Screenshots vom Kanal "konservativ.und.frei" auf TikTok
TikTok-Creatorin Melissa ist sauer – wegen der angeblichen sogenannten "Operation Abendsonne" der Ampel-Regierung. (Screenshot) Bildrechte: TikTok/@konservativ.und.frei

Faktencheck "Operation Abendsonne": Befördert die Ampel kurz vor Schluss noch Beamte?

02. August 2024, 05:00 Uhr

Bei TikTok verbreitet sich die Erzählung, dass die Ampel-Koalition vor der nächsten Bundestagswahl noch schnell Beamte ihrer Ministerien mit Beförderungen versorgt. "Operation Abendsonne" wird die Aktion getauft. Auch das Focus-Magazin verbreitet Infos dazu. Doch was ist dran? Gemeinsam mit dem Funk-Format Fakecheck hat MDR AKTUELL einen Faktencheck gemacht.

Nastassja von der Weiden
Bildrechte: MDR/Markus Geuther

Als "eine weitere riesengroße Sauerei" bezeichnet die TikTok-Creatorin, die sich selbst als Melissa vorstellt, ein Vorgehen, das sich "unsere Ampelpolitiker erlauben". So steigt sie in ein Video mit dem reißerischen Titel "Das Posten Geschacher hat begonnen!" ein, in dem sie ihrem Ärger Luft macht. Es geht – so raunt Melissa – um die "Operation Abendsonne".

Mehr als 123.000 Aufrufe hat das Video etwa zwei Monate nach der Veröffentlichung auf ihrem Profil mit dem Namen "@konservativ.und.frei" gesammelt, dazu mehr als 600 Kommentare. Ausgelöst hat Melissas Wut ein Focus-Artikel über eine anstehende "Operation Abendsonne". Darin geht es um die "Beamtenbeurteilungsrunde", die spätestens alle drei Jahre stattfinden muss.

Diese Beurteilungsrunde ist Grundlage für eine Beförderung von Staatsbediensteten. Der Focus berichtet, der Termin sei dafür vom Direktor des Bundestags, Michael Schäfer, auf den 1. Februar 2025 festgesetzt worden. Und nicht nur festgesetzt, sondern vorverlegt. Das gehe aus einer Hausmitteilung des Bundestags hervor. 

Besoldung und Regelbeurteilung von Beamten Die Besoldung der Beamtinnen und Beamten des Bundes, Richterinnen und Richter des Bundes sowie der Soldatinnen und Soldaten (das heißt Berufssoldatinnen und -soldaten sowie Zeitsoldatinnen und -soldaten) wird durch das Bundesbesoldungsgesetz (BBesG) geregelt.

Regelbeurteilungen werden in bestimmten periodischen Abschnitten erstellt. Nach § 48 Abs. 1 der Bundeslaufbahnverordnung (BLV) ist eine Bundesbeamtin bzw. ein Bundesbeamter alle drei Jahre zu beurteilen – und zwar unabhängig davon, ob eine Personalmaßnahme ansteht oder sich dienstliche Verhältnisse ändern.

Regelbeurteilung von Beamten im Februar 2025

Stimmt das? Und woher stammen die Informationen darüber? Wurde der Termin zur Regelbeurteilung vorgezogen? Falls ja, warum? Auf diese Frage bekommen wir vom Bundespresseamt eine Antwort, eine sehr ausführliche sogar.

Der 1. Februar sei bereits bei zwei Regelbeurteilungsdurchgängen (2014 und 2017) Beurteilungsstichtag gewesen. Regelbeurteilungen werden für alle zu beurteilenden Beamtinnen und Beamten der Bundestagsverwaltung spätestens drei Jahre nach dem davorliegenden Regelbeurteilungsstichtag erstellt. Der spätestmögliche Stichtag der nächsten Regelbeurteilungsrunde wäre demnach der 1. November 2025 gewesen, schreibt das Pressereferat auf Anfrage.

Stempelträger
Alle drei Jahre steht für Beamte eine sogenannte Regelbeurteilung an. (Symbolbild) Bildrechte: IMAGO / Elmar Gubisch

Entscheidend für die Festlegung des Stichtages am 1. Februar 2025 sei "der hinreichende zeitliche Abstand zur im Herbst 2025 anstehenden Bundestagswahl und der nachfolgenden Konstituierung des Deutschen Bundestages, die erfahrungsgemäß einen erhöhten Arbeitsanfall für weite Teile der Bundestagsverwaltung – etwa im Zuge der Konstituierung der Ausschüsse sowie sonstiger organisatorischer Veränderungen – mit sich bringen wird." 

"Das Beurteilungsverfahren, das erfahrungsgemäß einen Zeitraum von etwa sechs Monaten nach dem Beurteilungsstichtag erfordert, soll deshalb vor diesen Ereignissen abgeschlossen werden können", schreibt das Pressereferat. Auf Nachfrage werden die Stichtage von 2011 bis 2025 durch die Pressestelle genannt. Aus der Liste wird ersichtlich, dass von 2011 bis 2025 drei Mal der Stichtag am 1. Februar und zwei Mal am 1. November war. Ungewöhnlich ist der Februar-Termin also nicht.

Bevorzugung von Parteimitgliedern?

Was Melissa aber ebenso aufregt: Ein Insider habe dem Focus verraten, wer bei der SPD, bei den Grünen oder der FDP in der Partei sei, werde "massiv bevorzugt". Weder die Quelle noch die Expertise können überprüft werden.

Jan Schnellenbach
Professor Jan Schnellenbach Bildrechte: picture alliance/dpa/BTU Cottbus-Senftenberg

Professor Jan Schnellenbach von der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg sagt im Gespräch mit MDR AKTUELL zum "Phänomen Abendsonne": "Das gibt es eigentlich schon immer. Das ist eine gelebte Praxis, die es in Deutschland seit mehreren Jahrzehnten, bei allen Regierungen und in allen Farben, gibt."

Er beobachte die Politik als Volkswirtschaftler im Hinblick auf öffentliche Finanzen seit vielen Jahren. Ampel-spezifisch sei die Praxis und auch die Diskussion darum nicht. Zumindest laut Bundesbeamtengesetz entscheide die Eignung und nicht das Parteibuch.

Bundesbeamtengesetz § 9 Die Auswahl der Bewerberinnen und Bewerber richtet sich nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung ohne Rücksicht auf Geschlecht, Abstammung, Rasse oder ethnische Herkunft, Behinderung, Religion oder Weltanschauung, politische Anschauungen, Herkunft, Beziehungen oder sexuelle Identität. Dem stehen gesetzliche Maßnahmen zur Durchsetzung der tatsächlichen Gleichstellung im Erwerbsleben, insbesondere Quotenregelungen mit Einzelfallprüfung sowie zur Förderung schwerbehinderter Menschen nicht entgegen.

Ein Mann schaut sich während eines Pressetermins die mit einem Beamer an die Wand projizieren Internetseite «abgeordnetenwatch.de» an.
Die Organisation Abgeordnetenwatch fordert, dass Gründe für eine Beamten-Beförderung offengelegt werden. (Symbolbild) Bildrechte: picture alliance / dpa | Daniel Bockwoldt

Sarah Schönewolf von Abgeordnetenwatch, einer Organisation, die sich für mehr Beteiligung und Transparenz in der Politik einsetzt, sagt dazu: "Die Gründe für eine Beförderung müssen offengelegt werden. Und ob diese wirklich stimmen, muss von einer unabhängigen Kontrollinstanz geprüft werden. Nur so kann man dem Vorwurf, eine Beförderung sei an ein Parteibuch gebunden, wirklich entgegentreten" und ergänzt: "Wir merken an der Stelle, wie wichtig Transparenz ist."

Schönewolf findet nämlich auch: "Grundsätzlich ist es so, dass diese Beförderungswellen für Aufmerksamkeit und berechtigterweise auch für Empörung sorgen."

Gerechtigkeitsfrage bricht in sozialen Netzwerken auf

Ob mehr Transparenz das Problem wirklich lösen kann, da ist sich Jan Schnellenbach nicht sicher. Das Thema sei zwar "ärgerlich", aber "der Schaden sei überschaubar". Die Presse würde alle vier Jahre darüber berichten, dann gebe es Empörung, dann gehe es weiter.

Worin sich Sarah Schönewolf und Jan Schnellenbach einig sind, ist, dass das Versorgungsmotiv kurz vor einer Wahl, vor allem einer, die vor einem Regierungswechsel stattfindet, durch alle Parteien gehe. "Die aktuelle Praxis wird jetzt sehr stark von der Union angeprangert. Und vor vier Jahren war es genau umgekehrt, da haben FDP und Grüne die Union dafür kritisiert", sagt Schnellenbach.

Die Mainzer Politikwissenschaftlerin Jasmin Fitzpatrick sieht im Kern der Debatte in den sozialen Netzwerken eine Frage nach Gerechtigkeit. Es gehe darum, Demokratie und einen funktionierenden Staat auch in Übergangsphasen zu garantieren.

Zwei Studien aus den Jahren 2006 und 2012 thematisieren die "Ämterpatronage", wie man die "Operation Abendsonne" auch nennen kann, und die Berichterstattung darüber. Die Wissenschaftler Philipp Manow und Phillipp Wettengel resümieren: "Der Umfang der Parteienpatronage scheint weitaus geringer zu sein, als in der oft von alarmistischen Tönen beherrschten Diskussion weithin behauptet."

Beförderungen müssen leistungsbezogen sein

Der Vorwurf rein ideologisch motivierter und ungerechtfertigter Beförderungen wiege schwer, schreibt Jasmin Fitzpatrick. Zur Empörung auf TikTok und Co. sagt sie: "Bei allem Verständnis für Wahlkampf sollten sich alle Beteiligten hier der Tragweite ihrer Äußerungen und Behauptungen bewusst sein."

Bei jeder Beförderung müsse leistungskriteriengeleitet und nicht ideologisch vorgegangen werden. Fitzpatrick betont: Falsche Anprangerung und falsche Praxis könnten gleichermaßen demokratiegefährdend sein.

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL – Das Nachrichtenradio | 30. Juli 2024 | 06:20 Uhr

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