik teils katastrophal schlecht bei der Willkommenskultur. Faktoren wie soziale Kontakte, bürokratische Hürden und die Wohnsituation schrecken ausländische Fachkräfte ab.
  • Drei von zehn Fachkräften empfinden Deutsche als unfreundlich gegenüber Ausländerinnen und Ausländern. Mehr als die Hälfte der Befragten findet es schwierig, Freundschaften zu Deutschen zu knüpfen und sich hierzulande heimisch zu fühlen (in den drei Bereichen kommt die BRD jeweils auf den 49. von 53 Plätzen).
  • Als Problem wird auch das Beharren auf der deutschen Sprache genannt.
  • Dagegen wurden die Qualität, Bezahlung und Chancen der Arbeitsplätze als attraktiv und international wettbewerbsfähig beurteilt, auch die soziale Sicherheit und das gesetzliche Sozialsystem schätzten die Befragten als gut ein. Hier die Infos zur Studie "Expat Insider 2023".

Schulen in Sachsen: Wie viele Schulsozialarbeiter sind nötig?

"Wir brauchen Schulsozialarbeiter in allen Schulformen", sagte SPD-Spitzenkandidatin Petra Köpping als einen Schritt zur Verbesserung der Schulqualität und des Images von Oberschulen in Sachsen. Die Rede war von 600 Sozialpädagogen an Sachsens Schulen. BSW-Kandidatin Zimmermann warf der Regierungskoalition vor, bei den Sozialarbeiter-Stellen gekürzt, statt investiert zu haben.

  • Falsch. Fakt ist: Gesetzlich festgeschrieben ist die Schulsozialarbeit in Sachsen derzeit nur an Oberschulen und Gemeinschaftsschulen. Seit 2017 sind die vom Sächsischen Landtag für das Landesprogramm Schulsozialarbeit zur Verfügung gestellten Haushaltsmittel von 15,2 Millionen Euro auf 37,2 Millionen Euro im Jahr 2024 gestiegen. Die aus dem Landesprogramm geförderte Schulsozialarbeit gab es 2023 an 609 Schulstandorten. Für 2024 wurden Projekte an 632 Schulstandorten beantragt. Zum Vergleich: Im Jahr 2017 gab es nur in 383 Schulstandorten Sozialarbeiter. Neben dem Land fördert auch der Bund Schulsozialarbeit.
  • Konkret bedeuten diese Zahlen an den Schulen: Ein Sozialarbeiter oder eine Sozialarbeiterin ist für Hunderte Schülerinnen und Schüler zuständig. Laut Bildungsgewerkschaft GEW gibt es in Sachsen derzeit 640 Vollzeitstellen. Wollte Sachsen das Angebot für eine Vollzeitstelle je 300 Schüler ausbauen, wären rund 1.300 Vollzeitstellen nötig. Allerdings: "Der fachliche Standard für Schulsozialarbeit liegt bei einem Schlüssel von einer Stelle pro 150 Schülerinnen und Schülern", sagt der GEW-Vorsitzende Burkhard Naumann dazu.

Sieben Politikerinnen und Politiker stehen nebeneinander an Einzeltischen und hören zu.
Dass vor allem auf dem Land Lehrer fehlen, ist in Sachsen bekannt, lässt sich kurzfristig aber nicht ändern. Petra Köpping (SPD, ganz links) verwies auf die Arbeit der Schulsozialarbeiter und widersprach, dass in dem Bereich gekürzt worden sein soll. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Schule und Ausbildung

AfD-Spitzenkandidat Urban sagte beim Thema Bildung, Sachsen habe "ein desaströses Schulsystem, wo die Ausbildung mittlerweile so schlecht ist, dass 80 Prozent der Ausbildungsbetriebe sagen, wir müssen in Mathe und Deutsch Nachhilfe machen."

Der FDP-Spitzenkandidat Robert Malorny hingegen bescheinigte Sachsen "ein fantastisches duales Ausbildungssystem, um das uns viele Bundesländer beneiden".

  • Urbans Zahlenangabe ist nicht belegt. Fakt ist: Die Handwerksammer Dresden sagt, dass weder für den Kammerbezirk Dresden, noch für den Freistaat Sachsen Statistiken vorlägen, die Aufschluss darüber geben, wie viele Lehrlinge/Auszubildende Nachholbedarf in Mathemitk und ´/oder Deutsch haben.
  • Sachsen belegt im aktuellen Bildungsmonitor den ersten Platz - vor Bayern und Thüringen. Das Ranking bescheinigt, dass im Freistaat etwa die Ausgaben für Bildung höher sind als im Bundesdurchschnitt. Lob gab es für Ganztagsangebote in Kitas und Schulen, Bestwerte in mathematischen und naturwissenschaftlichen Schulfächern und bei der Lesefähigkeit von Jugendlichen. Außerdem sei der Anteil der Bildungsausländer an allen Studierenden der zweithöchste in Deutschland, heißt es in der Studie. In Sachsens Schulen hakt es demnach aber an der Digitalisierung, schnellen Internetverbindungen und zu hohen Zahlen sogenannter Sitzenbleiber.
  • Beim internationalen Leistungsvergleich Pisa im Jahr 2022 schnitten deutsche Schülerinnen und Schüler aber so schlecht ab wie noch nie zuvor. Daher prüfte Sachsen Ende Mai alle Zweitklässler in den Grundschulen auf ihre Lese- und Rechenfähigkeiten.

Vor dem Hintergrund, das Sachsen z. B. im innerdeutschen Vergleich der PISA-Studie auf Platz 1 liegt, scheint die Aussage mit den 80 Prozent betreffs des Nachholbedarfs aus unserer Sicht eher unrealistisch.

Stefan Schulze Abteilungsleiter Handwerkskammer Dresden

Krieg gegen die Ukraine und Friedensdebatte

Die BSW-Spitzenkandidatin Zimmermann sagte zum Krieg Russlands gegen die Ukraine: "Wir haben Milliarden in diesen Krieg gesteckt."

  • Stimmt. Fakt ist: "Seit dem russischen Überfall am 24. Februar 2022 hat Deutschland der Ukraine bereits Hilfen im Gesamtwert von rund 34 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt – als humanitäre Unterstützung, direkte Zahlungen oder in Form von Waffen", informiert die Bundesregierung. Eine Übersicht über die militärischen Ausgaben und Lieferungen finden Sie hier.

"Was nützt es, in Sachsen für die Landtagswahl das Thema Frieden auf die Plakate zu drucken?", lautete eine Frage in der Diskussion. FDP-Kandidat Malorny, der eine Offizierslaufbahn bei der Bundeswehr/Luftwaffe absolviert hat, antwortete: "Wer kann über Krieg und Frieden entscheiden? Grundsätzlich die, die sich im Krieg befinden. Und das sind die Ukraine und das ist Russland."

  • Stimmt. Fakt ist: Offiziell gibt es keine diplomatischen Gespräche zwischen der Ukraine und Russland. Die Zeitung "Washington Post" berichtete am Wochenende, dass Moskau und Kiew in Geheimgesprächen in Katar offenbar über einen teilweisen Waffenstillstand im Ukraine-Krieg verhandeln wollten. Nach der Kursk-Offensive der ukrainischen Armee sollen die Gespräche auf Eis gelegt worden sein. Die Sprecherin des russischen Außenministeriums wies den Bericht der US-Zeitung aber zurück.

Unterscheiden sich Linke und BSW beim Thema Frieden überhaupt?

In der internetbasierten Wahlentscheidungshilfe Wahl-O-Mat zur Landtagswahl in Sachsen lautet die 27. These (von 38): "Forschung für militärische Zwecke: An den Hochschulen des Freistaats soll für militärische Zwecke geforscht werden dürfen." Laut Linken-Spitzenkandidatin Schaper hat das BSW der These zugestimmt. BSW-Kandidatin Zimmermann widersprach: Ihre Partei wolle, dass die Universitäten selbst für Transparenz sorgen und sagen, dass sie das nicht betreiben wollten. Schaper hielt dagegen: "Sie haben das mit Ja beantwortet." Zugleich verwies sie auf Thüringens Ministerpräsidenten Bodo Ramelow (Die Linke), der die Zivilklausel für Unis im Nachbarland eingeführt habe.

  • Fakt ist: Forschung und Lehre sind laut Grundgesetz frei und autonom. Die Zivilklausel (= unmilitärische Klausel) ist eine freiwillige Selbstverpflichtung von wissenschaftlichen Einrichtungen zu ihren Forschungszwecken. Die Idee stammt aus der Friedensbewegung. In Sachsen hat nur die TU Chemnitz so eine selbstdefinierte Festlegung, in Thüringen sind es acht Hochschulen. Die Thüringer Landesregierung hatte die Hochschulen 2017 dazu aufgefordert, für sich selbst moralische und ethische Standards zur militärischen Nutzung von Forschungsergebnissen festzulegen. Den Unis so etwas vorschreiben oder einführen, das kann ein Politiker nicht.
  • In seiner Begründung beim Wahl-O-Mat spricht sich das BSW gegen ein Verbot von militärischer Forschung aus, um die Wissenschafts- und Forschungsfreiheit nicht zu beschränken, fordert aber Transparenz. "Es muss Transparenz herrschen. Eine Abschaffung der Wissenschafts- und Forschungsfreiheit lehnen wir jedoch ab", heißt es. Somit stimmt die Aussage der Linken-Politikerin, dass BSW Forschung für militärische Zwecke nicht unterbinden will.

Ist die AfD eine neue Partei?

Die AfD wird seit Jahren nicht müde, sich gegen die sogenannten Altparteien zu positionieren. In seinem Abschluss-Statement rief Jörg Urban (AfD) dazu auf, "eine neue Partei" zu wählen.

  • Kommt auf die Definition an. Fakt ist: Die AfD wurde Anfang Februar 2013 in Oberursel im Taunus gegründet. Im Sächsischen Landtag ist die AfD die jüngste der fünf vertretenen Parteien. Zum Vergleich: Neu im Wortsinn sind das BSW, das im Januar 2024 gegründet wurde, und die Werteunion, die im Februar 2024 entstand. Relativ neu ist auch Die Basis (Gründungsjahr 2020). Diese Parteien treten zur Landtagswahl am 1. September in Sachsen an.

MDR (kk/twi)

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Fakt ist! | 19. August 2024 | 20:15 Uhr

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