MdB, Vorsitzender Verteidigungsausschuss des Deutschen Bundestages
Bildrechte: Susanne Schmidt

Verteidigungsparlamentarier Marcus Faber "Russland greift uns digital längst an"

05. Oktober 2024, 14:59 Uhr

Im Verteidigungsausschuss hat er die Nachfolge der streitbaren Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) übernommen und kommt aus Stendal. Für Marcus Faber ist klar: Deutschland muss sich militärisch besser aufstellen. Er sagt, wir könnten die Welt nicht nach unseren Wünschen gestalten.

Ein großer Mann mit Locken und Brille steht vor einer Betonwand.
Bildrechte: MDR/Viktoria Schackow

Geradeheraus, direkt und kaum zu erschüttern; ruhig und energisch. Marcus Faber wirkt wie ein typischer Altmärker. "Der Unaufgeregte" nennt ihn die Wochenzeitung des Bundestages. Er ist 40 Jahre alt und seit dem Sommer der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag. Den Posten hat er von Agnes Strack-Zimmermann übernommen, die auch immer klare Worte fand.

Faber ist in Stendal aufgewachsen – 500 Meter von einer sowjetischen Kaserne entfernt. Seine Mutter ist Kassiererin, sein Vater Taxifahrer. Als er 17 ist, tritt er der FDP bei, macht nach dem Abi seinen Wehrdienst in Havelberg, studiert in Potsdam Politikwissenschaft, dort lehrt er auch und macht seinen Doktor in Politikwissenschaft. Faber hat im Bundestag und im Landtag von Brandenburg gearbeitet und sitzt seit 2017 als FDP-Abgeordneter im Bundestag. Er war für die FDP Mitglied im Stadtrat von Stendal und im Kreistag, ist stellvertretender Landesvorsitzender der FDP in Sachsen-Anhalt und Mitglied im Bundesvorstand seiner Partei.

Digital leben

Alle anzeigen (84)

Im Podcast sagt Faber auch, wie viel KI derzeit in deutschen Waffensystem steckt, was Start-ups aus dem Rüstungsbereich bewirken können und warum Universitäten auf sogenannte Zivilklausel verzichten sollten, die Forschung zu militärischen Zwecken ausschließt.

"Deutschland kann von Israel, Taiwan und der Ukraine lernen"

Als Deutschlands oberster Verteidigungsparlamentarier ist für ihn eines ganz klar: Deutschland muss die Ukraine unterstützen. "Ich bin ein Freund von Demokratien, die einen schweren Stand haben", sagt Faber. Er engagiert sich in der Deutsch-Israelischen und der Deutsch-Taiwanischen Gesellschaft. Von beiden Ländern könne Deutschland viel für seine Verteidigung lernen: "Israel Luftverteidigung und von Taiwan können wir lernen, wie wir mit einer permanenten Bedrohung leben können."

Von der Ukraine könne Deutschland im Bereich KI und Drohnen lernen, sagt Faber. All das sollte möglichst schnell passieren. Der Spiegel berichtete im Juli vom Operationsplan Deutschland. Darin muss die A2-Brücke über die Elbe als Beispiel herhalten: Würde sie zerstört, fehlte es der Nato an einer wichtigen Nachschublinie.

Der Generalinspektor der Bundeswehr geht davon aus, dass Russland ab 2029 in der Lage ist, die Nato anzugreifen. Faber sagt: "Ich war jetzt in Lettland und Litauen, die gehen von 2027 aus. Klar ist, Putin greift seine Nachbarländer an. Er wird nicht aufhören, wenn er in der Ukraine erfolgreich sein sollte." Deswegen sagt Faber zur A2-Brücke auch: "Es gibt viele Brücken in Deutschland. Es geht darum, dass wir eine vernünftige Luftverteidigung haben." Damit würden nicht nur Brücken sondern auch die Bevölkerung geschützt.

"Digital greift uns Russland längst an"

Neben klassischen Infrastrukturen sieht Faber auch die digitalen in Gefahr. "Die größte Bedrohung dabei ist Desinformation, Spionage und der Angriff auf kritische Infrastrukturen." Wenn Landkreise lahmgelegt würden und Meldeämter nicht mehr funktionierten, dann müssten sich auch Krankenhäuser Gedanken machen, ob Daten oder Stromversorgung vor digitalen Angriffen geschützt sind, sagt Faber im MDR SACHSEN-ANHALT Podcast "Digital leben".

"Das sind russische Maßnahmen, die in Deutschland bereits erfolgen. Das sind vorbereitende Maßnahmen." Das habe man vor dem russischen Angriff auch in der Ukraine gesehen. Faber sagt, man könne davon ausgehen, dass Putin sich in bestimmte digitale Infrastrukturen in Deutschland eingehackt habe, um auch ein Bedrohungsszenario zu schaffen und verschiedene Eskalationsstrukturen aufzubauen. Eine Recherche von NDR, WDR und SZ hatte ergeben, dass russische Schiffe die Infrastrukturen von Datenkabeln in der Ostsee ausspionieren.

Bundeswehr mit neuer Teilstreitkraft

Deshalb muss auch die Bundeswehr ihre digitalen Infrastrukturen schützen. "Und wenn die digitale Infrastruktur nicht mehr funktioniert, dann sind ein Panzer, ein Flugzeug oder ein Schiff nur ein Haufen Stahl ohne Funktion." Die Bundeswehr hat deshalb seit Mai – neben Heer, Marine und Luftwaffe – eine vierte Teilstreitkraft. Das CIR – die Abkürzung steht für Cyber- und Informationsraum. Das CIR sei dabei, Fähigkeiten zu erwerben und können sich dabei gut bei ukrainischen Soldaten informieren. "Wir haben viel nachzuholen. Aber es ist schon ein bisschen was passiert".

Beim russischen Krieg gegen die Ukraine sei zum Beispiel das sogenannte Jamming im Einsatz: Dabei stören die Kriegsparteien ihre Kommunikation – Signale für Funk, Drohnen oder GPS. Von GPS-Störung ist mitunter auch die zivile Luftfahrt betroffen und wirkt sich auf die Mobilität in der Ukraine und Russland aus. Die Ukraine würde diesem Jamming begegnen, indem sie Drohnen ausschickt, die sich selbst steuern würden – und die aufklären oder Panzer angreifen.

Krieg um die Ukraine: Testfeld für neue Technologien

Er sei zuletzt im Juni in der Ukraine gewesen und habe sich solche Systeme zeigen lassen. Bei autonomen Drohnen und Waffen würde gerade ganz viel passieren. Damit müsse man sich auseinandersetzen. "Das wird auch nicht aufhören." Problematisch finde er aber, wenn dort kein Mensch mehr sei, der der Analyse der Drohne zustimme und das letzte "Go" für einen Schuss gebe.

"Aber das kann man problematisch finden oder nicht, beide Seiten in diesem Konflikt nutzen diese Technik", sagt Faber im MDR SACHSEN-ANHALT Podcast "Digital leben". Und jeder Krieg sei natürlich ein Testfeld für militärische Technik. "Das führt immer zu einer Weiterentwicklung von militärischer Technik. Das sehen wir auf der russischen und der ukrainischen Seite."

"Schnell mehr Geld für die Ukraine"

Die Unterstützung der Ukraine hält Faber für eine richtig gute Investition. "Denn die Ukraine hilft uns extrem, Putins Bedrohungspotenzial abzubauen. Tag für Tag hat Putin weniger Panzer und weniger Raketen." Faber würde der Ukraine schnell mehr Geld geben. "Damit wir nicht die nächsten zehn Jahre dort investieren müssen, sondern damit die Ukrainer ihr gesamtes Land kontrollieren und Putin sieht, er kommt nicht durch und seinen den Angriffskrieg abbricht." Aber dafür fehle derzeit wohl der politische Wille.

Im Krieg gehe es darum, den Angreifer aufzuhalten und seine Angriffsfähigkeit zum Erliegen zu bringen. "In der Ukraine sehen wir natürlich auch ein Stahlgewitter. Dort ist die Frage, ob es noch jemanden gibt, der die Drohne bedienen kann und wie weit weg ist, um nicht vom Artillerieschlag erwischt zu werden." Das seien sehr analoge Themen, auf die man sich vorbereiten müsse.

Ein Soldat richtet sein Gewehr auf eine Drohne
Symbolbild: Wie verändern KI-Waffen Krieg? Bildrechte: IMAGO/Depositphotos

"Wir können uns die Welt nicht einfach zusammen wünschen"

Mit solchen Beispielen will Faber zeigen, wie die Welt gerade tickt und wie wenig in Deutschland diese Realität wahrgenommen wird. "Ich glaube, wir haben uns lange die Welt einfach zusammen gewünscht. Andere wünschen sich eine andere Welt. Andere greifen ihre Nachbarländer an."

Und das Digitale habe die Lage weiter verschärft. "Wir haben in den vergangenen fünfzehn Jahren mehr Angriffe gesehen." Die E-Mail-Konten im Bundestag würden alle "drei bis sechs Monate mal gehackt", so Faber. Wer darüber noch Geheimnisse verschicke, sei wirklich schlecht beraten. "Aber man muss sich ehrlich machen: Das hackt sich nicht von alleine. Das ist kein Erdbeben. Das ist auch kein Orkan. Das tun Menschen." Wenn er sensible Themen bespreche, müssten Smartphones in den Flugmodus versetzt, ausgeschaltet oder vor dem Raum deponiert werden.

"Die Bundeswehr hat einen Mega-Investitionsstau"

Faber setzt sich dafür ein, dass die Bundeswehr mehr Geld erhält. In diesem Jahr würde Deutschland erstmals zwei Prozent des Bruttosozialprodukts für Landes- und Bündnisverteidigung ausgeben. Es gebe bei der Bundeswehr einen Mega-Investitionsstau. "Wir haben Hubschrauber und Panzer, die sind älter als ich. Wenn Sie mit einem Oldtimer bei einem Formel-1-Rennen antreten, haben Sie schlechte Karten."

KI-Technologien seien bei der Bundeswehr noch nicht sehr verbreitet. "Bei Verteidigungssystemen von Schiffen oder Flugzeugen gibt es eine automatisierte Erkennung und Bekämpfung. Aber selbstlernend ist davon zu wenig." Bei deutschen Rüstungsunternehmen sei das anders.

"Es geht um Abschreckung"

Aber Faber sieht die Bundeswehr auf einem guten Weg. "Wir haben die Hälfte des Investitionsstaus abgearbeitet. Auch wenn dort noch die andere Hälfte übrig ist – die Geschwindigkeit hat zugenommen." Wenn Deutschland so weitermache, haben die Bundeswehr innerhalb der Nato bis 2029 eine ernsthafte Verteidigungsfähigkeit aufgebaut. Unsere Demokratie müsse überlebensfähig und verteidigungsfähig sein.

"Es geht darum, dass man kämpfen kann, um nicht kämpfen zu müssen", sagt Faber. Durch Abschreckung solle der Gegner sehen, dass ein Angriff nicht erfolgreich sein wird. "Der Schulhofschläger sucht sich immer den Schwächsten auf dem Schulhof. Also versucht man nicht der Schwächste zu sein." Und das seien Deutschland und die EU bei weitem nicht, sagt Faber. "Wir sind der größte Binnenmarkt der Welt. Wir haben eine Bevölkerung von über 500 Millionen Leuten. Ein Vielfaches von Russland!"

Unsere Wirtschaftskraft drücke Russland komplett an die Wand. "Wenn wir das wollen, kriegen wir das in den Griff. Die Frage ist, ob wir uns schlafen legen und uns die Welt schön wünschen, bis es zu spät ist", sagt Marcus Faber aus Stendal, Deutschlands oberster Verteidigungsparlamentarier.

Dieser Text entstand im Rahmen einer Recherche für den MDR-Podcast "Digital leben" zum Thema Angriff und Verteidigung in digitalen Zeiten. Wir möchten die Diskussion des Thema unter einem Artikel bündeln. Wir freuen uns über Ihre Beiträge unter dem verlinkten Artikel.

Mehr von Digital leben

MDR (Marcel Roth)

Mehr aus Sachsen-Anhalt