Eine Frau und ein Mann in einem Büro 4 min
Alles wird teurer: Doch wie können die Preise wieder heruntergehen? Auch darum wird es gehen bei der Bundestagswahl am 23. Februar. Mehr dazu im Video. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Bundestagswahl 2025 | Preise und Inflation Inflation, Schulden, Ansturm auf die Tafeln: "Ich bin aus allen Wolken gefallen"

11. Februar 2025, 08:45 Uhr

Die Schuldner- und Insolvenz-Beratung verzeichnet einen tiefgreifenden Wandel: Während früher vor allem Sozialleistungs-Empfänger Unterstützung suchten, sind es inzwischen zunehmend Arbeitnehmer und sogar Menschen mit mittlerem Einkommen, die finanziell in Schwierigkeiten geraten. Was tun? Hier berichten Betroffene von ihren Erfahrungen – und was sie von einer neuen Bundesregierung wünschen: Teil 4 der MDR-Reihe zur Bundestagswahl in Sachsen-Anhalt.

Immer mehr Menschen in Sachsen-Anhalt geraten in finanzielle Notlage. Während früher vor allem Sozialleistungs-Empfänger von Schulden-Problemen betroffen waren, trifft es mittlerweile zunehmend Arbeitnehmer, Rentner und sogar Menschen mit mittlerem Einkommen. Steigende Lebenshaltungskosten, hohe Mieten und teure Energiepreise belasten Haushalte aller Einkommensgruppen.

Zugleich nimmt die Zahl derer zu, die auf die Unterstützung der Tafeln angewiesen sind. Doch auch dort drohen massive Einschnitte, weil staatliche Fördermittel und personelle Unterstützung durch Arbeitsgelegenheiten (AGHs) gekürzt werden. Die Folgen: Eine wachsende Zahl von Bedürftigen trifft auf immer weniger verfügbare Ressourcen.

Schuldnerberatung: Immer mehr Arbeitnehmer in Not

Wer überschuldet ist, spricht darüber ungern. Das gilt auch für Rudi Schulze (Name geändert; Anm. d. Red.). Der junge Mann hat Schulden von 53.000 Euro angehäuft – unter anderem durch Kredite, die er mit seiner Expartnerin aufgenommen hat. "Ich bin hier, weil meine Expartnerin mir haufenweise Schulden hinterlassen hat, für die ich nun auch gerade stehen muss," erzählt er.

Kristina Wenzel von der AWO Schuldnerberatung im Gespräch mit einem Klienten
Kristina Wenzel von der AWO-Schuldnerberatung im Gespräch mit einem Klienten. Bildrechte: MDR

Anfangs schien alles unter Kontrolle: ein Zeitschriften-Abo, dann ein Kredit fürs Auto, schließlich für einen gebrauchten Wohnwagen. Doch irgendwann wuchsen ihm die Raten über den Kopf. Als er schließlich nicht mehr wusste, wie er seine Rechnungen begleichen sollte, suchte Rudi Schulze Hilfe in der Schuldner- und Insolvenz-Beratung der AWO in Quedlinburg. "Ich habe meinen Ordner hierhergebracht. Es waren so viele Rechnungen und Mahnungen. Der gesamte Schuldenberg von 53.000 Euro. Ich bin fast aus allen Wolken gefallen."

Es waren so viele Rechnungen und Mahnungen. Der gesamte Schuldenberg von 53.000 Euro. Ich bin fast aus allen Wolken gefallen.

Rudi Schulze über seine Schulden

Schuldnerberaterin Kristina Wenzel kennt Fälle wie seinen nur zu gut. Sie beobachtet, dass immer mehr Menschen mit regulärem Einkommen in die Überschuldung rutschen – aus unterschiedlichen Gründen. "Es kamen mehrere Faktoren zusammen. Er kam mit einer Trennungs-Geschichte in der weiter zurückliegenden Vergangenheit", sagt sie und erklärt: "Trennung ist eine ganz typische Überschuldungs-Ursache. Es ist ihm schwergefallen, hierher zu kommen."

Die Gründe für Überschuldung sind vielfältig. Neben klassischen Ursachen wie Trennungen, Krankheitsfällen oder Jobverlusten tragen zunehmend auch digitale Zahlungs-Dienste zur finanziellen Misere bei.

Schuldnerberaterin Kristina Wenzel

Schuldnerberatung in Sachsen-Anhalt verzeichnet immer mehr Anfragen

Die Schuldnerberatungs-Stellen in Sachsen-Anhalt sind derzeit an der Belastungsgrenze. Die Wartezeiten für ein Erst-Gespräch liegen bereits bei fünf bis sechs Wochen, in einigen Regionen sind sie sogar noch länger. 2023 wurden allein bei Kristina Wenzel in Quedlinburg 153 Insolvenzen begleitet, rund 350 Beratungsgespräche geführt und 205 neue Klienten dauerhaft betreut. Die Beraterin sagt: "Die Gründe für Überschuldung sind vielfältig. Neben klassischen Ursachen wie Trennungen, Krankheitsfällen oder Jobverlusten tragen zunehmend auch digitale Zahlungs-Dienste zur finanziellen Misere bei."

Anbieter wie Klarna oder PayPal erleichterten Ratenkäufe und "Buy Now, Pay Later"-Modelle, sodass viele den Überblick über ihre finanziellen Verpflichtungen verlieren. Besonders problematisch sei, dass selbst Bürgergeld-Empfänger Schulden in Höhe von mehreren Tausend Euro aufbauen könnten – Summen, die mit ihrem Einkommen unmöglich zu bewältigen sind.

Mehr Schuldnerberatung auch bei Besserverdienenden

Doch auch für Menschen mit regulärem Einkommen wird die finanzielle Lage immer schwieriger. Wer mit einem Mindestlohn auskommen muss, hat nach Abzügen kaum Spielraum für unerwartete Ausgaben. Auch Besserverdiener sind zunehmend betroffen, insbesondere Selbstständige, die durch Auftrags-Einbrüche oder hohe Steuerforderungen in Zahlungsschwierigkeiten geraten. Da viele Banken keine außergerichtlichen Einigungen akzeptieren, bleibt für viele Schuldner am Ende nur der Gang in die Insolvenz.

So haben die Sachsen-Anhalterinnen und Sachsen-Anhalter bei der vergangenen Bundestagswahl im Jahr 2021 gewählt – mehr Details dazu finden Sie im MDR-Wahlarchiv:

Tafeln in Sachsen-Anhalt erleben Rekord-Andrang

Nicht nur die Schuldnerberatung verzeichnet steigende Anfragen, auch die Tafeln sind zunehmend überlastet. In Sachsen-Anhalt gibt es 35 Tafeln, die fast 50.000 Menschen mit Lebensmitteln unterstützen. Doch die Zahl der Bedürftigen steigt stetig.

Kai-Gerrit Bädje
Kai-Gerrit Bädje vom AWO-Kreisverband Harz. Bildrechte: MDR/Lars Frohmüller

Während früher hauptsächlich Sozialleistungs-Empfänger das Angebot nutzten, kommen inzwischen immer mehr Erwerbstätige hinzu, weil ihr Lohn nicht mehr ausreicht. Kai-Gerrit Bädje, der nicht nur die AWO-Schuldnerberatung leitet, sondern auch Vorsitzender der Tafeln in Sachsen-Anhalt ist, beobachtet diese Entwicklung mit Sorge. "Wir merken, dass sich zunehmend mehr Menschen bei uns melden – aus verschiedenen Schichten der Gesellschaft."

Wir merken, dass sich zunehmend mehr Menschen bei uns melden – aus verschiedenen Schichten der Gesellschaft.

Kai-Gerrit Bädje Landesvorsitzender der Tafeln in Sachsen-Anhalt

Die Zahlen sprechen für sich. Bädje sagt: "2016 lag der Anteil der Arbeitnehmer unter den Tafel-Kunden noch bei 34 Prozent. 2024 waren es bereits 48 Prozent." Bei Sozialleistungs-Empfängern ist der Anteil dagegen auf 38 Prozent gesunken. Besonders betroffen seien Alleinerziehende, Rentner und Geringverdiener. Ein Beispiel dafür ist Andreas Hiebel. Der 61-Jährige kann aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in Vollzeit arbeiten und lebt von Bürgergeld. "Man lässt natürlich vieles weg: Bei den Lebensmitteln zum Beispiel – viele Sachen, die ich vor zehn Jahren gekauft habe, lasse ich jetzt stehen, weil ich eine Preisgrenze habe, für die ich es nicht mehr kaufe."

Hiebel arbeitet als 1-Euro-Jobber bei der Tafel – ein Modell, das in Zukunft stark reduziert werden soll. Die Tafeln sind auf Arbeitsgelegenheiten (AGHs) angewiesen, doch die Bundesregierung plant massive Kürzungen. Statt bisher 16 Arbeitsgelegenheiten sollen künftig nur noch fünf bis sieben erhalten bleiben. Die Folge: ein enormer personeller Verlust, den Ehrenamtliche nicht vollständig ausgleichen können.

Betroffene wünschen sich mehr Ehrlichkeit beim Blick in die Zukunft

Für Andreas Hiebel bedeutet die Tafel nicht nur, ein bisschen Geld dazu zu verdienen, sie ist auch ein sozialer Anlaufpunkt. Ihm ist wichtig, dass dieser Ort erhalten bleibt. Aber auch, dass eine zukünftige Bundesregierung nötige Veränderungen klar kommuniziert: "Ich würde mir von der neuen Bundesregierung wünschen, dass sie mehr Ehrlichkeit zeigt und dem Volk mal sagt, wo wir stehen und das es eben schwierige Zeiten werden. Dann würden das alle sicherlich verstehen und mitmachen und der Zwiespalt im Volk würde dann nicht so sein."

Wie wollen die Parteien Deutschland gestalten? Hintergründe zu den Wahlprogrammen finden Sie hier.

Mehr zur Bundestagswahl in Sachsen-Anhalt

MDR (Lars Frohmüller) | Erstmals veröffentlicht am 09.02.2025

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 09. Februar 2025 | 19:00 Uhr

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