Wahlversprechen im Zukunftscheck Rolle rückwärts: AfD will an Kohleverstromung festhalten und sie sogar ausbauen
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09. Februar 2025, 05:00 Uhr
Als einzige Partei geht die AfD mit der Forderung in den Wahlkampf, den Kohleausstieg zu stoppen. Den wissenschaftlich belegten menschengemachten Klimawandel leugnet die Partei. Dem Wahlprogramm zufolge sollen die Laufzeiten der Kohlekraftwerke verlängert und die Kapazitäten sogar ausgebaut werden. Was diese Rolle rückwärts zu bedeuten hat und welche Folgen sie hätte, beleuchtet der Zukunftscheck.
- Laut der AfD hat Deutschland die effizientesten Kohlekraftwerke der Welt.
- Langfristiges Ziel für die AfD ist der Wiedereinstieg in die Kernkraft.
- Die Partei stellt in Frage, dass es einen vom Menschen verursachten Klimawandel gibt.
- Ein Ausstieg vom Kohleausstieg hätte schwerwiegende Folgen – wirtschaftlich, landschaftlich und gesellschaftlich.
In einer Rede im Bundestag im November sagte AfD-Kanzlerkandidatin Alice Weidel: "Wir fordern längere Laufzeiten für Kohlekraftwerke. Warum? Weil Deutschland die modernsten Kohlekraftwerke weltweit hat." In den Kernforderungen ihres Wahlprogramms führt die Partei aus:
Den geplanten Ausstieg aus der Braunkohleverstromung wird es mit der AfD nicht geben. Neben dem kurzfristig notwendigen Ausbau von Kohlekraftwerken planen wir den Wiedereinstieg in die Kernenergie.
Geht es nach der AfD, soll in Deutschland also nicht nur länger, sondern künftig auch mehr Kohle verfeuert werden. Eine Rückkehr zur Atomkraft ist dann langfristiges Ziel. Bis dahin, so die Vorstellung der AfD, sollen "Kohle und Gas eine sichere Stromversorgung gewährleisten".
Außerdem fordert die Partei die Reparatur und Wiederinbetriebnahme der Nord-Stream-Pipelines, die einst billiges Gas von Russland nach Deutschland gebracht haben. Gas- und Ölheizungen will man beibehalten, die CO2-Abgabe abschaffen, den Ausbau der Windenergie stoppen und Energie- und Stromsteuer senken. Eine Anfrage des MDR, ihre energiepolitischen Pläne zu konkretisieren, ließ die Partei unbeantwortet.
Ein Teil der Forderungen hebt auf günstigere Strompreise für Industrie und Verbraucher ab. Die sind in Deutschland relativ hoch. Im weltweiten Vergleich belegt Deutschland einer Erhebung des Vergleichsportals Verivox zufolge aktuell Platz 9 – hinter Ländern wie Italien, Irland und Liechtenstein. Den günstigsten Strom gibt es demnach aktuell im Iran, im Sudan und in Syrien.
Klimawandelleugnung als Teil des Programms
Die Positionen kann sich die AfD leisten, denn sie negiert den Zusammenhang zwischen dem Anstieg der durch den Menschen verursachten Treibhausgase in der Atmosphäre und der Erderhitzung. Die Klimakrise sei "behauptet" und der wissenschaftliche Konsens zum menschgemachten Klimawandel sei "politisch konstruiert", behauptet die Partei.
2019 bewarb die Partei einen offenen Brief von angeblich 500 Wissenschaftlern an die UN, in dem der menschengemachte Klimawandel in Frage gestellt wird. Genauere Überprüfungen des Briefes, zum Beispiel durch das Recherche-Kollektiv Correctiv, ergaben, dass die wenigsten der Unterzeichner überhaupt Naturwissenschaftler waren und nur eine Handvoll als Klimaforscher eingestuft werden konnte.
Der Weltklimarat, dem zahlreiche renommierte Klimaforschende angehören, kommt in der Zusammenfassung seines sechsten Sachstandsberichts mit Blick auf die Ursache der Erderwärmung hingegen zu einem klaren Urteil: "Menschliche Aktivitäten haben eindeutig die globale Erwärmung verursacht, vor allem durch die Emission von Treibhausgasen." Die Folge: Der vom Menschen verursachte Klimawandel wirke sich bereits auf viele Wetter- und Klimaextreme in allen Regionen der Welt aus.
Für Modellrechnungen, die belegen, wie kurzfristige Wetterphänomene und die langfristige Entwicklung des Klimas zusammenhängen, gab es 2021 den Physik-Nobelpreis – unter anderem für den deutschen Meteorologen Klaus Hasselmann.
Klima- und Umweltfolgen
Zurück zur Aussage von Alice Weidel. Was richtig ist: Ein paar der deutschen Kohlekraftwerke zählen zu den effizientesten weltweit. Einer Erhebung des Umweltbundesamtes zufolge kamen die deutschen Braunkohlekraftwerke 2023 auf einen durchschnittlichen Bruttowirkungsgrad von rund 39 Prozent, die Steinkohlekraftwerke auf rund 43 Prozent. Schon im Vergleich zu Gaskraftwerken, mit einem Brutto-Wirkungsgrad von mehr als 57 Prozent, schneiden die Kohlekraftwerke jedoch schlecht ab. Von allen Energieträgern ist Kohle der ineffizienteste. Heißt: Um die gleiche Menge an Strom zu erzeugen, braucht man vom Rohstoff Kohle am meisten. Kohle, insbesondere Braunkohle, ist mit Abstand der "schmutzigste" Energieträger von allen: Er verursacht pro erzeugter Kilowattstunde die meisten Treibhausgase. Die Kohleverstromung ist damit noch immer für rund 20 Prozent der deutschen Treibhausgasemissionen verantwortlich.
Im Moment steuert die Welt eher auf drei als auf zwei Grad Erderwärmung zu. Die bei der Pariser Klimakonferenz 2015 vereinbarte Marke von im Idealfall maximal 1,5 Grad Erderwärmung wurde vergangenes Jahr bereits erstmalig überschritten. Drei Grad Erderwärmung, "das wäre eine Welt, die wir überhaupt nicht kennen", erklärt Mojib Latif im Gespräch mit dem MDR. Der Meteorologe, Ozeanograph und Klimaforscher arbeitet am GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel und ist Seniorprofessor an der Universität Kiel. Man könne zwar argumentieren, dass Deutschlands Anteil an den weltweiten Treibhausgasemissionen bei nur etwa zwei Prozent liege, so Latif. Aber das Problem sei ein globales. "Wir können unser Klimaproblem nicht national lösen, deswegen braucht es Vorreiter." So ein Vorreiter sei Deutschland noch immer, erklärt Latif und ergänzt: "Wenn alle Länder sich so verhalten würden wie Deutschland, dann könnte man tatsächlich das Zwei-Grad-Ziel noch einhalten."
Ohne Dekarbonisierung mehr Katastrophen und Tote
"Die in diesem Jahrzehnt getroffenen Entscheidungen und durchgeführten Maßnahmen werden sich für Tausende von Jahren auswirken", konstatiert auch der Weltklimarat. Die Risiken und negativen Folgen – wie Sachschäden und Verluste – werden mit jeder Zunahme der Globalen Erwärmung steigen, sind sich die Autoren sicher. Einer, der an mehreren Berichten des Weltklimarats mitgewirkt hat, ist Hans-Otto Pörtner. Der Meeresbiologe und Klimaforscher arbeitet am Alfred-Wegner-Institut in Bremerhaven und sieht keinen Weg vorbei an der Dekarbonisierung. Andernfalls werde man mehr Katastrophen bekommen, die sich schwer prognostizieren ließen. "Nehmen Sie die Flutkatastrophen des letzten Jahres, nehmen Sie die aktuelle Brandkatastrophe in Kalifornien." Der Klimawandel werde die Menschen erziehen, ist sich Pörtner sicher.
Wer jetzt meint, er könne die Transformation aufhalten, der wird dafür einen Preis zahlen. Und dieser Preis, denke ich, wird die Leute bekehren, weil er zu hoch ist.
Anpassung an den Klimawandel werde durchaus eine Rolle spielen, so Pörtner, aber sie habe Grenzen. Nicht gegen jedes Extremwetterereignis könne man sich wappnen, auch nicht gegen einen zu starken Anstieg des Meeresspiegels. Die Folgen des Klimawandels kosten Geld – und Menschenleben. "Wir müssen ganz klar erkennen, dass wir die Grenzen der Beherrschbarkeit überschreiten, wenn wir den Klimawandel laufen lassen." Die Katastrophen würden viel schlimmer werden als das, was wir heute zu spüren bekämen. "Jeder, der meint, er könne zurückgehen und eine Welt festhalten, die wir dabei sind zu verlassen, täuscht sich". Pörtner kritisiert das "Hin und Her" und die "Kakophonie" in der politischen Diskussion als "ungünstige Begleitmusik" und fordert eine konsequente Bildungs- und Informationspolitik.
Wirtschaftliche Folgen
Ein solches "Hin und Her" wäre entsprechend auch die Rückkehr zur Kohle: Der Ausstieg ist seit Jahren fest beschlossen. Gerade fehlende Planungs- und Investitionssicherheit sind es, die der Industrie in Deutschland zu schaffen machen, hört man aus Wirtschaftskreisen immer wieder. Man könne sich auf Vieles einstellen – wenn es nur sicher und von Dauer ist.
Den Kohleausstieg abzublasen sei aber auch aus anderen Gründen ökonomisch Unsinn, erklärt die Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin, Claudia Kemfert. Mit steigendem CO2-Preis würden Kohlekraftwerke in zunehmendem Maße unwirtschaftlich. Marktgetrieben würde der Kohleausstieg viel früher kommen als 2038, so die Ökonomin. Für die Betreiber der Kraftwerke lohnt sich die Kohle durch den CO2-Preis jetzt schon kaum mehr. "So eine künstliche Verlängerung der Kohlekraftwerke würde die Kosten weiter steigen lassen und damit letztendlich auch die Strompreise", so Kemfert. Dabei wünscht sich die AfD das Gegenteil: billigen Strom.
Und selbst wenn Deutschland, wie im AfD-Programm gefordert, die nationale CO2-Bepreisung beendet, bleiben immer noch europäische Verpflichtungen. Zudem führen immer mehr Länder weltweit Instrumente zur CO2-Bepreisung ein. Was Deutschland dann spätestens beim Außenhandel teuer bezahlen würde. Fossile Energien sind ein Auslaufmodell.
Standortvorteile oder Industriemuseum?
Entsprechend entwickeln sich Erneuerbare Energien mehr und mehr zum Standortvorteil. Wer zurückrudert, verliert wirtschaftlich und technologisch den Anschluss, meint Klimaforscher Hans-Otto Pörtner.
Ähnlich äußerte sich erst kürzlich auch Pörtners Kollege Ottmar Edenhofer, Direktor sowie Chefökonom am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), in einem Interview mit der Neuen Osnabrücker Zeitung. Der Klimaschutz sei nicht die Ursache für die aktuelle Wirtschaftskrise, resümiert Edenhofer. Wer meine, durch einen Stopp der Klimaschutzpolitik würden wir wieder wettbewerbsfähiger, der verdrehe die Wirklichkeit.
Wir werden nicht als Industriemuseum des 19. Jahrhunderts überleben. Zu den Gewinnern gehören wir nur, wenn wir nach vorne gehen.
Tagebaue zerstören Dörfer und ganze Landstriche
Ein Argument gegen Erneuerbare Energien ist regelmäßig der Eingriff in die Natur: Windräder würden mindestens das Landschaftsbild zerstören oder aber auch Natur zerstören, etwa, wenn sie in Wäldern aufgestellt werden sollen. Ähnliches gilt für Freiflächensolarparks. Gleichzeitig gilt jedoch: Für die Förderung von Kohle müssen komplette Landstriche, teils auch Dörfer weichen. Die Widerstände gegen die Rodung des Hambacher Forsts wurde von den Medien eng begleitet, aktuell nehmen die letzten Bewohner von Mühlrose Abschied von ihren Häusern.
Das Dorf ist das letzte in Sachsen, das den Braunkohlebaggern weichen soll. Zumindest, wenn es bei den Plänen für das Kohle-Aus bleibt. Sollte es mit der Kohleförderung und -verstromung in Deutschland weitergehen, müssten wohl weitere Orte weichen – für Löcher, die irgendwann dann wieder aufwendig und mit erheblichen Kosten renaturiert werden müssten. Dabei stellt die Renaturierung der aktuell bestehenden Tagebaue die Verantwortlichen schon heute vor erhebliche Herausforderungen – denn das etwa für Flutung benötigte Wasser wird immer mehr zur Mangelware.
Folgen für Mensch und Gesellschaft
Der dreckige Energieträger Kohle ist nicht zuletzt ein Gesundheitsrisiko für Millionen Menschen. Wer in einer ostdeutschen Stadt groß geworden sind, erinnert sich wohl noch an ganze Straßenzüge mit rußüberzogenen Fassaden. Gelangen die Partikel in den menschlichen Organismus, sind Herz- und Lungenerkrankungen vorprogrammiert. Eine internationale wissenschaftliche Untersuchung unter Beteiligung des Max-Planck-Instituts für Chemie kam 2023 zu der Schätzung, dass ohne fossile Energieträger weltweit jedes Jahr rund fünf Millionen Todesfälle verhindert werden könnten. Herz-Kreislauf-Erkrankungen seien die häufigste Todesursache, verursacht durch Luftverschmutzung. Neben Kohlenstoffdioxid blasen Kohlekraftwerke aber auch Feinstaub und Schwermetalle wie Quecksilber in die Luft. Ebenfalls extrem gesundheitsschädlich.
Die toxische Mischung aus Luftverschmutzung und Erderwärmung kostet perspektivisch mehr Menschenleben und mehr Geld. Die Folgen von Extremwetter und Umweltkatastrophen wären auch in Deutschland irgendwann nicht mehr beherrschbar. Allein die Ahrtal-Flut 2021 hat neben Menschenleben in Summe mehr als 40 Milliarden Euro gekostet. "Wenn so etwas häufiger passiert, dann ist die Staatskasse ziemlich schnell leer", erklärt Klimaforscher Mojib Latif. Man könne sich vorstellen, welch sozialer Sprengstoff es wäre, wenn man alles verloren habe und keine Hilfe mehr bekomme.
Klimaökonomin Claudia Kemfert ergänzt, dass der Kohleausstieg auch das Ergebnis der "Befriedung eines gesellschaftlichen Großkonfliktthemas" sei. Das solle man nicht wieder aufschnüren. In der Tat haben Bürgermeister, Gemeinden und Landkreise landauf und landab längst den Strukturwandel eingeleitet und sind dabei, nicht nur ihre Energieversorgung, sondern auch die regionale Wirtschaftsstruktur neu aufzustellen.
Strategie hinter der Politik
Was also bezweckt die AfD damit, den Leuten weiszumachen, man könne weiter auf Kohle setzen? Welchen Benefit hat die Partei von der organisierten Leugnung des Klimawandels?
Marius Dilling schreibt gerade seine Doktorarbeit am Else-Frenkel-Brunswick-Institut (EFBI) für Demokratieforschung an der Universität Leipzig. Der wissenschaftliche Mitarbeiter forscht dort zu Autoritarismus und der extremen Rechten. Die Botschaft der Partei sei, niemand müsse Angst haben. "Wir können weitermachen mit dem Status Quo", sei das vermittelte Kredo, so Dilling. Viele Menschen seien sich der wissenschaftlichen Belege für den Klimawandel bewusst. Doch dieses Wissen stehe häufig im Konflikt mit dem eigenen Lebensstil. "Man schützt quasi die eigenen Überzeugungen und Verhaltensweisen vor Kritik", weil diese "als Teil einer Verschwörung gedeutet werden kann".
Klimawandelleugnung, das zeige die Forschung, hänge stark mit Verschwörungsmentalitäten zusammen, also dem generalisierten Glauben an verschiedene Verschwörungserzählungen. "Angst spielt eine zentrale Rolle", so Dilling weiter. "Das Narrativ ist ja häufig, dass gar nicht der Klimawandel die Bedrohung ist, sondern die Elite, die Gruppe, die diese 'Lüge' ins Feld bringt". Im Osten verfangen diese Narrative offensichtlich besonders gut. Die Forschenden um Dilling haben in der Autoritarismus-Studie 2022 nach Klimawandelleugnung gefragt. In Ostdeutschland haben 19,9 Prozent der Befragten der Aussage zugestimmt 'Der Klimawandel hat nichts mit dem Verhalten des Menschen zu tun'. In Westdeutschland waren es elf Prozent.
Fazit
Weiter auf Kohle – und auf fossile Energieträger allgemein – zu setzten, ist eine schlechte Idee. Es wäre schlecht fürs Klima, schlecht für Mensch und Umwelt und schlecht für den Wirtschaftsstandort Deutschland.
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR AKTUELL | 09. Februar 2025 | 21:45 Uhr