Collage: Die Autorin Kathrin Madry und Alterspräsident Gregor Gysi spricht bei der konstituierenden Sitzung des neuen Bundestags
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Unter der Lupe – die politische Kolumne Neuer Bundestag: Kaum gestartet, schon im Ausnahmezustand

29. März 2025, 05:00 Uhr

Der neue Bundestag steht vor massiven Herausforderungen. Als neue Bundestagspräsidentin hat Julia Klöckner nun ein wichtiges Amt inne: Sie muss für Ordnung im Bundestag sorgen, dessen geschwächte Mitte zwischen einer erstarkten Rechten und Linken sitzt, meint unsere MDR-AKTUELL-Hauptstadtkorrespondentin Kathrin Madry.

Schon der Auftakt fiel wenig überzeugend aus: Alterspräsident Gregor Gysi, der die Eröffnungsrede hielt, enttäuschte viele. Wer von ihm eine umfassende Analyse und einen möglichst verbindenden Grundton gespickt mit dem eigentlich für den Linken-Politiker typischen Wortwitz erhofft hatte, gar eine zukunftsweisende Vision, erhielt stattdessen ein ausführliches Referat zum Parteiprogramm der Linken.

Verunglimpfungen von Seiten der AfD

Nur schwacher Anstandsapplaus am Ende seiner Rede und gehässige Zwischenrufe aus dem 152 Sitze starken Block auf der rechten Seite, von der AfD, zeigten schon bei der konstituierenden Sitzung, worauf sich der 21. Deutsche Bundestag einzurichten hat: auf einen dauerhaften Ausnahmezustand. Nicht nur im Ton, auch in der Sache. Denn: Die AfD hat bereits in der konstituierenden Sitzung gezeigt, wie sie den Ton aus ihren Reihen dominieren will: Mit Verunglimpfungen und Beschimpfungen.

Klöckners neues Amt: Bundestagspräsidentin als Ordnungshüterin

Umso wichtiger dürfte das Amt werden, das Gregor Gysi am Ende seiner Rede an Julia Klöckner übergab: Die Christdemokratin ist nun Bundestagspräsidentin. Sie hat damit nicht nur das offiziell zweithöchste Staatsamt inne, das Deutschland zu vergeben hat, sondern auch eine Aufgabe, die ungleich schwieriger als in den Jahrzehnten zuvor sein dürfte.

Sie wolle "darauf achten, dass wir ein zivilisiertes Miteinander pflegen", sagte Klöckner im Bundestag. Doch wird ihr das gelingen? Schon jetzt gilt die Zahl der Ordnungsrufe, die sie aussprechen wird, als Gradmesser dafür. Denn der Riss im Parlament ist nicht nur optisch offensichtlich. Es ist ein Bundestag der Extreme.

Julia Klöckner (CDU), Bundestagspräsidentin, spricht erstmals in ihrem neuen Amt bei der konstituierenden Sitzung des neuen Bundestags. 2 min
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Ein Kommentar von Oliver Neuroth

MDR AKTUELL Fr 28.03.2025 09:38Uhr 02:15 min

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Erstarkte Extreme – geschwächte Mitte

Parteien der politischen Mitte, also Union, SPD und Grünen, fehlt zum ersten Mal in der Geschichte die entscheidende Mehrheit für grundlegende Maßnahmen: Ohne diese Zwei-Drittel-Mehrheit können weder Verfassungsrichter berufen noch Grundgesetzänderungen beschlossen werden.

Die AfD-Fraktion ist im Bundestag so stark wie nie – und gewillt, es der zukünftigen Bundesregierung so schwer wie möglich zu machen. Addiert zu den 60 Linken-Abgeordneten ergibt sich eine Sperrminorität. Beide Fraktionen sind jeweils zudem groß genug, um sich mit Störversuchen leicht Gehör zu verschaffen.

Die anderen Parteien setzen dem – noch zumindest – bis auf ohnmächtig wirkende Warnungen wenig entgegen.

Deutschlands Bürokratie entrosten und Image aufpolieren

Hinzu kommt das komplizierte internationale Umfeld: Ein erratisch handelnder US-Präsident, ein von Politikern vieler demokratischer Parteien immer mehr als Feindbild beschriebenes Russland und entsprechend unvorhersehbare Ereignisse lassen viele Bürgerinnen und Bürger nicht mehr ruhig schlafen. Dazu kommen die starken politischen Extreme innerhalb Deutschlands, denen bisher nur verunsichert wirkende demokratische Kräfte kaum zu widerstehen versprechen.

Die bisher verlautbarten Ideen der voraussichtlich neuen Bundesregierung aus Union und SPD sorgen noch kaum für Beruhigung: Das dürfte sich nur ändern, wenn es Bundestag und Bundesregierung gelingt, die geplanten Milliarden für Investitionen in die Infrastruktur so vorausschauend und klug einzusetzen, dass sich damit auch die in vielen Bereichen verkrusteten und überbürokratisierten Strukturen in Deutschland entrosten und aufpolieren lassen.

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Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 28. März 2025 | 09:40 Uhr

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