Wohnungsnot und Fachkräftemangel Die Rückkehr der Werkswohnungen
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19. Oktober 2024, 07:37 Uhr
Im Spannungsfeld zwischen Fachkräftemangel und dem zunehmenden Mangel an bezahlbarem Wohnraum wird das Prinzip der Werkswohnungen wieder beliebter. Unternehmen bieten dabei nicht nur den Job an, sondern auch eine Wohnung. Neu ist das Prinzip nicht.
- Mitarbeiterwohnen als Stellschraube, um Wohnungsmarkt zu entlasten.
- Verschiedene Möglichkeiten der Förderungen und Kooperationen.
- Werkswohnungen häufig im Gesundheitssektor und der Gastronomie.
- Wohnungen für Pflegefachkräfte: Ein Beispiel aus Sachsen.
- Werkswohnungen: Gängiges Modell schon im 19. Jahrhundert.
Bei der Suche nach Fachkräften ist von Betrieben und Unternehmen mittlerweile vor allem eines gefragt: Kreativität. Wer Arbeitskräfte sucht, muss ihnen heute oft mehr als die reine Arbeitsstelle oder den Zuschuss zum Jobrad bieten. In Zeiten, in denen der Mangel an bezahlbarem Wohnraum auf Fachkräftemangel stößt, dränge sich vor allem eine Möglichkeit auf, sagt der Präsident der Deutschen Mieterbunds, Lukas Siebenkotten: "Sich als Arbeitgeber schlichtweg selbst um bezahlbaren Wohnraum zu kümmern und sogenannte Werkswohnungen zur Verfügung zu stellen." Wohnungen also, in denen Mitarbeitende und deren Familien zu günstigen Preisen und arbeitsplatznah leben können.
Stellschraube für Entlastung des angespannten Wohnungsmarkts
Der Stadt- und Regionalplaner Leon Kesselhut beschäftigt sich für das private Forschungs- und Beratungsinstitut RegioKontext seit nunmehr zwei Jahren intensiv mit dem Thema Mitarbeiterwohnen. Auch er sieht das Angebot als Instrument für eine funktionierende Personalpolitik und sagt: "Die Schaffung von Wohnungen für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter besitzt das Potenzial, angespannte Wohnungsmärkte zu entlasten."
Gemeinsam mit dem Team Mitarbeiterwohnen von RegioKontext berät er Städte, Kommunen oder auch Unternehmen zum Prinzip der Werkswohnungen, erstellt unter anderem Studien und auch Leitfäden für Unternehmen. RegioKontext schätzt, dass pro Jahr etwa 10.000 neue Wohnungen für Mitarbeiter entstehen könnten. Und das nicht nur bei großen Betrieben wie VW oder BASF, sondern auch im Mittelstand, sagt Kesselhut.
Wohnungsbau: Möglichkeit von Kooperationen und Förderung
Eine offensichtliche Frage drängt sich auf: Wo kommt der Wohnraum her? Hier gebe es eine Vielzahl an Möglichkeiten, sagt Kesselhut. In den Bundesländern Bayern, Baden-Württemberg und Mecklenburg-Vorpommern zum Beispiel gebe es bereits eine staatliche Förderung, die den Bau von Wohnungen für Beschäftigte finanziell unterstützt. In Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt gibt es eine solche Förderung nicht. Das bestätigten die zuständigen Ministerien der drei Länder auf Anfrage von MDR AKTUELL.
Deutschlandweit kann im Rahmen der Sozialen Wohnraumförderung unter anderem die Bereitstellung preiswerter Mietwohnungen unterstützt werden.
Mitarbeiterwohnungen müssten nicht zwangsläufig über Neubauten geschaffen werden, sagt Kesselhut. Es bestehe darüber hinaus beispielsweise die Möglichkeit von Wohnungsunternehmen, sogenannte Belegrechte für Wohnungen zu erwerben. "Ein Unternehmen kauft für eine gewisse Summe die Rechte an einer bestimmten Anzahl an Wohnungen, im Gegenzug sichert der Eigentümer zu, dass die Mitarbeitenden des Unternehmens dort zu moderaten Preisen wohnen können." Das könne einerseits der Fachkräftesicherung dienen, wenn bereits beim Unternehmen Angestellte dort einziehen. Aber anderserseits auch der Fachkräftegewinnung, wenn neue Mitarbeiter angeworben werden.
Wohnungsbau: "Grundstückspreise sind wahre Preistreiber"
Sei ein Unternehmen in der vorteilhaften Lage, ein Grundstück zu besitzen, bestehe ebenfalls die Möglichkeit der Kooperation mit Wohnungsunternehmen, sagt Kesselhut. "Das Grundstück ist meistens eine sehr hohe Kostenstelle beim Wohnungsbau. Boden in Deutschland hat sich in den vergangenen Jahren, insbesondere in Metropolregionen mit angespannten Wohnungsmärkten, stark verteuert, und Grundstückspreise sind wahre Preistreiber." Spare sich ein Wohnungsunternehmen also den Kauf eines Grundstücks, falle ein enormer Kostenfaktor beim Bau weg. Eine Ersparnis, die sich auch auf die Mietpreise auswirke. "Ob man Mitarbeiterwohnen umsetzt oder nicht, ist heutzutage eher die Frage, ob man dem Thema offen gegenüber steht oder nicht", sagt der Stadt- und Regionalplaner.
Boden hat sich stark verteuert.
Branchen: Anwendung vor allem im Gesundheitssektor und der Hotellerie
Die Branchen, in denen das Prinzip der Werkswohnungen zur Anwendung kommt, seien vielfältig. Am häufigsten jedoch werde es in den Bereichen Hotellerie, wo viele Saisonarbeiter zum Einsatz kommen, und im Gesundheitssektor umgesetzt, sagt Kesselhut.
Wohnungen im Gesundheitssektor: Ein Beispiel aus Leipzig
Wer den Leipziger Stellenmarkt im Sektor Pflege durchforstet, stößt schnell auf ein Unternehmen im Umland, das neben diversen anderen betrieblichen Benefits auch möglichen Wohnraum anbietet. Die Michels-Gruppe betreibt drei Kliniken in Sachsen, darunter auch das Neurologische Rehabilitätszentrum in Bennewitz im Leipziger Umland.
Wer sich dort beispielsweise um einen Ausbildungsplatz als Pflegefachkraft oder etwa als Physiotherapeut bewirbt, kann entweder eine Mitarbeiterwohnung oder Hilfe bei der Wohnungssuche in Anspruch nehmen.
Willkommenskultur und Bindung ans Unternehmen
Das Angebot werde sehr gut angenommen, sagt Gerlind Kubatz, Prokuristin und Leiterin des Michels Bildungsforums. "Das Angebot ist sehr wichtig bei der Fachkräfte- und Auszubildendengewinnung." Die Kliniken beschäftigten auch viele Fachkräfte aus dem Ausland. "Die internationalen Kollegen kommen aus allen Ländern der Welt und kennen den Wohnungsmarkt in Deutschland fast gar nicht", berichtet Kubatz. Die Vorteile liegen klar auf der Hand: Neben einer "gelebten Willkommenskultur" und schnellerer Integration nennt sie auch die Bindung ans Unternehmen: "Wir geben den Kollegen das Gefühl, willkommen zu sein und bleiben zu können." Ein wichtiger Punkt sei auch die Nähe zur Klinik, dem Pflegeheim und der Pflegeschule.
Die Unternehmensgruppe verfügt über Wohnraum an zwei Klinikstandorten in Sachsen: in Bennewitz und Bad Lausick. "Mit dem Bau des Neurologischen Rehabilitationszentrum Leipzig entstanden am Campus in Bennewitz bereits 1997 fünf Wohnhäuser mit jeweils zehn Wohnungen", sagt Kubatz. In Kliniknähe habe das Unternehmen darüber hinaus Wohnungen angemietet oder erworben. Aktuell werde ein ganzer Wohnblock kernsaniert – Wohnraum, der voraussichtlich ab 2025 zur Verfügung stehen wird.
Mitarbeiterwohnen: Ein gängiges Modell des 19. Jahrhunderts
Das Prinzip an sich ist alles andere als neu. Im 19. Jahrhundert bauten Bergbau- oder Chemiefirmen wie BASF im großen Maße Wohnungen für ihre Mitarbeiter und deren Familien.
Der Autobauer VW in Wolfsburg gründete 1953 die Tochtergesellschaft VW Immobilien, um Mitarbeitern schnell Wohnungen zur Verfügung stellen zu können. Auch staatliche Konzerne wie die Deutsche Bahn oder die Deutsche Post hatten nach Informationen des Deutschen Mieterbunds selbst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts noch zehntausende Werkswohnungen.
Noch in den 1970er-Jahren gab es laut Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen (GdW) insgesamt noch etwa 450.000 Werkswohnungen in Deutschland. In der Folge jedoch wurden viele der Wohnungen an große Immobilienkonzerne wie Vonovia verkauft. Im Jahr 2020 schätzte der GdW die Zahl der Mitarbeiterwohnungen deutschlandweit auf noch rund 100.000.
Kann Mitarbeiterwohnen den Fachkräftemangel bekämpfen?
Im Arbeitsalltag habe er von Unternehmen schon Sätze wie diesen gehört: "Ohne Wohnungen könnten wir schließen, weil wir keine Leute finden", sagt Leon Kesselhut. Konkurriere ein Betrieb bei der Personalakquise mit anderen Firmen um Fachkräfte, bestünden klare Vorteile, wenn zugleich günstiger Wohnraum angeboten werde. "Im eigenen Unternehmen kann ich mit diesem Werkzeug also bestimmt dem Fachkräftemangel entgegnen. Aber wenn man die gesamtdeutsche Wirtschaft betrachtet, braucht es noch andere Wege, um Fachkräfte zu gewinnen", sagt Kesselhut. Das allein schaffe die Bereitstellung von Wohnraum nicht.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 19. Oktober 2024 | 07:09 Uhr