Politik und Sprache Was die Kernbegriffe der Parteien im Landtag in Dresden wirklich zeigen
Hauptinhalt
20. August 2024, 05:00 Uhr
"Sprache lügt nicht", aber sie zeigt das Menschenbild derer, die sie benutzen. Das wusste schon der Dresdner Philologe Victor Klemperer, als er die Vergiftung der deutschen Sprache in der Zeit des Nationalsozialismus' beschrieb. Sprache in der Politik hat viele Aufgaben: Politiker und Parteien versuchen damit zu überzeugen und Wähler zu mobilisieren. Sie wollen Wogen glätten oder ihr Image aufpolieren. Oft verrät sie auch die Ideologie des Redners. Das zeigt eine Analyse der Landtagsreden.
Der Erfolg von Politikern und Parteien hängt maßgeblich damit zusammen, wie sie sich äußern. MDR Data hat deshalb alle Redebeiträge der fünf im Sächsischen Landtag vertretenen Parteien seit 2019 ausgewertet. Die Analyse zeigt, dass der Sprachcharakter der Parteien grundverschieden ist. Die Abgeordneten der Linken sprechen meist von "Geflüchteten", die der CDU von "Flüchtlingen" und AfD-Abgeordnete von "Asylbewerbern".
Manche Worte tauchen fast ausschließlich in Reden bestimmter Fraktionen auf – zum Beispiel bei den Grünen die "Klimawandelfolgen", die "Grundrente" bei der SPD und die AfD betont am häufigsten die "Gendersprache" und die sogenannte "Masseneinwanderung". Jeder Partei lassen sich einige solcher Kernbegriffe zuordnen, die ihre Reden häufig charakterisieren. Diese Kernbegriffe sind in den unten stehenden Wortwolken abgebildet.
Wie die "Kernbegriffe" definiert sind
- Als "Kernbegriffe" sind jene Worte definiert, die seit 2019 mindestens in zehn verschiedenen Redebeiträgen einer Fraktion vorkamen und – hochgerechnet auf den Redeanteil – mindestens zehn Mal so häufig wie bei allen anderen Fraktionen zusammen.
- Gemeint sind also Begriffe, die regelmäßig und fast ausschließlich von Mitgliedern einer bestimmten Fraktion verwendet werden. Die Ergebnisse sind nach aussagekräftigen Begriffen gefiltert.
- Je mehr Kernbegriffe eine Wortwolke enthält, desto mehr dieser charakteristischen Worte existieren im Vokabular der zugehörigen Fraktion. Je größer ein Begriff abgebildet ist, desto häufiger taucht er in den Redebeiträgen dieser Fraktion auf.
CDU: Die optimistischen Technokraten
Die Kernbegriffe der CDU klingen technokratisch. Die Abgeordneten sprachen von "Unterrichtsversorgung", "Bildungsqualität" und vom "Pandemiegeschehen". Einige Kernbegriffe wie "KMK" (Kultusministerkonferenz) und die "Unterrichtsversorgung" kommen aus der Bildungspolitik – ein Kernthema der sächsischen CDU. Oft war aber auch von "Optimismus" die Rede und von Sachsen als "Kulturreiseland Nummer 1".
"Dass die CDU als Regierungspartei Optimismus verbreitet, ist plausibel", sagt der Medienwissenschaftler und Professor an der Universität Leipzig, Patrick Donges. Auch der Kernbegriff Tourismus sei in der Corona-Zeit und danach wichtig gewesen – zudem sei Tourismus ein wichtiger Wirtschaftszweig für Sachsen. "Bildung ist für eine Landesregierung mit das wichtigste Thema. Und die CDU stellt da ja auch den Kultusminister in der Regierung", sagt Patrick Donges.
AfD: Die ängstlichen Schwarzmaler
Die AfD hat fast so viele Kernbegriffe wie alle anderen Parteien zusammen. Der Wortschatz des in Sachsen als rechtsextremistisch eingestuften Landesverbandes "ist eine komplett andere Sprache. Es sind auch sehr viel mehr Begriffe im Vergleich zu den anderen Landtagsfraktionen", konstatiert der Leipziger Medienexperte Donges.
Viele Begriffe seien ideologisch gefärbt: "Impfzwang", "Genderideologie" oder "Selbstbedienungsmentalität", die "Parteifreunde" im "Elfenbeinturm". Die AfD will Vorgänge und Zustände "beenden". Die werden zuvor negativ beschrieben und abgewertet, weil sie häufiger als die anderen Landtagsfraktionen Entscheidungen oder Vorgänge "unsinnig", "desaströs", "aufgebläht", "unverhältnismäßig" und "woke" fand.
Triggern, was die Redezeit hergibt
Das Gendern brachte die AfD immerzu auf die Tagesordnung, obwohl die anderen Parteien weder Gesprächs- noch Handlungsbedarf erkannten: 96 Mal sprachen AfD-Abgeordnete von "Gendersprache", "Genderideologie", "Gender-Gaga" oder dem "Gendersternchen". Bei Abgeordnete aller anderen Parteien kamen diese Begriffe nur insgesamt 26 Mal vor. Wenn es um Migration ging, dann hieß die bei der AfD "Masseneinwanderung" von "Ausreisepflichtigen". Und ging es ums Thema Energie, dann wurde der "Wärmemarkt" von "Flatterstrom" bedroht.
Medienwissenschaftler Patrick Donges sieht in der Menge der Kernbegriffe viele "Trigger-Themen", die die AfD immer wieder hervorholt. "Die Hauptthemen sind Migration, Anti-Klimapolitik in vielfältigen Abwandlungen und das Gendern." Häufig hängten AfD-Abgeordnete in ihren Reden an Begriffe das Wort Ideologie dran. Allerdings: "Den Ideologievorwurf beobachten wir auch bei anderen Parteien", sagt der Experte Donges.
Das steckt als Kalkül hinter negativer Sprache
Bei der AfD fallen viele negativ gefärbte Wörter auf – kein "Optimismus" wie bei der CDU. "Rechtsextreme Bewegungen leben von einer Rhetorik der Negativität und überschwemmen ihre Anhänger mit negativ formulierten Themen und Nachrichten", sagt dazu Maja Adena vom Berliner Wissenschaftszentrum für Sozialforschung (WZB). Sie ist Co-Autorin einer Studie, bei der über drei Jahre hinweg Wahlpräferenzen und persönliche Zufriedenheit von 5.000 Wählern abgefragt wurden. "Der Spiegel" hat zuerst darüber berichtet.
Rechtsextreme Bewegungen leben von einer Rhetorik der Negativität und überschwemmen ihre Anhänger mit negativ formulierten Themen und Nachrichten.
Angst und Pessimismus verstärken Missmut bei AfD-Wählern
Ergebnis der Analyse: Menschen, die die AfD unterstützen, sind unzufriedener mit ihrem Dasein und bewerten ihre finanzielle Lage schlechter als jene, die andere Parteien bevorzugen. Der Effekt verstärke sich, je intensiver sie sich mit den Parolen der Rechtsaußenpartei beschäftigten. Angst und Pessimismus zu verbreiten, gehöre zum Kalkül der politischen Kommunikation. AfD-Anhänger würden mit negativen Botschaften regelrecht "infiziert".
Überdruss im Parlament
Im Sächsischen Landtag kritisierte Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) mehrfach, dass Debatten zur Migration immerzu "vonseiten der AfD-Fraktion missbraucht" würden, "um zu spalten, mit einem wirklich radikalen Populismus verächtlich zu machen, über Ausländer herzufallen und die politischen Institutionen und Parteien dieses Landes zu diskreditieren." Die Menschen wollten "dieses Bösartige, dieses Verletzende, dieses Niedermachende" aber nicht mehr, sagte er am 1. Juni 2023.
Gehen Sie in diesen Landtag, hören Sie sich egal welche Debatte an, und Sie werden wissen, warum diese Leute nie Verantwortung in unserem Land haben dürfen.
Die Linke: Immer noch eine Schippe drauf
Die Agenda der Linkspartei klingt mit den Begriffen "Niedriglohnland" und "Großkonzerne" bereits an. Während SPD und Grüne von "Klimawandel" sprachen, die AfD den Begriff nicht verwendete, nannten das Rednerinnen und Redner der Linken häufiger als andere "Klimaerhitzung".
"Das hat mich überrascht. Damit hat die Linke beim Sprechen über den Klimawandel noch eine Schippe drauf gelegt", sagt der Experte für politische Kommunikation, Patrick Donges. Wer das Wort verwende, dem sei der Begriff Klimawandel zu schwach. Bei solchen Steigerungen besteht laut Donges auch die Gefahr, dass sich eine Partei zu sehr von ihren Anhängern entfernt.
Die anderen Kernbegriffe zeigten, wie sich die Linke in ihren Landtagsreden von der SPD abzugrenzen versuche. Donges nennt das den Markenkern der Linken in der Opposition: "Probleme in der Gesellschaft bekommen eine ökonomische Bedeutung zugewiesen", daher Begriffe wie "Großkonzerne".
Grüne: Warum einfach, wenn es auch abstrakt geht?
Statt von "Klimaerhitzung", wie die Linke, sprachen die grünen Abgeordneten häufiger über "Klimakrise" oder "Klimawandel" und "Klimawandelfolgen". Das Aussterben ganzer Tier- und Pflanzenarten beschrieben sie als "Biodiversitätskrise", während Äcker und Felder für sie "Landwirtschaftsflächen" waren. "Die Grünen sind in der Kommunikation häufig unverständlicher. Sie benutzen uneindeutigere Begriffe. Die Begriffe aus dem Landtag dürften im Wahlkampf nicht funktionieren", sagt Patrick Donges dazu.
Bei der Sprachwahl der Grünen sei immer noch "ein Extra-Dreh" dabei, was in Landtagsdebatten nicht falsch sei. Im Wahlkampf müsse man den Menschen aber deutlich sagen, worum es gehe.
SPD: Der Hubertus und die Sozialdemokraten
Die Kernbegriffe der sächsischen SPD wie "Sozialpartnerschaft" und "Betriebsräte" oder "Kürzungspolitik" überraschen den Medienwissenschaftler Donges nicht: "Die SPD stellt in Sachsen den Wirtschaftsminister. Seine Themen wurden auch in den Reden nach vorn gebracht." Und: In SPD-Reden wurde vielfach Bezug zum Bundesminister für Arbeit und Soziales, Hubertus Heil, genommen. Dessen Vorname tauchte sehr häufig auf, wenn es um Hilfen, Corona-Folgen und Arbeitsmarktpolitik ging.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | 20. August 2024 | 15:35 Uhr