Kritik an Autohersteller-Sparkurs Volkswagen stellt deutsche Standorte infrage und schließt Kündigungen nicht aus

02. September 2024, 22:05 Uhr

Weil das selbstauferlegte Sparprogramm nicht so viel bringt, wie erhofft, will Volkswagen jetzt konsequenter durchgreifen. Die Beschäftigungssicherung soll aufgekündigt werden, Standorte in Deutschland stehen zur Debatte. Das war bislang ein Tabu beim Autohersteller. Welche Werke und wieviele Mitarbeiter betroffen sein könnten, ist noch unklar. Gewerkschaften und Betriebsrat protestieren.

Der Volkswagen-Konzern verschärft seinen Sparkurs drastisch und stellt erstmals in seiner Geschichte Werke in Deutschland auf den Prüfstand.

Ohne schnelles Gegensteuern könne nicht ausgeschlossen werden, dass Autowerke und Komponenten-Fabriken geschlossen würden, teilte das Unternehmen am Montag intern mit. Zudem soll die seit 1994 geltende und bis 2029 laufende Beschäftigungssicherung, die betriebsbedingte Kündigungen bis 2029 ausschloss, gekündigt werden. Das ist neu bei VW: Bislang galten Werksschließungen in Deutschland bei den Wolfsburgern als tabu.

Sparen, damit Industrie-Riese wieder in Schwung kommt – aber wie?

Gewerkschaft und Betriebsrat kritisieren die Ankündigung hart. Betriebsratschefin Daniela Cavallo warf dem Konzernvorstand Versagen vor und kündigte Widerstand gegen die Pläne an. "Für uns kommen Standortschließungen nicht infrage", sagte sie. Einig seien sich Unternehmen und Betriebsrat darin, dass zusätzliche Maßnahmen nötig seien, um das größte Industrieunternehmen Deutschlands wieder in Schwung zu bekommen.

Laut Medienberichten müsste VW weitere vier Milliarden Euro sparen, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Doch bei der Frage, wie solche Sparziele erreicht werden, droht ein harter Konflikt.

Eine Mitarbeiterin prüft das VW-Logo an einem ID.4 im Lichttunnel im Werk von Volkswagen in Zwickau.
In Zwickau haben befristiete VW-Mitarbeiter bereits Kündigungen mitgeteilt bekommen. Unklar ist, in welchem Maß welcher Standort vom Sparkurs betroffen ist. (Archivbild) Bildrechte: picture alliance/dpa | Jan Woitas

Unternehmensführung will "konsequent agieren"

Nach Angaben des Konzerns reicht ein Umbau allein entlang der demografischen Entwicklung nicht aus, um die Wettbewerbsfähigkeit zu steigern. VW-Chef Oliver Blume sagte bei einer Führungskräfteveranstaltung, die Autoindustrie sei in einer sehr anspruchsvollen und ernsten Lage. Der Standort Deutschland falle bei der Wettbewerbsfähigkeit weiter zurück. "In diesem Umfeld müssen wir als Unternehmen jetzt konsequent agieren."

Dem Markenchef Thomas Schäfer zufolge sollen nun schnellstmöglich Gespräche mit den Arbeitnehmern aufgenommen werden.

In diesem Umfeld müssen wir als Unternehmen jetzt konsequent agieren.

Oliver Blume Vorstandsvorsitzender von VW und Porsche

Betriebsrat ist gegen "Kaputtsparen"

Der Betriebsrat hielt dagegen: "Anstatt sich einseitig zulasten der Belegschaft kaputtzusparen, muss jetzt ein strategischer Befreiungsschlag her, mit Schub für die eigentlichen Baustellen: Produkt, Komplexität, Prozessabläufe, Synergien", sagte Betriebsratschefin Cavallo. Das sei kein Thema für die Marke VW, sondern für den gesamten Konzern.

Die aktuelle Krise bei VW sei strukturell und weitgehend unabhängig von kurzfristigen Faktoren. "Wenn jetzt nicht entschieden gegengesteuert wird, droht uns ein Zustand wie Anfang der 1990er-Jahre, als auch Arbeitsplätze akut in Gefahr gerieten und uns am Ende nur noch die Viertagewoche mit Entgelteinbußen retten konnte."

IG Metall hält Plan für "unverantwortlich"

Deutlich wurde auch die Gewerkschaft IG Metall: Der Bezirksvorstand Thorsten Gröger sprach von einem "unverantwortlichen Plan", der die Grundfesten von Volkswagen erschüttere. "Dieser Kurs ist nicht nur kurzsichtig, sondern hochgefährlich – er riskiert, das Herz von Volkswagen zu zerstören", sagte er. "Wir werden mit aller Kraft, notfalls im harten Konflikt, für den Erhalt aller Standorte sowie der Jobs unserer Kolleginnen und Kollegen kämpfen."

Dieser Kurs ist nicht nur kurzsichtig, sondern hochgefährlich – er riskiert, das Herz von Volkswagen zu zerstören.

Thorsten Gröger IG-Metall-Bezirksvorstand

Gröger sieht Konzernchef Blume in der Verantwortung, sich vor die Beschäftigten zu stellen und eine klare Zukunftsvision zu kommunizieren.

Warum VW unter Druck steht

  • Volkswagen leidet unter dem zunehmenden Preisdruck auf dem Automarkt. Wegen steigender Zinsen und der allgemein schwächelnden Konjunktur halten sich viele Autokäufer zurück, vor allem auch bei Sonderausstattungen.
  • Das jahrelang starke China-Geschäft ist unter Druck und bei Elektroautos bekommt VW die Konkurrenz einheimischer Hersteller zu spüren.
  • Zudem wirkt laut VW das 2023 aufgelegte Sparprogramm mit Abfindungen und Altersteilzeit nicht so wie erhofft. Damit wollte VW bis 2026 zehn Milliarden Euro in der Kernmarke einsparen und die Gewinnmarge auf 6,5 Prozent steigern. Die lag in der ersten Jahreshälfte 2024 bei 0,9 Prozent.
  • Nach Berechnungen der Zeitschrift Automobilwoche lag die Auslastung in den VW-Werken deutlich niedriger als bei anderen Autobauern. Schlusslicht war demnach 2023 das Werk in Osnabrück mit einer Auslastung von weniger als 20 Prozent, gefolgt von der Gläsernen Manufaktur in Dresden mit 30 Prozent Auslastung.

Welche Werke träfe es? Sachsen ist alarmiert

Welche Werke beim größten industrielle Arbeitgeber in Deutschlands konkret wegfallen könnten, ist derzeit nicht bekannt. Ebenso wenig, wie viele Mitarbeiter ihre Arbeit verlieren könnten. Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD) hat für die Standorte im Freistaat Unterstützung signalisiert. "Die Botschaft aus Wolfsburg hat uns alarmiert und stark getroffen. Der Freistaat steht zu allen sächsischen Standorten und fest an der Seite der Kolleginnen und Kollegen in Zwickau, Chemnitz und Dresden", sagte er laut Mitteilung. Sachsen unterstütze auch Forderungen, eine Verkaufsprämie für Elektrofahrzeuge wieder einzuführen.

In Sachsen sind laut Unternehmensangaben rund 11.000 Beschäftigte für VW tätig. In Zwickau wurde Anfang Juli wegen schwacher Nachfrage nach E-Autos bereits ein Stellenabbau angekündigt.

MDR (kk)/dpa/reuters

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL – Das Nachrichtenradio | 02. September 2024 | 18:11 Uhr

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