Bodo Ramelow 2014 mit Akten
Die Geschichte der Treuhand stärker aus Ostsicht untersuchen: Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Die Linke) Bildrechte: imago images / pictureteam

Aufarbeitung Treuhandpoker - Wie die Parteien um ein Ostthema buhlen

12. August 2021, 14:40 Uhr

Keine Institution war nach dem Ende der DDR so verhasst wie die Treuhandanstalt, die zwischen 1990 und 1994 die Aufgabe hatte, die Kombinate zu privatisieren. Viele Ostdeutsche verbinden mit ihr noch heute die "Abwicklung" der DDR-Wirtschaft. Nach den Linken hat nun auch die AfD das Thema für sich entdeckt. Die Treuhand sei eine "Wunde", die bis heute nicht verheilt sei. Beide Parteien fordern, die Geschichte der Treuhand müsse neu geschrieben werden. CDU und FDP sehen dafür keinen Grund.

"Das Treuhand-Trauma ist nicht überwunden." Davon ist der Fraktionschef der Linken, Dietmar Bartsch, überzeugt. "Der Schaden, den die Treuhand angerichtet hat, ist bis heute eine wesentliche Ursache für den ökonomischen Rückstand des Ostens und für politischen Frust vielerorts." Bartsch und Genossen fordern daher seit geraumer Zeit eine grundlegende politische Aufarbeitung der Arbeit der Treuhandanstalt sowie die Offenlegung sämtlicher noch verschlossener Treuhand-Akten.

Die Linke, die damals noch PDS hieß, hat die Arbeit der Treuhand von Anfang an heftig kritisiert. Der Protest gegen das Wirken der Treuhand war stets eines der Schlüsselthemen der SED-Nachfolgepartei. Der damalige Parteichef Gregor Gysi und seine Parteikollegen veranstalteten etliche Demonstrationen und Protestveranstaltungen gegen den "Ausverkauf der DDR-Wirtschaft". Gysi unterstützte damals auch medienwirksam den Kampf der Kalikumpel von Bischofferode um den Erhalt ihrer Arbeitsplätze. Der Gegner: die Treuhandanstalt, die das Werk um jeden Preis schließen wollte. Die PDS schwang sich in jenen Jahren zum Anwalt der sogenannten Wendeverlierer auf.

Arbeitslosigkeit nach Abwicklung von DDR-Kombinaten

Die durch die Liquidierung von Kombinaten und Betrieben entstandene Arbeitslosigkeit von Millionen Menschen und der wirtschaftliche Niedergang ganzer Regionen wird von den Ostdeutschen bis heute ganz maßgeblich mit der Treuhandanstalt verbunden. Sie gilt als "negativer Gründungsmythos des wiedervereinigten Deutschland", sagt der Bochumer Historiker Markus Böick. 30 Jahre nach der Friedlichen Revolution ist die Treuhandanstalt nun wieder in den Fokus der gesellschaftlichen Debatte gerückt.

AfD: Wahlkampfthema Treuhand

Einen Fürsprecher in ihrer fundamentalen Kritik hat die Linke ausgerechnet in der AfD gefunden. Die rechtspopulistische Partei hat die Treuhandanstalt ebenfalls als "tiefe Wunde in Ostdeutschland" ausgemacht. Die beiden Parteien konkurrieren nun um dieses emotional ungeheuer brisante Thema im Osten Deutschlands. "Die Verelendung und Heimatzerstörung hier bei uns hat einen Namen, dieser Name lautet Treuhand", tönte Björn Höcke am 1. Mai, gesendet im Deutschlandfunk am 28.6.2019. "Und die Machenschaften dieser Treuhand gehören rücksichtslos aufgeklärt." Für den Ostbeauftragten der AfD, Jürgen Pohl, ist die Treuhand gar "die Wurzel allen Übels in Ostdeutschland". Der Versuch der AfD, die Treuhand als Kampagnenthema zu verwenden, bringt Die Linke ihrerseits in Not, verstand sie sich doch bisher als die Volkspartei im Osten.

SPD: Treuhand verhinderte Aufschwung Ost

"Aus heutiger Sicht muss man sagen, die Bundesrepublik hätte Ostdeutschland nicht einfach nur als weiteren Absatzmarkt sehen dürfen, sondern hätte stärker in die bestehenden Produktionsstätten investieren und den dort arbeitenden Menschen nach der Wendezeit eine Perspektive geben müssen", sagte die kommissarische SPD-Vorsitzende Manuela Schwesig im Juni der "Berliner Morgenpost". Ihre Parteikollegin Katrin Budde aus Sachsen-Anhalt bezeichnet die Entscheidung der damaligen Regierung Kohl, der Privatisierung von Unternehmen den Vorrang vor der Sanierung zu geben, in einer Rede im Deutschen Bundestag 2019 als einen weiteren großen Fehler. Mit einer anderen Politik hätten mehr Betriebe erhalten werden können, sagte Budde. Ich habe "immer noch solche Wut im Bauch, dass das so falsch angefasst wurde". Die SPD möchte nun umgehend die Entscheidungen der Treuhand bei der Privatisierung der DDR-Wirtschaft wissenschaftlich aufarbeiten. Unter Umständen gar in einer Art Wahrheitskommission.

Detlev Karsten Rohwedder, 1990
SPD-Mitglied und Treuhandchef: Detlev Karsten Rohwedder Bildrechte: imago/sepp spiegl

Manager mit SPD-Parteibuch schließt Bischofferode

Die SPD hatte die Arbeit der Treuhandanstalt von Anfang an kritisch begleitet. Bereits 1993 hatte sie etwa einen Treuhand-Untersuchungsausschuss gefordert. Freilich trugen maßgebliche Manager der Treuhand wie etwa Detlev Karsten Rohwedder und der für die Privatisierung der Chemischen Industrie und der Bergwerke der DDR zuständige Klaus Schucht das Parteibuch der SPD. Schucht war es gewesen, der 1993 die Liquidierung des durchaus wettbewerbsfähigen Kaliwerks in Bischofferode verfügt hatte. Heute verhält sich die SPD bei der Aufarbeitungsdebatte zurückhaltend, aber verständnisvoll.

CDU: lehnt eine weitere Aufarbeitung ab

Die CDU ist in weiten Teilen nach wie vor der Ansicht, die Privatisierung der DDR-Wirtschaft sei ein Erfolgsmodell. Die Partei ist mit sich im Reinen. Christian Hirte, Ostbeauftragter der Bundesregierung, sagte der Deutschen Presseagentur, es werde von Manchen der Eindruck erweckt, als sei der Osten vorsätzlich und mit krimineller Energie über den Tisch gezogen worden. Dies sei aber keineswegs der Fall. Die wirtschaftlichen Probleme, die es Anfang der 1990er-Jahre im Osten gab, fußten auf der Zeit vor 1989: "Es ist so, dass die DDR wirtschaftlich völlig marode war und dass die Unternehmen in der DDR international nicht konkurrenzfähig waren." Diese Position vertritt die CDU noch heute.

Helmut Kohl: "blühende Landschaften"

Die damalige Bundesregierung von CDU und FDP unter Bundeskanzler Helmut Kohl war es gewesen, die den Kurs der Treuhand klar vorgegeben und damit den Ausverkauf der DDR-Wirtschaft eingeleitet hatte: Privatisierung um jeden Preis, hieß die Parole. Dieses Modell ist damals stets als alternativlos bezeichnet worden. Und Helmut Kohl jedenfalls versprach 1990: "Ich glaube, dass die DDR bis zum Jahr 1995 ein blühendes Land sein wird." Der letzte DDR-Ministerpräsident Lothar de Maiziere, der den Kurs der Privatisierung im Frühsommer 1990, noch zu Zeiten der DDR, in Gang gesetzt hatte, betonte später immer wieder, die Treuhand hätte sicher einige Fehler gemacht. Aber das Problem sei doch gewesen, dass es in der DDR Hunderte von Büchern gab, wie man von der Marktwirtschaft zur Planwirtschaft kommen könne, jedoch keines über den Weg zurück. Ähnlich argumentierte 2019 Eckhardt Rehberg, von 1990 bis 2001 Vorsitzender der CDU-Landtagsfraktion in Mecklenburg-Vorpommern, in einer Rede im Deutschen Bundestag: Die Arbeit der Treuhand sei prinzipiell richtig gewesen, auch wenn "Glücksritter unterwegs" waren und "auch kriminelle Energie dabei" eine gewisse Rolle gespielt hätte. Viele Betriebe hätten immerhin eine positive Entwicklung genommen. So sieht das auch Ostbeauftragter Christian Hirte in einem Interview mit dem MDR: "Natürlich haben zwischen 1990 bis 1994 auch Glücksritter versucht, sich selbst zu bereichern. Es gab kriminelle Machenschaften. Aber von einem systemischen Vergehen und Staatsversagen zu sprechen, das kann ich aus heutiger Sicht noch nicht erkennen."

FDP: "Der Golf musste nicht vor dem Trabi geschützt werden"

Die FDP, Koalitionspartner der CDU in den Vereinigungsjahren, verspürt ebenfalls wenig Neigung, der Arbeit der Treuhandanstalt systematisch auf den Grund zu gehen. Sicher gebe es hier und da noch weiteren Aufklärungsbedarf über die Arbeit der Treuhand, heißt es aus den Reihen der Freien Demokraten. Doch die Ansicht von Linken und AfD, die Treuhand trüge an allem Schuld, sei falsch. Die Privatisierung der DDR-Betriebe sei ein Gebot der Vernunft gewesen. Die Verantwortung für das wirtschaftliche Desaster in Ostdeutschland trüge ausschließlich die Staatspartei SED. Es sei ja wohl eine Legende, dass die "hoch profitable Wirtschaft in der DDR aus westdeutschem Unternehmensinteresse platt gemacht worden sei", spottete Generalsekretärin Linda Teuteberg jüngst im Deutschen Bundestag. "Der Golf musste nicht vor dem Trabi geschützt werden."

Bündnis 90/Die Grünen: DDR-Bürger sollten Aktionäre werden

Bündnis 90/Die Grünen hat ein ganz eigenes Verhältnis zum Treuhandkomplex. War es doch der Bürgerrechtler Wolfgang Ullmann, Mitglied der damaligen Oppositionspartei Demokratie jetzt (später Bündnis 90), der im Frühjahr 1990 am "Runden Tisch" in Ost-Berlin vorgeschlagen hatte, eine Treuhandgesellschaft "zur Wahrung der Anteilsrechte der Bürger mit DDR-Staatsbürgerschaft am Volkseigentum der DDR" zu gründen. Ullmann wollte Anteilsscheine an den DDR-Kombinaten, Fabriken und landwirtschaftlichen Einrichtungen an die DDR-Bürger ausgeben. Die Ostdeutschen wären jetzt vielleicht allesamt Aktionäre oder Unternehmer. Aber Ullmanns Idee konnte sich nicht durchsetzen. Die letzte DDR-Regierung unter Ministerpräsident Lothar de Maiziere und später dann die Bundesregierung verlangten eine resolute Privatisierung.

Forderung: geheime Akten öffnen

Heute fordert Bündnis 90/Die Grünen, dass die Akten der Treuhand auf jeden Fall öffentlich zugänglich gemacht werden müssen, damit Journalisten und Historiker die Möglichkeit bekämen, sich über den Zustand der DDR-Betriebe einen genauen Eindruck zu verschaffen. Auch könnten mit Hilfe der Akten Strukturen innerhalb der Treuhand sichtbar gemacht sowie kriminelle Machenschaften aufgedeckt werden.

Werner Schulz, langjähriger Bundestags- und Europaabgeordnete, sagte im September 2018 im "Deutschlandfunk" allerdings einigermaßen resigniert über eine weitere Beschäftigung mit dem Thema Treuhand: "Es ist eigentlich verschüttete Milch, und die ist in Ost-Deutschland sauer geworden, wie man mitbekommen kann. Ich glaube nicht, dass das noch allzu viel bringt. Die Fehler und die Verfehlungen und die Verbrechen der Treuhand, die sind im Grunde genommen heute nicht mehr wettzumachen."

Geschichte der Treuhand neu schreiben?

Aber möglicherweise könnte eine intensive Beschäftigung mit dem Kapitel Treuhand auch jenseits historischer Erkenntnisse doch durchaus nützlich sein. Etwa um den "Stolz der Ostdeutschen zu stärken", wie der Thüringer Ministerpräsident Bodo Ramelow 2018 in der "Welt am Sonntag" erklärte. Denn das Gefühl vieler Ostdeutscher, Bürger zweiter Klasse zu sein, stamme, so Ramelow, aus jener Zeit, "als die Treuhand das Zepter führte". Der Bochumer Historiker Markus Böick hält eine gründliche Überarbeitung der Geschichte der Treuhand gar für dringend geboten, denn andernfalls würde "sich die Mythenbildung im Osten verfestigen", sagte er 2017 dem "Spiegel", "und die Traumata aus der Nachwendezeit werden unbewältigt bleiben".


Über dieses Thema berichtete der MDR im TV auch in "Wem gehört der Osten" 10.06.2019 | 22:00 Uhr

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