Staatsleistungen Darum bezahlen wir alle für die Kirche
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30. September 2024, 10:09 Uhr
In 14 Bundesländern erhalten die evangelische und katholische Kirche Geld in Form von sogenannten Staatsleistungen. Dabei handelt es sich um Entschädigungen für rund 200 Jahre zurückliegende Enteignungen. Eine Abschaffung dieser Zahlungen ist im Grundgesetz eigentlich vorgesehen, lässt sich aber schwierig durchsetzen.
Inhalt des Artikels:
- 2024 Leistungen von über 600 Millionen Euro bundesweit
- Höhe der Staatsleistungen nicht von Mitgliedszahl abhängig
- Zahlen für Mitteldeutschland – und welche Bundesländer nicht betroffen sind
- Abschaffung der Zahlungen schwierig
- EKD: Gesamtgesellschaftliche Angebote durch Staatsleistungen mitfinanziert
2024 Leistungen von über 600 Millionen Euro bundesweit
Immer wieder wird über Kirchenaustritte berichtet. Ein häufig genannter Grund dafür: die Kirchensteuer. Allerdings zahlen wir alle für die Kirche – ob wir Mitglied sind oder nicht. Denn die Bundesländer – abgesehen von Hamburg und Bremen – entrichten sogenannte Staatsleistungen an die Kirchen. So fließen jährlich Hunderte Millionen Euro an die katholische und evangelische Kirche. Für 2024 ergibt eine auf den Haushaltsplänen der Bundesländer basierende Berechnung der Humanistischen Union eine Summe von 618.361.500 Euro.
Hintergrund: Ergebnis der Napoleonischen Kriege
Der Grund dafür, warum die Kirchen Staatsleistungen erhalten, liegt rund 200 Jahre zurück. Anfang des 19. Jahrhunderts wurden in Folge der Napoleonischen Kriege die Kirchen enteignet, um die Fürsten zu entschädigen, die Gebiete verloren hatten. Die wiederum dadurch den Kirchen entstandenen finanziellen Verluste, sollen durch die Staatsleistungen abgefedert werden. "Zum Ausgleich hat der Staat die Finanzierung der Pfarrer und auch sonst eine Reihe von Leistungen übernommen. Das ist die entscheidende Ursache dafür, dass es heute diese Staatsleistungen gibt", sagt Claus Dieter Classen, Professor für Öffentliches Recht an der Universität Greifswald gegenüber Deutschlandfunk Kultur.
Höhe der Staatsleistungen nicht von Mitgliedszahl abhängig
Ob und in welcher Höhe Staatsleistungen gezahlt werden müssen, hängt nicht mit der Anzahl der Kirchenmitglieder im jeweiligen Bundesland zusammen. So schreibt die Evangelische Kirche Deutschland (EKD) auf ihrer Website: "Ausschlaggebend für die Staatsleistungen ist nicht die Zahl der Mitglieder, sondern die Tatsache, dass der Staat den Kirchen im Zuge der geschichtlichen Entwicklung [...] viele Vermögenswerte entzogen hat, aus deren Erträgen sie sich vorher finanzieren konnten."
Zahlen für Mitteldeutschland – und welche Bundesländer nicht betroffen sind
Hamburg und Bremen müssen keine Staatsleistungen zahlen. "Auf den Gebieten dieser beiden Bundesländer wurden keine Ländereien oder Vermögen entzogen. Aus diesem Grund zahlen diese beiden Bundesländer keine Staatsleistungen", erklärt die EKD auf MDR-Nachfrage.
In anderen Bundesländern sieht das anders aus. So schreibt der Südwestrundfunk (SWR): "Rheinland-Pfalz ist neben Bayern, Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt eines der Länder, die am meisten zahlen müssen. Der Grund: In diesen Regionen gab es besonders viele Enteignungen." Susanne Gellweiler, Pressesprecherin des Ministeriums für Wissenschaft und Gesundheit Rheinland-Pfalz sagt, dass das Bundesland im Jahr 2024 Staatsleistungen in Höhe von insgesamt 67.916.640 Euro an die evangelischen Landeskirchen und die katholischen Bistümer zahle. In Sachsen-Anhalt sind im Haushaltsplan für 2024 insgesamt 43.906.900 Euro vermerkt (36.412.300 Euro für die evangelischen Gliedkirchen und 7.494.600 Euro für die katholische Kirche).
Bundesland | Staatsleistungen 2023 | Staatsleistungen 2024 |
---|---|---|
Sachsen | 29,8 Mio € | 31,3 Mio € |
Sachsen-Anhalt | 42 Mio € | 43,9 Mio € |
Thüringen | 29,2 Mio € | 29,4 Mio € |
Anmerkung zur Tabelle: Die Zahlen stammen aus den Haushaltsplänen der Länder beziehungsweise wurden von den zuständigen Stellen der Bundesländer auf MDR-Anfrage mitgeteilt.
Abschaffung der Zahlungen schwierig
In Artikel 140 des Grundgesetzes, übernommen aus der Weimarer Reichsverfassung Artikel 138, ist eine Ablösung der Staatsleistungen eigentlich vorgesehen. Bisher scheiterte es aber an einer Umsetzung. Im August dieses Jahres hatte unter anderem die Tagesschau darüber berichtet, dass die Bundesregierung im Herbst einen neuen Gesetzesentwurf zur langfristigen Abschaffung der Staatsleistungen vorlegen will, dies bei den Ländern aber eher auf Ablehnung stoße. Denn dann müsste eine Ausgleichszahlung als Ablöse gezahlt werden.
Viktor Heeke, ein Sprecher der Thüringer Staatskanzlei schreibt auf MDR-Nachfrage: "Alle Modelle in diese Richtung sind mit enormen Mehrausgaben auf Seiten der Länder verbunden. Das verfassungsrechtliche Ziel der Ablösung der Staatsleistungen kollidiert nicht zuletzt mit der Leistungsfähigkeit der Länder und ihren Finanzierungsmöglichkeiten im Rahmen der Vorgaben zur 'Schuldenbremse' im Grundgesetz." Grundsätzlich sehe die Thüringer Landesregierung es als geboten an, den bestehenden Verfassungsauftrag zur Ablösung der Staatsleistungen an die Kirchen umzusetzen, wenngleich zahlreiche inhaltliche und auch rechtliche Aspekte beleuchtet werden müssten.
Alle Modelle in diese Richtung sind mit enormen Mehrausgaben auf Seiten der Länder verbunden.
Die katholische Kirche stehe grundsätzlich bereit, sich an Gesprächen zur Ablösung der Staatsleistungen zu beteiligen, antwortet die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) auf MDR-Anfrage. "Für uns bleibt entscheidend, dass die Ablösung die Kirchen in die Lage versetzen soll, die bisher mit Hilfe der Staatsleistungen finanzierten Aufgaben dauerhaft finanziell decken zu können. Dabei ist es auch unser Interesse, dass die Länder im Rahmen ihrer Leistungsfähigkeit handeln können", führt sie weiter aus. Nur eine gemeinsame Lösung mit den Ländern werde für sinnvoll erachtet.
Für die Evangelische Kirche Deutschland (EKD) sei entscheidend, dass die Kirchen weiterhin ihre seelsorglichen und ihre sozialen und gesellschaftlichen Leistungen erbringen können. Sie erläutert: "In diesem Sinne setzen sie (Anm. d. Red.: die Kirchen) auf eine Ablösung, die es auch künftig ermöglicht, diese Aufgaben zu erfüllen. Deshalb treten sie für eine Ablösung nach dem Äquivalenzprinzip ein, also für eine Entschädigung durch vollen Wertersatz."
Welche Ablösesumme wäre möglich?
Nach Berechnungen der Humanistischen Union erhielten die Kirchen seit 1949 rund 21,3 Milliarden Euro von den Ländern.
Für ein Ende der Staatsleistungen müsste eine Ablöse gezahlt werden. Deutschlandfunk Kultur schreibt dazu: "Bisher ist wenig Konkretes bekannt: Aber eine Zahl, die als Ablösesumme im Raum steht und diskutiert wird, sind zehn Milliarden Euro oder mehr. Diese Summe würde dem 18,6-fachen der bisherigen jährlichen Zahlungen entsprechen."
Ein abgelehnter Gesetzesentwurf von FDP, Linken und Grünen sah 2020 ebenfalls diesen Faktor als Berechnungsgrundlage vor.
EKD: Gesamtgesellschaftliche Angebote durch Staatsleistungen mitfinanziert
Das Geld aus den Staatsleistungen wird von den Kirchen für unterschiedliche Zwecke genutzt. Eine EKD-Sprecherin erläutert: "Die Staatsleistungen fließen einerseits in kirchliche Angebote, wie zum Beispiel Gottesdienste, Taufen, Beerdigungen oder Trauungen. Andererseits kommen sie Einrichtungen und Diensten der evangelischen Kirche zugute, die Angebote für alle Bürger machen – unabhängig davon, ob sie der Kirche angehören oder nicht." Das gelte insbesondere in den Bereichen Soziales, Gesundheit, Seelsorge, Jugendarbeit, Bildung und Kultur.
MDR (jvo)
Dieses Thema im Programm: Eine Minute Geld auf TikTok | 04. Oktober 2024 | 16:00 Uhr