Interview Politik-Debatte in Sachsen: Warum Populisten Themen aufbauschen, aber nicht lösen
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27. August 2024, 11:30 Uhr
Der Umgangston in der Politik ist rauer geworden. Das hat viele Folgen, weiß der Professor für Kommunikationswissenschaft an der Universität Leipzig, Patrick Donges. Im Interview spricht er über typische Trigger-Themen im Sächsischen Landtag, bestimmte Muster bei Debatten und welche Strategien dahinterstecken.
Herr Prof. Donges, wie hat sich die politische Debatte in Sachsen seit der Landtagswahl 2019 verändert?
Patrick Donges: Der Diskurs ist härter geworden mit mehr Rechtspopulismus und stärker werdendem Rechtsextremismus. Auffällig dabei ist, dass wir uns um bestimmte Probleme drehen, die aufgebauscht, aber nicht gelöst werden. Es ist vielfach auch ein Um-sich-Drehen, bei dem ich mich immer frage: Was ist mit den Problemen, die Sachsen wirklich hat?
Was genau meinen Sie?
Die Gender-Debatte ist ein sehr schönes Beispiel dafür. Im Grunde hat Sachsen andere, schwerwiegendere Probleme, etwa die ökonomische Abhängigkeit vom Länder-Finanzausgleich. Sachsen ist das zweitabhängigste Empfängerland nach Berlin. In Teilen des Landes haben wir starken Bevölkerungsschwund. Wie soll das dort weitergehen ohne Zuzug? Das wird politisch oftmals ignoriert.
Stattdessen drängt die AfD den Parteien im Landtag die Genderdebatte auf. Ein typisches Trigger-Thema. Für die meisten ist es völlig unwichtig, aber jeder weiß, worum es geht, weil es ständig angesprochen wird. Ich weiß nicht, welchen Menschen geholfen wäre, wenn das Gendersternchen verboten würde. Oder die Erinnerungskultur-Diskussionen: Denken Sie an die Winnetou-Debatte in Sachsen oder wenn es gegen Woke geht.
Welche Muster erkennen Sie?
Die AfD nutzt bewusst Begriffe, die sich festsetzen. Sie setzt Begriffe wie das Gendern oder zum Thema Migration ein, weil sie damit diejenigen, die abwarten oder sich nicht für Politik interessieren, ansprechen und mobilisieren kann. Frei nach dem Motto: Es bleibt schon etwas hängen.
Beim Thema Migration agiert die AfD mit Begriffen wie "Masseneinwanderung" oder "Asylindustrie". Das Wort Industrie impliziert, dass es einen Zusammenhalt von asylfreundlichen Politikern gibt und alle miteinander zusammenhängen. Das ist typisch für den Populismus, das kennt man auch aus linken Milieus der 1970er-Jahre.
Populisten behaupten, es gebe ein Volk mit einem gemeinsamen Willen. Dieser Wille müsse gegen eine von Populisten definierte korrupte Elite durchgesetzt werden. Im Wahlkampf wird versprochen, dass die Elite beiseite geräumt wird, um dem Volkswillen zum Durchbruch zu verhelfen. Das ist an sich schon ein Widerspruch, denn Populisten sind bereits Teil der Elite. Aber sie ordnen sich immer dem Volk zu - in Sachsen, in Thüringen, aber auch Trump in den USA. Was bei seinem Vermögen besonders absurd ist.
Das heißt, die Populisten und Rechtsextremisten in Sachsen sind wie überall in der Welt?
Der Populismus ist in den Ländern unterschiedlich ausgeprägt. Das Parteiensystem in Deutschland ist insgesamt noch recht stabil. Sachsen hat aber ein schwaches Parteiensystem. Es ist das Bundesland mit der geringsten Parteienbindung. In Ostdeutschland sind ein Prozent der Bevölkerung auch Parteimitglieder, im Westen zwei. Das klingt marginal, ist aber ein großer Unterschied - auch bei der Personalgewinnung. Und gerade wo der Umgangston rauer geworden ist, wollen sich viele dem nicht aussetzen. Parteien im Westen habe einen viel größeren Pool, aus dem sie Ämter mit Leuten besetzen können.
Was bedeuten diese Unterschiede?
Schwächere Parteien bedeuten viel weniger Bindung in die Gesellschaft hinein. Dieser strukturelle Unterschied im Osten wird bei Diskussionen oft vergessen. Westdeutschland wird als Normalfall bewertet, der Osten als Sonderfall. Aber wir sehen in Ostdeutschland eine Entwicklung wie in vielen europäischen Ländern. Wie vor Jahren schon in Polen mit der rechtspopulistischen Regierung, dann in Italien, jetzt in Frankreich und Großbritannien. Dort sind ganze Parteien weggefallen.
Wohin führt das in Sachsen?
Die AfD ist die Partei, die an die Macht will, aber nicht die Spielregeln einer parlamentarischen Parteiendemokratie akzeptieren will. Das ist das Problem. Viele Menschen fragen sich zu Recht, wie diese Partei die demokratischen Regeln verändern wird und sorgen sich um ihre eigene Sicherheit.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | 20. August 2024 | 15:35 Uhr