Kapitalismus Überleben im Zeitalter der Klimakrise: Ist der Kapitalismus noch zu retten?
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03. Mai 2024, 08:08 Uhr
Fossile Brennstoffe und die Ausbeutung von Rohstoffen gehören zu unserem Wirtschaftssystem. Doch die Klimakrise zeigt: So können wir nicht weitermachen. Dass es anders geht, zeigen auch Firmen aus Sachsen-Anhalt.
"Wir stehen hier sozusagen mitten in unserem Rohstofflager der Zukunft", sagt Holger Sasse, während er von einer riesigen Hebebühne aus auf die zahlreichen Windräder blickt, die vom Werksgelände seiner Firma in Aschersleben zu sehen sind. "All diese Windflügel werden hier zu Brettern verarbeitet, und dann in einen stofflichen, dauerhaften Kreislauf gebracht für die nächsten paar hundert Jahre."
Denn Sasses Firma NovoTech hat sich darauf spezialisiert, alte Rotorblätter von Windkraftanlagen zu recyceln. Die werden zu Werkstoffen für den Außenbereich verarbeitet, also etwa zu Terrassendielen, die ihrerseits wieder leicht recycelt werden können. "Vom Design-Gedanken ist das kreislauffähiges Material: vom ersten Tag an auf die Welt gekommen, um morgen wieder unser Rohstoff zu sein", erklärt Sasse.
Die Idee der Kreislaufwirtschaft wurde lange verlacht
Diese Idee der Kreislaufwirtschaft war 2005, im Jahr der Firmengründung, noch nicht besonders verbreitet, erinnert sich der Unternehmer: "Das hat damals niemand verstanden." Niemand habe sich Gedanken darüber gemacht, was mit Produkten, die man heute kauft, in 20 oder 30 Jahren geschehe – oder mit den Werkstoffen, aus denen sie bestehen. "Gott sei Dank interessiert das heute viele Menschen. Auch diese Menschen, die es damals nicht interessierte, sind heute froh, dass sie dabei sein dürfen und diesen Gedanken weiter in die Zukunft tragen."
Das Geld, das er brauchte, um seine Ideen von einem nachhaltigen Baustoff umzusetzen, hat Sasse selbst mitgebracht. Er hatte zuvor als Bauunternehmer gut verdient. "Kapitalismus ohne Kapital, geht leider nicht", sagt er. "Aber wenn wir es richtig anstellen, ist der Beweis erbracht, dass man damit auch Business machen, viele Arbeitsplätze schaffen und nachhaltig etwas für die Gesellschaft tun kann, etwas Generationsübergreifendes."
Windkraft, von der die Bürger profitieren
Dass so ein Unternehmen ausgerechnet in Aschersleben entsteht, ist kein Zufall: Um die Stadt herum befinden sich 161 Windkraftanlagen - die meisten in Sachsen-Anhalt und weit mehr, als der Bund vorgibt. Doch so wirklich profitiert haben die knapp 27.000 Einwohner der Stadt nicht davon, beklagt Oberbürgermeister Steffen Amme: "Günstig produzierter Strom verbleibt nicht in Aschersleben, wird an der Strombörse quasi verkauft und somit wird der Strom beispielsweise in andere Bundesländer transportiert."
Das soll sich nun ändern: Vor kurzem erst hat der Stadtrat genehmigt, dass die stadteigenen Stadtwerke eine Windkraftanlage bauen, um die Bürger zu entlasten. "Vorteile ergeben sich dahingehend, dass man den Strom zu günstigeren Preisen anbieten und abgeben kann", so Amme. "Und das ist auch ein Standortfaktor, was das Ansiedeln von Unternehmen anbelangt."
Angesichts der zahlreichen Windkraftanlagen, die es bereits vor Ort gibt, war es nicht einfach, die Bürger davon zu überzeugen, dass sie von diesem Projekt profitieren werden, sagt Amme. Es habe erst ein Umdenken stattfinden müssen: "Man hat natürlich gemerkt, dass diese Situation auch an den Bürgerinnen und Bürgern nicht spurlos vorbeigeht, wenn wir an den schrecklichen Krieg in der Ukraine denken. Energieversorgung, Energiewirtschaft, Inflation und so weiter. Das ist letztendlich die Thematik, die uns momentan beschäftigt."
Der Journalist Cornelius Pollmer glaubt, dass die Energiewende gerade im Osten oft "als überstürzt und politisch gängelnd organisiert" wahrgenommen werde. Deshalb hält er das Windkraftprojekt in Aschersleben für einen gelungenen Versuch, die Menschen mitzunehmen: "Man kann sie damit überzeugen, wenn man sagt, wir würden hier gerne etwas bauen. Das findest du vielleicht nicht schön, aber es erfüllt gesamtgesellschaftlich diesen Zweck und hat nebenbei den Vorteil, dass du in der Weise davon profitiert."
Speicher aus Wittenberg für die Energiewende
Rund hundert Kilometer weiter östlich, in Lutherstadt Wittenberg, machen sich Simon Schandert und Daniel Hannemann ebenfalls Gedanken darüber, wie ein klimagerechtes Wirtschaften funktionieren kann. Deshalb haben die beiden 2014 das Startup Tesvolt gegründet, das Lithium-Batteriespeicher herstellt. "Der wichtigste Schlüssel einer Energiewende, um erneuerbare Energien nutzbar zu machen, ist ein Speichermedium", erklärt Schandert. "Und wir als Tesvolt haben uns darauf konzentriert, diese Energie einzuspeichern mit einer möglichst hohen Effizienz. Wir haben Wirkungsgrade von unseren Speichern von über 90 Prozent."
Im Jahr 2018 haben Schandert und Hannemann für ihr Unternehmen den Gründer-Preis in der Kategorie Aufsteiger bekommen, bereits jetzt produziert Tesvolt nach eigenen Angaben CO2-neutral. Außerdem will das Unternehmen seine Produktions-Kapazitäten verzehnfachen, und plant deshalb neue Fertigungshallen.
Veränderung muss sein
Trotz aller guten Startbedingungen in Sachsen-Anhalt und einem erfolgreichen Geschäftsmodell, war es nicht einfach, Geldgeber für diesen großen neuen Schritt zu finden - auch, weil es bei Investoren Vorbehalte gegen den Produktionsstandort gibt. "Ostdeutschland steht nicht für Wirtschaftswachstum", fasst Daniel Hannemann die Vorurteile zusammen. "Wir merken das auch im täglichen Arbeiten, auch mit Finanzinstituten: "Ja, das ist halt Ostdeutschland, Herr Hannemann. Und wenn wir dort ein Werk finanzieren, ist das nicht Baden-Württemberg oder Bayern, sondern das ist Ostdeutschland. Und das ist nicht normal bei uns, solche Investitionen." Am Ende fand sich aber ein Geldgeber: Das Fürstentum Liechtenstein.
Die beiden Gründer sind – genau wie Holger Sasse in Aschersleben – davon überzeugt, dass sich in unserem Wirtschaftssystem einiges ändern muss. Nicht nur was die Investitionsbereitschaft in den Osten, sondern auch, was den Umgang mit Rohstoffen angeht, wie Hannemann erklärt: "Der Kapitalismus der Zukunft kann nur noch in einer Art von Kreislaufwirtschaft funktionieren. Also nicht mehr Rohstoffe abbauen, verbrennen, verbuddeln. Sondern wie zum Beispiel Solarmodule oder Batterien in den Recycling Prozess einführen, sodass wir wirklich in eine Kreislaufwirtschaft reinkommen. Dann wird dort der Kapitalismus wieder funktionieren, denn heute basiert er, wenn wir ehrlich sind, viel auf Ausbeutung."
Mehr zu diesen Beispielen und zur Frage, ob und wie der Kapitalismus gerade in Ostdeutschland funktioniert, sehen Sie in der Dokumentation "Die Milliarden der Anderen" in der ARD-Mediathek
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Die Milliarden der Anderen | 01. Mai 2024 | 20:15 Uhr