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Bundestagswahl "Die Vertrauensfrage": Wer kann Deutschland regieren?
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10. Februar 2025, 18:30 Uhr
Deutschland befindet sich mitten in einer der spannendsten politischen Phasen der letzten Jahrzehnte. Die aktuelle Bundesregierung ist gescheitert, das Vertrauen in die politischen Parteien auf einem Tiefpunkt – und die Frage nach der Zukunft des Landes drängender denn je. Wer kann die Wähler zurückgewinnen? Die Doku "Die Vertrauensfrage" von Stefan Lamby und Christian Bock wirft einen Blick hinter die Kulissen.
Die Chronologie eines Bruchs
Es ist der 6. November 2024 – der Tag, an dem die Ampelkoalition endgültig zerbricht. Monatelange Haushaltsverhandlungen, wachsende interne Spannungen und strategische Machtspiele haben die Regierung zunehmend gelähmt. Vor allem die Debatte um die Schuldenbremse hat tiefe Gräben aufgerissen: Während Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) für eine Aussetzung plädieren, hält Finanzminister Christian Lindner (FDP) mit einem eigenen Konzept dagegen – von Kritikern als "Scheidungspapier" betitelt. Eine Einigung? Kaum vorstellbar.
Mitten in den entscheidenden Gesprächen werden immer wieder Informationen durchgestochen. Die "BILD"-Zeitung meldet, Lindner habe Scholz Neuwahlen vorgeschlagen. Doch es kommt anders: Der Kanzler entlässt seinen Finanzminister mit klaren Worten: "Ich habe den Bundespräsidenten soeben um die Entlassung des Bundesministers der Finanzen gebeten. Zu oft hat Bundesminister Lindner Gesetze sachfremd blockiert. Zu oft hat er kleinkariert parteipolitisch taktiert. Zu oft hat er mein Vertrauen gebrochen." Die verbliebenen FDP-Minister – mit Ausnahme von Verkehrsminister Volker Wissing, der die Partei verlässt – treten geschlossen zurück. Das Ende der Ampel ist besiegelt.
Ich habe den Bundespräsidenten soeben um die Entlassung des Bundesministers der Finanzen gebeten. Zu oft hat Bundesminister Lindner Gesetze sachfremd blockiert. Zu oft hat er kleinkariert parteipolitisch taktiert. Zu oft hat er mein Vertrauen gebrochen.
Der "D-Day" der FDP
Während die Opposition den Bruch der Koalition für scharfe Attacken nutzt, wird innerhalb der alten Regierung um die Deutungshoheit gerungen. Recherchen der "ZEIT" legen nahe, dass die FDP den Bruch bereits seit Wochen geplant haben soll – intern sei von einem "D-Day" die Rede gewesen. Der ZEIT-Journalist Robert Pausch erzählt dazu in der ARD Story "Die Vertrauensfrage": "Seit Ende September hat sich die Führungsspitze der FDP in unterschiedlichen Konstellationen immer wieder getroffen und einen Plan für diesen Bruch entwickelt und man muss sagen, diesen Bruch inszeniert."
Am 16. Dezember verliert Olaf Scholz schließlich das Vertrauen des Bundestags. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier setzt den 23. Februar 2025 als Termin für vorgezogene Neuwahlen fest. Der Wahlkampf beginnt – und mit ihm eine Phase politischer Unsicherheit.
Das politische Kräftemessen beginnt
Ein Wettstreit um die künftige Macht in Deutschland hat begonnen. Gleich fünf Spitzenkandidatinnen und -kandidaten ziehen auch als Kanzlerkandidaten in den Wahlkampf. Olaf Scholz verteidigt seine Regierungsbilanz und kämpft um eine zweite Chance als Kanzler, während sich Friedrich Merz als natürlicher Nachfolger inszeniert – bereit, die Regierungsgeschäfte zu übernehmen. Doch es gibt Kritik: Die SPD wirft Merz fehlende Regierungserfahrung vor. Bisher war der Kanzlerkandidat in keinem Regierungsamt. Und doch liegt seine Union in Umfragen bei etwa 30 Prozent.
Weit dahinter kämpft die FDP um Christian Lindner darum, über die Fünf-Prozent-Hürde zu kommen. Nach den Enthüllungen der ZEIT hat die liberale Partei viel Vertrauen verloren - nicht nur von der Bevölkerung, auch von den ehemaligen Bündnispartnern.
Wenn man sich jetzt überlegt, warum die Regierung gescheitert ist, ist das Wort Vertrauensfrage auf einmal doppeldeutig, weil wir ja am Ende kein Vertrauen untereinander hatten und die Menschen hoffentlich Politik präsentiert bekommen, der sie vertrauen können.
Robert Habeck findet zum Thema Vertrauen klare Worte: "Wenn man sich jetzt überlegt, warum die Regierung gescheitert ist, ist das Wort Vertrauensfrage auf einmal doppeldeutig, weil wir ja am Ende kein Vertrauen untereinander hatten und die Menschen hoffentlich Politik präsentiert bekommen, der sie vertrauen können." Gleichzeitig präsentiert er sich als Kanzlerkandidat der Zuversicht und versucht, sich als Führungsfigur zu positionieren. Doch der Druck auf die etablierten Parteien wächst. Die Parteien um die beiden weiblichen Kanzlerkandidaten Sahra Wagenknecht und Alice Weidel konnten bei den ostdeutschen Landtagswahlen stark dazu gewinnen. In Umfragen liegt die AfD hinter der Union an zweiter Stelle. Sowohl das BSW als auch die AfD setzen das politische Establishment mit scharfen Angriffen unter Zugzwang.
Wir haben jetzt so viele, die Kanzler werden wollen. Ich weiß gar nicht mehr, wie wir das verkraften sollen. Die träumen alle vor sich hin, was sie gerne werden wollen.
Attentate erschüttern das Land
Nur wenige Tage später wird das Land von einem Attentat erschüttert. Taleb A. rast am Abend des 20. Dezember mit einem Auto ungebremst über den Magdeburger Weihnachtsmarkt. Sechs Menschen sterben, Hunderte werden verletzt. Noch bevor alle Hintergründe geklärt sind, wird das Attentat instrumentalisiert. Politiker verschiedener Lager beschuldigen sich gegenseitig, für das gesellschaftliche Klima verantwortlich zu sein, das zu solchen Taten führt. Innenpolitische Sicherheitsdebatten nehmen Fahrt auf. Alice Weidel spricht offen von "Remigration".
Wenige Wochen später folgt ein weiterer Schock: Ein Messerangriff in Aschaffenburg, bei dem zwei Menschen getötet werden, darunter ein Kleinkind. Die Tat befeuert die Debatte über Migration und Sicherheitspolitik nochmals. Auch Friedrich Merz kündigt nun an, an den deutschen Grenzen härtere Maßnahmen durchzusetzen. Während sich konservative Stimmen für eine deutliche Verschärfung der Migrationspolitik aussprechen, warnen Vertreter der Regierungsparteien vor Überreaktionen und populistischen Maßnahmen. An der Migrationsfrage spalten sich die politischen Lager im Wahlkampf weiter.
"Make Germany great again"
Es ist der 11. Januar 2025, Bundesparteitag der AfD in Riesa, vor den Türen demonstrieren rund 10.000 Menschen, drinnen wird Alice Weidel zur Kanzlerkandidatin gewählt. Die Proteste tangieren sie wenig: "Ja, es war eine Gegendemo irgendwie angemeldet und das ist einfach so. Das ist das gängige Geschäft bei uns, aber beeindruckt uns nicht so viel." Auf der Bühne spricht sie dann in scharfem Ton: "Ich schlage Friedrich Merz Folgendes vor. Wenn er wirklich Taurus liefern will, und mehr Waffen, dann kann er sich selbst gleich mitliefern. [...] Er soll bitte selbst gehen, zusammen mit Habeck, mit Anton Hofreiter, mit der Annalena." – Es geht gegen die Ampelregierung und die Union unter Friedrich Merz.
Ich schlage Friedrich Merz Folgendes vor. Wenn er wirklich Taurus liefern will, und mehr Waffen, dann kann er sich selbst gleich mitliefern. [...] Er soll bitte selbst gehen, zusammen mit Habeck, mit Anton Hofreiter, mit der Annalena.
Wenige Wochen später: Wahlkampfauftakt der AfD in Halle. Wieder demonstrieren knapp 10.000 Menschen vor der Halle, bundesweit gehen Menschen gegen einen Rechtsruck auf die Straße. Und drinnen, da spricht Tech-Milliardär Elon Musk auf großer Leinwand. Die Kompetenzen der EU sollten beschnitten werden, propagiert er. Weidel bedankt sich und adaptiert den Wahlspruch des US-Präsidenten Donald Trump: "Make Germany great again".
US-amerikanische Einflüsse
Elon Musk mischt sich nicht zum ersten Mal in den deutschen Wahlkampf ein. Im Dezember veröffentlicht die "Welt am Sonntag" einen Gastbeitrag des Tesla-Chefs, in dem er zur Wahl der AfD aufruft. Kurz darauf sprechen er und Alice Weidel live auf seiner Plattform X.
Doch nicht nur Elon Musk, auch der im Januar vereidigte US-Präsident Donald Trump sorgt für Unruhe in der EU. Fragen über die künftigen Beziehungen zu den Vereinigten Staaten, die Unterstützung der Ukraine und die allgemeine geopolitische Stabilität bestimmen nun ebenfalls die politische Agenda. Olaf Scholz versucht, sich als erfahrener Staatsmann zu positionieren, während Friedrich Merz auf eine neue außenpolitische Ausrichtung pocht. Sahra Wagenknecht fordert einen grundsätzlichen Wandel in der deutschen Außenpolitik, während die AfD mit einer isolationistischen Haltung punkten will.
Was passiert mit der Brandmauer?
Die Diskussion um die innere Sicherheit in Deutschland erreicht einen neuen Höhepunkt. Die beiden Attentate der vergangenen Wochen werfen noch immer einen schweren Schatten. Donald Trump mit seinem radikalen Kurs gilt manchen als Vorbild. Mitten in diesem Chaos bringt Friedrich Merz einen Fünf-Punkte-Plan zur Verschärfung der Asyl- und Migrationspolitik in den Bundestag ein. Der Plan wird verabschiedet - aber nur, weil die AfD zustimmt. Zwar scheitert das entsprechende Gesetz letztlich, für viele ist es aber trotzdem ein Wendepunkt: Die AfD feiert einen triumphalen Erfolg.
Doch für die politische Landschaft wird klar, auf die nächste Bundesregierung warten große Herausforderungen: Migration, Wirtschaft, Klimawandel, Infastruktur, der Krieg in der Ukraine und ein neuer Präsident in den USA.
Inszenierung und Machtstrategien
Es geht um Inszenierung, Machtstrategien und den richtigen Moment. Die kommenden Wochen werden zeigen, in welche Richtung Deutschland steuert. Die Doku "Die Vertrauensfrage - Wer kann Deutschland regieren?" von Stephan Lamby und Christian Bock begleitet die Spitzenkandidaten seit dem Bruch der Ampelkoalition, in Regierungsfliegern, dem politischen Berlin und den heimatlichen Wahlkreisen. Schon jetzt in der Mediathek und am 10. Februar 20:15 Uhr im Ersten.
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | ARD Story: Die Vertrauensfrage – Wer kann Deutschland regieren? | 24. Februar 2025 | 23:20 Uhr