Interview Agrarexperte erklärt, was Bauern und Politik zusammenbringen könnte
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08. Januar 2024, 19:03 Uhr
Die Proteste der Landwirte gehen weiter. Dass die Bundesregierung Kürzungen teilweise zurückgenommen hat, reicht den Bauern nicht aus. Laut den neuen Plänen sollen Bauern weiter von der Kfz-Steuer befreit bleiben. Die Subvention für den Agrardiesel soll nur schrittweise wegfallen. MDR SACHSEN-ANHALT hat mit dem Agrarexperten Professor Thomas Herzfeld vom Leibniz-Institut für Agrarentwicklung gesprochen. Ein Interview über den Ärger der Landwirte und mögliche Lösungen.
- Der Agrarsektor hat eine Sonderrolle in der Politik. In Zukunft könnte er mit anderen Wirtschaftsbereichen auf eine Ebene gestellt werden.
- Arten-, Umwelt- und Klimaschutz wird auch in der Landwirtschaft immer wichtiger, stellt aber die Beziehung zwischen Politik und Bauern vor große Herausforderungen.
- Sollte die Ukraine der EU beitreten, muss die derzeitige Agrarpolitik reformiert werden, meint der Experte.
Wer ist Thomas Herzfeld? Professor Thomas Herzfeld ist seit Oktober 2011 Direktor am Leibniz-Institut für Agrarentwicklung in Transformationsökonomien in Halle (IAMO) und leitet die Abteilung Agrarpolitik. Er studierte Agrarwissenschaften in Halle, Kiel und in Rennes, Frankreich. Außerdem ist er Professor für den Bereich Politik und Institutionen im Agrarsektor an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Quelle: IAMO
Thomas Herzfeld: Ich denke, das war der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Da hat sich seit Längerem Unmut angestaut, weil die Veränderungsprozesse relativ schnell gehen. Ich denke, dass viele der landwirtschaftlichen Unternehmen Zukunftsperspektiven vermissen auf Seiten der Politik.
Vielleicht noch grundsätzlicher ist allerdings die Frage, ob dieser alte Konsens, dass die Landwirtschaft eine Sonderrolle einnimmt, nach und nach aufgegeben wird? Das würde bedeuten, dass der Agrarsektor mit anderen Wirtschaftsbereichen auf eine Ebene gestellt wird.
In den vergangenen Jahren waren die Erträge bei der Getreideernte dem Vernehmen nach recht gut. Trotz Umwelteinflüssen wie Dürren oder Überschwemmungen. Klagen die Landwirte auf hohem Niveau?
Die landwirtschaftliche Produktion ist immer Schwankungen ausgesetzt, zurückzuführen auf Wetterereignisse. Aber auch die Preise schwanken – stärker als die Landwirte das in den 1980er- oder 1990er-Jahren gewohnt waren.
Die Betriebe und Unternehmen müssen aber auch investieren können. Deswegen ist es verständlich, dass für die Bauern nach Jahren mit weniger guten Ernten auch positivere Jahre kommen. Das heißt aber nicht, dass es der Landwirtschaft immer glänzend geht.
Die Landwirte brauchen langfristige und vor allem verlässliche Rahmenbedingungen.
Die Politik sollte den Landwirten mehr erklären, wie sie die Bauern bei den Zukunftsfragen begleiten und unterstützen möchte. Schließlich haben sich die Ansprüche der Gesellschaft sehr verändert. Denken Sie an mehr Tierwohl, mehr Arten-, Umwelt- und Klimaschutz. Das kann nicht allein der Markt übernehmen. Die Landwirte brauchen langfristige und vor allem verlässliche Rahmenbedingungen, um wichtige Investitionen in den nächsten 20 oder 30 Jahren durchführen zu können.
Sie müssen darauf vertrauen können, dass sich die Situation in den nächsten zwei oder drei Jahren nicht schon wieder grundlegend ändert.
Die Landwirte haben bereits signalisiert, dass sie die jüngsten Pläne der Regierung nicht akzeptieren. Beispiel schrittweise Abschaffung der Diesel-Subventionen. Da wollen die Bauern nicht mitmachen. Was wäre denn ein sinnvoller Kompromiss-Vorschlag?
Anfang der 2.000er-Jahre gab es eine kurze Zeit, in der diese Agrardiesel-Beihilfe gedeckelt war. Es wurden pro Betrieb maximal 10.000 Liter erstattet. Damit war für alle Betriebe ein bestimmter Betrag subventioniert. Darüber hinaus wurde die volle Dieselsteuer erhoben. Diese Regelung hat die Politik wieder aufgehoben. Aber das könnte eine Zwischenlösung sein.
Gleichzeitig sehen wir aber aus ökonomischer Sicht keine Rechtfertigung für diese Form der Subvention. Deshalb ist es schon sinnvoll, diese Hilfen abzubauen. Im Gegenzug sollte man sich dann auf EU-Ebene dafür stark machen, dass die Ungleichbehandlung bei der Dieselbesteuerung in den Mitgliedsstaaten abgebaut oder zumindest reduziert wird.
Warten da neue Herausforderungen für die Landwirtschaft? Zusätzlich zum Klimaschutz und anderen Feldern?
Ja. Auf der einen Seite sollen die Bauern den Ausstoß von Kohlendioxid verringern. Andererseits sind die gefragt, wenn es darum geht, verstärkt CO2 in den Böden und Agrarflächen zu binden. Etwa, wenn sie Moorgebiete anlegen. Diese Flächen stehen dann einer landwirtschaftlichen Nutzung kaum mehr zur Verfügung. Angesichts der politischen Ziele führt daran aber kein Weg vorbei. Das ist schwierig.
Entweder macht sich die Politik unglaubwürdig, indem sie die eigenen Vorgaben nicht erfüllt oder sie muss die Bauern kräftig unterstützen. Klar ist: Allein über den Markt und die Lebensmittelpreise kann so ein Konflikt nicht gelöst werden.
Mit dem geplanten EU-Beitritt der Ukraine kann die derzeitige Agrarpolitik in der Europäischen Union aus meiner Sicht nicht fortgeführt werden. Sie muss grundlegend reformiert werden. Das bedeutet, dass viel tiefere Einschnitte bei den Subventionen nötig wären, als es jetzt mit der vergleichsweise kleinen Rückvergütung beim Agrardiesel der Fall ist.
Mit dem geplanten EU-Beitritt der Ukraine kann die derzeitige Agrarpolitik in der Europäischen Union aus meiner Sicht nicht fortgeführt werden.
Sollte die jetzige Agrarpolitik Bestand haben, hätten auch die ukrainischen Bauern Anspruch auf sogenannte Landflächen-Prämien. Das aber wäre nicht zu rechtfertigen. Schon wegen der riesigen Flächen in dem Land. Außerdem können die Landwirte in der Ukraine schon jetzt kaum zu wettbewerbsfähigen Preisen produzieren. Abgesehen davon: Zu finanzieren wäre das auch nicht.
Das Interview führte Stefan Hellem.
MDR (Jörg Wunram, Cynthia Seidel)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 08. Januar 2024 | 19:00 Uhr
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