Meinung David Wünschel
David Wünschel meint: Wer verkürzte Statistiken zur Stimmungsmache missbraucht, schürt Angst und Ausgrenzung. Bildrechte: David Wünschel/IMAGO

Kommentar Ausländerkriminalität: Wenn Zahlen zu Waffen werden

02. April 2025, 10:49 Uhr

Die Polizeiliche Kriminalstatistik scheint nahezulegen, dass die Ausländerkriminalität in Deutschland zunimmt. Populisten und Politikerinnen instrumentalisieren diese Zahlen – dabei sind sie ohne Einordnung unbrauchbar. David Wünschel meint: Wer verkürzte Statistiken zur Stimmungsmache missbraucht, schürt Angst und Ausgrenzung. Ein Kommentar.

Porträt David Wünschel
Bildrechte: David Wünschel

In Deutschland kursiert derzeit ein altbekanntes Feindbild: das vom kriminellen Ausländer, der die heimischen Straßen unsicher macht und möglichst schnell abgeschoben werden sollte.

Am Mittwoch haben Bundesinnenministerium und Bundeskriminalamt die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) für 2024 vorgestellt. "Welt" und "Spiegel" hatten bereits vorab erste Zahlen veröffentlicht. Sie liefern scheinbar neues Futter für das beschriebene Feindbild: Ausländerinnen und Ausländer sind unter den ermittelten Tatverdächtigen stark überrepräsentiert, wie schon in all den Jahren zuvor. Und wie jedes Jahr trompeten unkritische Geister diese Zahlen wie Wahrheiten in die Welt und feiern die Erkenntnis: Ja, Ausländer sind wirklich krimineller als Deutsche. Zahlen lügen schließlich nicht.

Doch die Lage ist komplizierter. Zahlen lassen sich genauso aus dem Kontext reißen wie Zitate. Und bei der Polizeilichen Kriminalstatistik ist der Beipackzettel besonders lang. Um zu verstehen, warum Schlagzeilen wie "So viele ausländische Gewalttäter wie nie zuvor" (Nius, 28. März) irreführend sind, braucht es einordnendes Hintergrundwissen. Also: ein Überblick über die wichtigsten Fakten aus dem Beipackzettel.

Die Zahl der Ausländer steigt Jahr für Jahr – und damit auch die Zahl der von ihnen verübten Straftaten

Zunächst einmal gibt es drei statistische Banalitäten, die die Zahl ausländischer Tatverdächtiger aufblähen.

  • Erstens: Etwa ein Viertel von ihnen erscheint aufgrund von ausländerrechtlichen Verstößen in der Statistik. Dazu zählen illegale Einreisen genauso wie Falschangaben auf dem Visum – also Delikte, die Deutsche gar nicht begehen können.
  • Zweitens: Die PKS erfasst auch Tatverdächtige, die ihren Wohnsitz im Ausland haben. Prügelnde Urlauber zählen genauso dazu wie einpendelnde Drogenkuriere oder Autoschieber ohne deutsche Staatsbürgerschaft.
  • Und drittens: Die Zahl der in Deutschland lebenden Ausländerinnen und Ausländer steigt Jahr für Jahr – und damit logischerweise auch die Zahl der von ihnen verübten Straftaten.

Berücksichtigt man diese Faktoren, kommen laut ifo-Institut seit vielen Jahren auf 1.000 ausländische Mitbürgerinnen und Mitbürger rund 50 Tatverdächtige, ohne große Schwankungen.

Bei der Gewaltkriminalität ist die Entwicklung ähnlich konstant. Anhand der PKS-Zahlen zu argumentieren, dass die "Migrantengewalt explodiert" (AfD-Fraktion des Hamburger Senats, 8. April 2024), ist also schlichtweg falsch. Was hingegen stimmt: Der Anteil der Tatverdächtigen ist in der ausländischen Bevölkerung auch unter Berücksichtigung der erwähnten Faktoren mehr als doppelt so hoch wie in der deutschen.

Der Vergleich zwischen Deutschen und Ausländern ist so schief wie der zwischen Äpfeln und Birnen

Drei weitere Punkte zeigen jedoch, warum die PKS kein korrektes Bild der Kriminalität in Deutschland zeichnet.

  • Erstens: Die PKS erfasst nur das Hellfeld, nicht aber das weitaus größere Dunkelfeld. Sie ist also gefärbt durch den Fokus der polizeilichen Ermittlungen und das Anzeigeverhalten der Bürger. Konkret bedeutet das: Wenn es in einer Flüchtlingsunterkunft zu einer Schlägerei kommt, rückt die Polizei eher an, als wenn ein deutscher Mann seine Frau verprügelt.
  • Zweitens: Wer in der PKS als tatverdächtig geführt wird, ist noch lange kein Straftäter. Weniger als ein Drittel der mehr als zwei Millionen Tatverdächtigen wird verurteilt.
  • Drittens – und das ist der springende Punkt: Der Vergleich zwischen Deutschen und Ausländern ist so schief wie der zwischen Äpfeln und Birnen. Die ausländische Bevölkerung ist im Schnitt jünger, männlicher, wirtschaftlich schlechter gestellt. Sie lebt häufiger in Ballungsräumen, ist stärker sozial ausgegrenzt und wird öfter selbst zum Opfer von Gewalt. All diese Faktoren beeinflussen die Kriminalitätsrate. Würde man ausländische und deutsche Bevölkerungsgruppen mit denselben Merkmalen – also Äpfel mit Äpfeln – vergleichen, dann wäre die eine Gruppe nicht krimineller als die andere. Das legen zahlreiche empirische Studien nahe.

Dass Kriminologen auf all diese Punkte seit vielen Jahren hinweisen, hält Populisten und Politikerinnen nicht davon ab, mit den verzerrten Zahlen Stimmung zu machen. Als Sachsen-Anhalts Innenministerin Tamara Zieschang (CDU) Mitte März eine Pressemitteilung zur PKS verschickte, forderte sie: "Wer in Deutschland Straftaten begeht, verwirkt sein Gastrecht und muss Deutschland wieder verlassen." Eine durchaus hinnehmbare Forderung. Sie begründete sie jedoch mit der "nicht hinnehmbaren" Entwicklung der Kriminalität unter Zuwanderern in Sachsen-Anhalt – und ließ den ellenlangen Beipackzettel der PKS unerwähnt.

Wenig überraschend griff auch die AfD die vorab veröffentlichten PKS-Zahlen auf. In einem Beitrag auf X verbreitete sie eine Fotomontage eines Tatorts mit blutverschmiertem Messer und dem Satz: "Ausländerkriminalität explodiert vor allem in CDU-regierten Ländern!" Eine Mischung aus Panikmache und politischer Instrumentalisierung. Solche Beiträge funktionieren unter anderem deshalb so gut, weil sie sich auf einen wahren Kern stützen, ihn aber schamlos aus dem Kontext reißen.

Die PKS-Zahlen werden verkürzt und instrumentalisiert

Es stimmt, dass Menschen, die nach Deutschland kommen, häufiger straffällig werden als die deutsche Bevölkerung. Die PKS kann und sollte daher Anlass sein, um über den Zusammenhang zwischen Kriminalität und Zuwanderung und auch über Migrationspolitik zu sprechen. Doch das darf nicht auf kulturelle Zuschreibungen hinauslaufen, und schon gar nicht auf die pauschale Stigmatisierung von "kriminellen Ausländern". Stattdessen braucht es eine konstruktive Debatte über Integration. Denn eines ist klar: Wo Integration gelingt, sinkt die Kriminalität.

Tatsächlich aber folgt jedes Jahr dieselbe reflexhafte Empörung über zunehmende Ausländerkriminalität. Die PKS-Zahlen werden verkürzt, aus dem Zusammenhang gerissen und instrumentalisiert. Zahlen werden zu rhetorischen Waffen. Das schafft zwar stammtischtaugliche Zitate und klickträchtige Schlagzeilen – doch es schürt Angst, verstärkt Ausgrenzung und vergiftet das gesellschaftliche Klima. Und was am Ende in einigen Köpfen haften bleibt, ist das Bild vom "kriminellen Ausländer", der möglichst schnell wieder abgeschoben werden sollte.

Mehr zum Thema: Migration in Sachsen-Anhalt

MDR (David Wünschel) | Erstmals veröffentlicht am 01.04.2025

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 03. April 2025 | 12:00 Uhr

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