Solarbranche Photovoltaik: Übernehmen Startups die Produktion von Meyer Burger?
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04. März 2024, 10:52 Uhr
Für das Werk von Meyer Burger in Freiberg droht Ende April das Aus. Würde es dazu kommen, will das Startup 1Komma5° die Fertigung übernehmen. Auch das Startup Enpal hat sein Interesse bekundet. Ein PR-Gag?
- Enpal und 1Komma5° knüpfen eigene Solarmodul-Produktion an die Bedingung, dass die Bundesregierung keinen Resilienzbonus einführt.
- Photovoltaik-Experte Ralph Gottschalg vom Fraunhofer-Center für Silizium-Photovoltaik in Halle sieht Schwierigkeiten bei der Übernahme von Meyer Burger aufgrund einer patentgeschützten Technologie.
- Konkretes Angebot eines sächsischen Solarmodul-Herstellers für eine gemeinsame Produktion blieb von 1Komma5° bislang unbeantwortet.
In der Debatte um eine mögliche Förderung der deutschen Solarindustrie ist es bislang zu keiner politischen Einigung gekommen. Die Folge: Das Schweizer Unternehmen Meyer Burger verkündete am 23. Februar in der ersten Märzhälfte seine Produktion am Standort Freiberg in Sachsen einstellen zu wollen. Ende April drohe die endgültige Schließung. Würde es tatsächlich dazu kommen, will nun das Hamburger Startup 1Komma5° das Werk in Freiberg übernehmen und nach eigenen Angaben "so viele Arbeitsplätze wie möglich retten" – so Geschäftsführer Philipp Schröder am selben Tag auf dem sozialen Netzwerk LinkedIn.
Auf Anfrage von MDR Investigativ bekräftigte das Startup, dass es bereit dazu sei, Meyer Burger zu übernehmen, sollte das Schweizer Unternehmen die Fertigung in Sachsen komplett aufgeben. "Wir haben großes Interesse und sind bereits im Austausch mit dem Verwaltungsrat von Meyer Burger."
Von einem "Austausch" spricht man bei Meyer Burger nicht: "Sollten wir ernstgemeinte und substanzielle Angebote im Zusammenhang mit unserer Produktion in Freiberg erhalten, prüfen wir diese im Sinne all unserer Stakeholder – insbesondere natürlich im Sinne unserer Kolleginnen und Kollegen und unserer Investoren." Die weitere Antwort lässt die Vermutung zu, dass es noch keine konkreten Gespräche gibt: "Sofern es dazu kommt, werden wir damit in der nötigen Vertraulichkeit und Seriosität umgehen. Das schließt eine öffentliche Verhandlungsführung über die sozialen Medien aus", schreibt eine Sprecherin des Unternehmens.
Auch Startup aus Berlin meldet Interesse an
Ein weiteres Startup – Enpal aus Berlin – meldete sich am 23. Februar ebenfalls auf LinkedIn zu Wort. Auch Enpal wolle nach einem möglichen Aus von Meyer Burger in die heimische Fertigung von Solarmodulen einsteigen. Auf Anfrage von MDR Investigativ erklärte Unternehmenssprecher Wolfgang Gründinger außerdem: "Im Falle eines Abzugs von Meyer Burger aus Deutschland wird Enpal jedoch auch das Modulwerk in Freiberg als eine mögliche Option sichten." Am vergangenen Mittwoch gab Enpal bekannt, dass man eine Modulherstellung nicht nur in Deutschland, sondern in Europa in Betracht ziehe. Man wolle ein "breites Bündnis" mit mehreren Unternehmen schließen, um "ein ausreichendes Abnahmevolumen lokal produzierter Module zu garantieren", so heißt es in einer Pressemitteilung von Enpal.
Aufbau eigener Modulproduktionen wird an Bedingung geknüpft
Die beiden Startups knüpfen den Aufbau einer eigenen Modulproduktion an die Bedingung, dass die Bundesregierung keinen Resilienzbonus einführt. Diesen Zusammenhang stellte 1Komma5° schon vor einigen Wochen her, als das Unternehmen verkündete, den bereits im letzten Jahr geplanten Bau einer eigenen Modulfabrik in Deutschland aufgrund des Vorschlags des Bundesverbandes für Solarwirtschaft in Fragen zu stellen.
Resilienzbonus Der Resilienzbonus stellt laut Bundesverband für Solarwirtschaft eine Art Kaufanreiz für Solaranlagen aus europäischer Herstellung dar. Verbraucher sollen zusätzlich zur EEG-Vergütung mit einem Bonus beim Stromeinspeisen belohnt werden, wenn sie Solaranlagen aus europäischer Herstellung installiert haben. Umso mehr europäische Komponenten in der Solaranlage stecken, desto mehr Geld soll es dabei geben: ein bis 3,5 Cent je Kilowattstunde oben drauf. Über 20 Jahre lang. Bundesverband der Solarwirtschaft, Fraunhofer ISE
Seit Ende letzten Jahres wird dieser Vorschlag in der Bundesregierung als mögliche Förderung der deutschen Solarindustrie diskutiert.
Bislang scheiterte der Vorschlag an der FDP. Der energiepolitische Sprecher der FDP, Michael Kruse, sprach sich öffentlich bislang gegen eine Förderung der Solarindustrie aus. Dem Handelsblatt sagte er Ende Januar: "Den Strom für die Deutschen noch weiter zu verteuern, indem die sehr üppige Förderung für PV-Strom noch weiter ausgeweitet wird, ist der falsche Weg. Wir werden diesen Weg als FDP nicht unterstützen." Zur aktuellen Debatte und zu den Ankündigungen der Startups will er sich im Gespräch mit MDR Investigativ nicht äußern. Allerdings hatte er sich offen für Gespräche mit 1Komma5° gezeigt, als er das Startup Anfang Februar in seinem Wahlkreis in Hamburg besuchte.
Der Bundesverband für Solarwirtschaft argumentierte, dass diese Subvention die deutschen Hersteller wieder wettbewerbsfähig machen soll. Aktuell sieht sich die deutsche Solarindustrie einem unfairen Wettbewerb mit China ausgesetzt. Chinesische Solarmodule sind teilweise viermal günstiger als Module aus Deutschland, da der chinesische Staat die dortige Solarbranche schon seit mehreren Jahren subventioniert.
Enpal und 1Komma5° gegen Resilienzbonus
Sowohl Enpal als auch 1Komma5° positionieren sich seit Wochen gegen einen solchen Resilienzbonus. 1Komma5° ist aus Protest dagegen aus dem Bundesverband für Solarwirtschaft ausgetreten. Die Startups beklagen öffentlich die hohen Kosten für die Allgemeinheit und eine angebliche Verlangsamung der Energiewende. Enpal befürchtet außerdem, dass sich Kunden erstmal in "Kaufzurückhaltung" üben und Aufträge stornieren würden, Mitarbeiter aber dennoch bezahlt werden müssten, so Wolfgang Gründinger im Interview mit MDR Investigativ. Es geht also auch um finanzielle Einbußen, da das Unternehmen vorwiegend chinesische Solarmodule installiert.
Beide Startups befürchten des Weiteren, dass der Resilienzbonus die Ansiedlung neuer Modul-Produzenten behindere, wenn diese beispielsweise auf Komponenten setzten, die nicht aus Europa kämen. So wie 1Komma5° selbst: Das Hamburger Unternehmen hatte bereits im Oktober letzten Jahres angekündigt, eine Solarmodul-Produktion in den neuen Bundesländern aufbauen zu wollen. "Geplant ist eine Fertigung in den neuen Bundesländern mit einer Produktionskapazität von bis zu 5 GW und bis zu 1.000 Arbeitsplätzen", so das Unternehmen in einer Pressemitteilung Anfang Oktober. Solarmodule sollten mit Polysilizium aus Deutschland sowie mit Komponenten aus aller Welt hergestellt werden.
Bundesverband der Solarwirtschaft sieht Widerspruch
Tatsächlich würde ein solches in Deutschland gefertigtes Solarmodul aus internationalen Komponenten zwar nicht die volle Förderung erhalten, aber auch nicht leer ausgehen. Der Bundesverband der Solarwirtschaft entgegnet der Argumentation von 1Komma5° daher mit Unverständnis: "Die Einwände des Startups 1Komma5 sind nicht nachvollziehbar, da unsere Empfehlung zur Einführung von Resilienzkriterien je nach europäischer Wertschöpfungstiefe abgestufte Resilienz-Boni vorsieht." Würde also 1Komma5° wie geplant mit deutschem Polysilizium und internationalen Komponenten Solarmodule in Deutschland fertigen, so könnten Betreiber einer solchen Solaranlage einen Bonus in Höhe von ca. 1,5 Cent je Kilowattstunde eingespeisten Strom erhalten, so der Bundesverband der Solarwirtschaft. Laut einer Empfehlung des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme zum Resilienzbonus wäre ebenfalls ein Bonus von 1,12 Cent je Kilowattstunde möglich.
Experte: "Schwierigkeit einer Übernahme von Meyer Burger und Weiterbetrieb nicht zu unterschätzen"
Die mögliche Übernahme von Meyer Burger durch 1Komma5° erscheint Ralph Gottschalg, Experte für Photovoltaik am Fraunhofer-Center für Silizium-Photovoltaik in Halle, als ambitioniert. Meyer Burger stelle ganz spezielle Solarmodule her, sogenannte Heterojunction-Module. "Zunächst einmal ist das Interesse, die Modulproduktion in der Region zu erhalten, sehr zu begrüßen. Im Fall von Meyer Burger muss jedoch der Zugang zu einer patentgeschützten Verbindungstechnologie für die einzelnen Solarzellen geregelt werden", sagt Gottschalg. Ohne signifikante Investitionen könne also der Betrieb nicht weiterlaufen. Darüber hinaus ist Gottschalg der Meinung: "Die wirtschaftlichen Hürden für eine heimische Produktion werden auch nicht durch Eigennutzung eines neuen Besitzers gelöst."
Eine eigene Fertigung in Deutschland von Null aufzubauen würde nach Meinung von Experten mehrere 100 Millionen Euro kosten. Es müssten Maschinen und Personal eingekauft werden. Wahrscheinlicher ist eine Zusammenarbeit mit bestehenden Herstellern. So wird es auch in der Ankündigung von Enpal geschildert: Das Unternehmen führe "intensive Gespräche mit weltweit führenden Herstellern, die ihre Bereitschaft signalisiert haben, in eine gemeinsame Modulherstellung zu investieren", so das Unternehmen in der heute veröffentlichten Pressemitteilung.
Konkretes Angebot aus Sachsen von 1Komma5° bislang unbeantwortet
Ein Hersteller aus Sachsen bestätigt zumindest einen Austausch mit 1Komma5° im letzten Jahr. Das Unternehmen habe 1Komma5° ein konkretes Angebot unterbreitet. Für Gespräche stünde das Unternehmen auch weiterhin bereit – doch bislang habe es keine Reaktion seitens 1Komma5° gegeben.
Der FDP dürfte der Vorstoß der Startups in die Hände spielen, da sie ein zusätzliches Argument gegen den Resilienzbonus liefern, das mit den Worten Enpals so ausgedrückt werden kann: "Wenn die alteingesesessenen Unternehmen das Land verlassen, dann müssen die neuen Pioniere ihre Verantwortung wahrnehmen."
Die Startups werden sich in den nächsten Wochen oder Monaten an diesen Ankündigungen messen lassen müssen.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL - Das Nachrichtenradio | 29. Februar 2024 | 16:20 Uhr