"Einer der größten Hubschrauberstandorte der Nato" Wo der Himmel über Deutschland verteidigt wird: Besuch auf dem Fliegerhorst Holzdorf
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18. Oktober 2024, 08:33 Uhr
Der russische Angriffskrieg in der Ukraine verdeutlicht, dass auch Deutschland wieder darüber nachdenken muss, wie man sich im Ernstfall verteidigt. In Holzdorf bei Jessen rüstet die Bundeswehr mit neuen Hubschraubern und einem hochmodernen Raketenabwehrsystem auf. Wie blicken die Beteiligten darauf? MDR SACHSEN-ANHALT hat den Fliegerhorst und den Ort besucht.
- Sascha Bleibohm kommandiert die Lufttransportgruppe des Hubschraubergeschwaders 64 – bald mit noch größeren und stärkeren Hubschraubern.
- Auf dem Fliegerhorst Holzdorf wird der gesamte deutsche Luftraum überwacht – und der Ernstfall geprobt.
- Im Ort Holzdorf blickt man mit gemischten Gefühlen auf den Ausbau des Bundeswehrstandorts.
Es ist laut auf dem Fliegerhorst in Holzdorf – genau so soll es sein. "Ich bin sehr froh, wenn auf einem Flugplatz auch geflogen wird", sagt Oberstleutnant Sascha Bleibohm. Etwa einhundert Meter entfernt starten seine Soldaten gerade einen der 20 Mittleren Transporthubschrauber vom Typ CH 53, die hier am Standort stationiert sind. Da stört es Bleibohm auch nicht, dass er im Interview deutlich lauter sprechen muss als gewöhnlich, um bei all dem Lärm verstanden zu werden.
"Das Herz der Kameraden hängt an dieser Maschine", erzählt Bleibohm. Mit den Mittleren Transporthubschraubern waren er und seine Soldaten weltweit im Einsatz. Doch es sei in die Jahre gekommen. "Wir bekommen ein neues System", sagt er. Man merkt ihm die Vorfreude an. 47 neue Schwere Transporthubschrauber vom Typ CH-47 Chinook sollen in Holzdorf im Landkreis Wittenberg stationiert werden. "Damit werden wir hier einer der größten Hubschrauberstandorte der Nato außerhalb der USA", sagt der Oberstleutnant.
Die Vorbereitungen für den Einsatz der zukünftigen Hubschrauber laufen bereits. Schon jetzt seien deutsche Piloten und Techniker in den Vereinigten Staaten, in Großbritannien und den Niederlanden, um auf dem neuen System ausgebildet zu werden. "Damit dann, wenn die Maschinen im Herbst 2027 kommen, auch das ausgebildete Personal da ist", erklärt Bleibohm. Die Bundeswehr will mit den neuen Hubschraubern direkt einsatzbereit sein.
Ausbildung am neuen Chinook-Helikopter steht im Vordergrund
Doch nicht nur im Ausland werden Soldaten ausgebildet, auch hier in Holzdorf zwischen demn sachsen-anhaltischen Jessen und dem brandenburgischen Herzberg. Die Piloten, die hinter Oberstleutnant Bleibohm gerade mit dem Hubschrauber starten, werden gleich das Aufnehmen, Transportieren und Absetzen von Ladung aus der Luft üben.
Einige hundert Meter weiter bereiten Soldaten am Boden einen Anhänger entsprechend vor. Sie befestigen Seile am Gestell. Wenige Minuten später fliegt der Hubschrauber heran. Über nahegelegenen Baumwipfeln dreht er noch eine Runde, bevor er sich der Freifläche nähert, auf der der Anhänger inzwischen bereit zum Abtransport ist. Ein großes Schild warnt Unbefugte davor, den Bereich zu betreten.
Etwa fünf Meter schwebt der Hubschrauber nun über dem Boden. Während die Soldaten die Seile des Anhängers mit dem am Hubschrauber verbinden, müssen sie dem Wind standhalten, den die Rotorblätter erzeugen. Als alles passt, laufen sie bis auf sichere Distanz. Die Piloten heben wieder ab. Unter dem Hubschrauber werden die Seile auf Spannung gezogen und schließlich schwebt auch der Anhänger in der Luft, ehe Hubschrauber und Anhänger in der Ferne verschwinden.
Neue Hubschrauber für Holzdorf: "Die Königsklasse"
Vom Tower aus beobachten drei Soldaten das Geschehen. Sascha Bleibohm stattet ihnen einen Besuch ab. Von hier oben kann man den gesamten Fliegerhorst überblicken. Außerdem ist es deutlich ruhiger als draußen. Und so muss Bleibohm auch nicht mehr ganz so laut sprechen wie noch vorhin.
Er fliege nach wie vor selbst – und das auch sehr gerne, erzählt er. "Es kommt leider nicht mehr so häufig vor, wie ich mir das wünschen würde, weil der Aufgabenbereich als Kommandeur doch sehr umfangreich ist", sagt Bleibohm. Trotzdem sei der Reiz sehr groß, dann auch mal den neuen Schweren Transporthubschrauber zu fliegen, den die Bundeswehr gerade beschafft.
Der Schwere Transporthubschrauber ist die Königklasse, wenn ich das so sagen darf.
"Der Schwere Transporthubschrauber wird wohl das letzte Modell, das ich dann auch fliegen darf und werde." Der 42-Jährige, der seit einem Jahr das Kommando über die in Holzdorf ansässige Lufttransportgruppe des Hubschraubergeschwaders 64 hat, bezeichnet den Schweren Transporthubschrauber als "Königsklasse". Die Maschine biete der Bundeswehr neue Möglichkeiten wie das Betanken in der Luft oder auch bei der bewaffneten Suche und Rettung von Personen.
Neue Waffen für die Bundeswehr
Im vergangenen Jahr hat das Bundesverteidigungsministerium insgesamt 60 neue Hubschrauber vom Typ CH-47 bestellt. Die meisten davon, nämlich die bereits erwähnten 47, werden in Holzdorf stationiert, sobald sie produziert und ausgeliefert sind. Damit die neuen Maschinen auch Platz auf dem Fliegerhorst finden, wird gebaut. Unter anderem soll eine neue Halle entstehen. Die Baumaßnahmen haben jedoch gerade erst begonnen und so ist auf dem Fliegerhorst davon bislang kaum etwas zu sehen. Bis 2027 hat man noch Zeit, dann sollen die neuen Hubschrauber in Holzdorf ankommen.
Raketenabwehrsystem Arrow
Und noch etwas Anderes wird neu dazukommen: Die Bundeswehr installiert am Standort, der sowohl in Sachsen-Anhalt als auch in Brandenburg liegt, das Raketenabwehrsystem Arrow. Damit soll es unter anderem möglich sein, Raketen oberhalb der Atmosphäre abzufangen und zu zerstören. In diesem Zuge wird das Personal am Standort um 700 militärische und zivile Beschäftigte aufgestockt. Auch ein Radar, das der Überwachung des Luftraums dient, soll noch gebaut werden.
Der Himmel über Deutschland
Schon jetzt ist Holzdorf einer von zwei Bundeswehrstandorten, von dem aus der gesamte Luftraum über der Bundesrepublik überwacht wird. In einem unterirdischen Bunker sitzen Soldaten vor dutzenden Bildschirmen und kontrollieren alle Bewegungen am Himmel. Wer die Anlage betreten möchte, muss alle elektronischen Geräte draußen lassen. Auch Kameras und Mikrofone des MDR müssen vor der Tür bleiben.
Die Sicherheit am Himmel über Deutschland wird hier vom Einsatzführungsbereich 3 und dessen Kommandeur Oberst Karsten Olf sichergestellt. An diesem Tag findet eine Übung mit den Nato-Nachbarländern statt, in der die Soldatinnen und Soldaten mit verschiedenen Szenarien konfrontiert werden – auch Krisen- und Kriegsfälle. "Das haben wir aber auch schon vor Dekaden gemacht", betont Olf. Es bestehe also kein unmittelbarer Zusammenhang zum russischen Angriffskrieg in der Ukraine.
Trotzdem spürt Olf, dass die Zeiten unsicherer geworden sind: "Ich stelle fest, dass sich die globale Sicherheitslage, seit ich bei der Bundeswehr bin – und das war nach der Wende, das heißt, ich komme aus einer Zeit des Friedens – im Laufe der letzten Jahre aus meiner persönlichen Perspektive verschlechtert hat." Es gebe jede Menge Krisen auf der Welt, die sowohl die Bundeswehr als auch ihn bewegten.
Die globale Sicherheitslage hat sich im Laufe der letzten Jahre verschlechtert.
Wie groß ist da die Gefahr, dass auch Holzdorf zum Ziel ausländischer Angriffe werden könnte? Der Fliegerhorst bilde mit der Luftraumüberwachung, der Luftverteidigung und dem Lufttransport die Kernfähigkeiten der Luftwaffe ab und sei zentral, betont Oberst Karsten Olf. Damit könnten die militärischen Einrichtungen hier "natürlich auch zu einem Ziel werden, aber sie leisten einen essenziellen Beitrag für unser aller Sicherheit".
Bürgermeister über Holzdorf: "Ich bin sehr traurig"
Unwohl mit dem Gedanken, möglicherweise zu einem militärischen Ziel zu werden, sollte Deutschland angegriffen werden, fühlt sich Michael Jahn. Er ist Bürgermeister der Stadt Jessen, zu der auch der Ortsteil Holzdorf gehört. "Deshalb kann hier keiner euphorisch sein, dass dieser Standort aufgebaut werden muss", sagt der SPD-Politiker.
Trotz Krankheit nimmt er sich Zeit für ein Gespräch. "Ich bin sehr, sehr traurig und erbittert, dass wir wieder in die Zeiten des vorherigen Jahrhunderts zurückkehren", erzählt er. Jahn hat selbst eine Militärvergangenheit. 1984 kam er in der DDR als Leutnant und ausgebildeter Jagdflieger nach Holzdorf, wie er sagt. Unmittelbar nach der Wende wurde er von der Bundeswehr entlassen. Zwar habe er damit einen guten Beruf verloren, die Abrüstung in der Welt sei jedoch ein großer Gewinn gewesen.
Trotzdem sieht er angesichts des Ukraine-Krieges die Notwendigkeit, den Bundeswehrstandort in Holzdorf auszubauen, um verteidigungsfähig zu bleiben. Aller Voraussicht nach wird damit auch die Stadt wachsen. Zumindest darin sieht Jahn etwas Positives: "Wenn ich mir vorstelle, dass sich in den nächsten sechs bis acht Jahren vielleicht 300, 400 junge Familien hier niederlassen – und dafür ist die Infrastruktur in der Stadt vorhanden –, dann wäre das eine wunderbare Geschichte für unsere Demografie."
Hier können Sie ein Interview mit Michael Jahn aus dem Sommer 2023 – kurz nach Bekanntwerden der Pläne, Arrow 3 in Holzdorf zu stationieren, hören.
Die Infrastruktur gab es schon mal
Um die Infrastruktur um den Fliegerhorst den Bedarfen für die Bundeswehr entsprechend anzupassen, hat Sachsen-Anhalt eine Task Force gegründet – wie zuvor schon das Nachbarland Brandenburg. Es geht um Verkehrsplanung, Schulen oder Wohnraum, geleitet vom Infrastrukturministeriums.
Wohnraum gibt es nahe des Militärgeländes. Der Fliegerhorst, den heute die Bundeswehr nutzt, wurde schon zu DDR-Zeiten errichtet und von der Nationalen Volksarmee (NVA) genutzt. Die Soldaten, die auf dem Fliegerhorst stationiert waren, wohnten in einem angrenzenden Wohnpark – Holzdorf-Ost.
Ehemalige NVA-Soldaten erzählen über Holzdorf
Zwei ehemalige NVA-Soldaten, die hier einst wohnten, sind Alfred Lehmann und Uwe Gäbelein. Sie wurden nach der Wende von der Bundeswehr übernommen. Im vergangenen Jahr haben sie sich schon einmal mit MDR SACHSEN-ANHALT getroffen. Sie erzählten davon, wie der Ort immer leerer wurde, weil viele Bundeswehrsoldaten lieber pendelten, statt sich dort niederzulassen. Heute leben rund vier von fünf Mitarbeitern nicht mehr in direkter Nähe zum Fliegerhorst, wie es von der Bundeswehr heißt.
Die beiden Männer leben immer noch in Holzdorf, nur eben nicht mehr im Wohnpark in Holzdorf-Ost. Nun erzählen sie wieder. Hier habe fast alles zugemacht, berichtet Lehmann. Er zeigt auf eine zerfallene Eingangstreppe und eine Haustür. Das sei mal eine Gaststätte gewesen, jetzt stehe sie leer. Auch auf der anderen Straßenseite sieht man ein leeres Schaufenster. "Zu vermieten", steht auf einem Zettel. So ziehe wohl kein neuer Soldat nach Holzdorf, glaubt Lehmann.
Die meisten Betriebe, die hier mal waren, hätten schließen müssen, weil sie nach der Wende keinen Nachwuchs fanden, berichtet er. "Dadurch fahren viele Holzdorfer eben ins Umland zum Arbeiten" – teilweise gar bis Berlin, wie Lehmann sagt. Mit dem Zug sind es knapp anderthalb Stunden bis in die Hauptstadt – ohne umsteigen zu müssen.
Die Bahnstrecke wird zudem ausgebaut. Dann soll stündlich ein Zug nach Berlin fahren, wie Lehmann erklärt. Das erleichtert das Pendeln natürlich und macht es attraktiver. Und so glaubt er, dass die Soldaten und Mitarbeiter der Bundeswehr auch weiterhin lieber woanders wohnen werden. Holzdorf werde kaum vom Ausbau des Fliegerhorstes profitieren, befürchtet Lehmann.
Sein langjähriger Freund Uwe Gäbelein hatte schon im vergangenen Jahr gesagt: "Es ist unter den gegenwärtigen Umständen eher schwierig für junge Familien, hier Fuß zu fassen. Denn die Arbeitsplätze für Familienangehörige von Soldaten, die es bedarf, gibt es gegenwärtig noch nicht."
Ein Teufelskreis, den sie hier in Holzdorf noch nicht durchbrochen sehen.
Korrekturhinweis: In einer ursprünglichen Fassung hieß es im Text, Sascha Bleibohm kommandiere das Hubschraubergeschwader 64. Das ist nicht korrekt. Er ist Kommandeur der Lufttransportgruppe des Hubschraubergeschwaders 64. Wir haben dies korrigiert und bitten für diesen Fehler um Entschuldigung.
Über die angespannte weltpolitische Lage und die Sorgen vor einer neuen Aufrüstung diskutiert am Montag, 14. Oktober, auch FAKT IST! aus Magdeburg.
MDR (Engin Haupt, Beatrix Heykeroth), zuerst veröffentlicht am 13.10.2024
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 14. Oktober 2024 | 19:00 Uhr
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