Blick auf die Fuchsienstadt Wemding
Blick auf Wemding, einer Kleinstadt im bayerischen Schwaben. Bildrechte: mago images/Alexander Rochau

Wemding in Schwaben Bundesweiter "Reichsbürger"-Kongress: Wie gefährlich sind solche Treffen in Thüringen und Bayern?

17. November 2023, 13:34 Uhr

Nach einem Aufsehen erregenden Reichsbürgertreffen auf einem Pferdehof im Eichsfeld beginnt am Freitag in Bayern ein weiterer sogenannter Zukunftskongress. Für den bayerischen Verfassungsschutz ist es eines der "größten Treffen im Phänomenbereich Reichsbürger". Verbindungen soll es auch zum terrorverdächtigen Heinrich XIII. Prinz Reuß geben. Eine Recherche von MDR Investigativ und BR Recherche.

"Mögliche Wege ins Deutsche Reich". So heißt einer der Programmpunkte bei einem Reichsbürger-Treffen in Wemding, einem 5.800-Einwohner-Ort zwischen Nürnberg und Ulm. Bei der Zusammenkunft an diesem Wochenende handelt es sich um eine Folge-Veranstaltung des sogenannten "Zukunftskongresses", der im vergangenen Juni unter strengen Behördenauflagen auf einem Pferdehof in Worbis stattfand. Dort hatten sich laut Polizei rund 170 Reichsbürger getroffen.

Der bayerische Verfassungsschutz rechnet in Wemding mit einer ähnlich hohen Teilnehmerzahl. Laut der Behörde handelt es sich um eines der größten Treffen in dieser Szene. Es diene dazu sich zu vernetzen, neue Mitglieder zu werben und auch ideologisch an die Szene zu binden.

Drei Reichsbürger im Hintergrund

Inhaltlich und organisatorisch stehen hinter der Veranstaltung drei Männer, die vor allem im Internet agieren. Einer davon ist Hans-Joachim M. aus Leipzig. In einem Werbevideo für die Veranstaltung sagt der Reichsbürger und Verschwörungsideologe: "Bis jetzt haben wir immer noch halb-besetztes Gebiet durch die Amerikaner und ein Drittel besetztes Gebiet durch die Polen im Auftrag der Engländer." Hans-Joachim M. hält die Bundesrepublik für einen "zentral geleiteten Staat, der komplett vom obersten bis zum untersten Glied nach Befehl" arbeite. Deswegen stellen für ihn demokratisch gewählte Parlamente "nur so eine Art Schaugeschäft" dar.

Der Politikwissenschaftler Jan Rathje vom Center für Monitoring, Analyse und Strategie in Berlin hält den "Kongress" in Wemding auch deswegen für "problematisch", weil er von einem Netzwerk um Hans-Joachim M. organisiert werde. "Auf diesen Treffen werden konkrete politische Handlungsempfehlungen ausgeteilt in Workshops, wie Menschen sich vermeintlich von der Bundesrepublik Deutschland befreien können und ein eigenes politisches System aufbauen", erklärt Rathje.

Veranstalter verweist auf Kontakt zu Terror-Verdächtigen

Nach eigenen Angaben stand Hans-Joachim M. in Kontakt mit mehreren Beschuldigten in den Terror-Ermittlungen der Bundesanwaltschaft um den in Thüringen bekannten Heinrich XIII. Prinz Reuß. Der Immobilien-Unternehmer sitzt derzeit in Frankfurt am Main in Untersuchungshaft. Im Dezember 2022 waren die Bundesanwaltschaft und die Polizei mit Großrazzien im Bundesgebiet gegen Reichsbürger vorgegangen, die einen gewaltsamen Umsturz in Deutschland geplant haben sollen. Reuß soll einer ihrer Anführer sein.

Über diese bis zum Tag des Polizeieinsatzes der Öffentlichkeit unbekannte Gruppierung konnte sich Hans-Joachim M. bereits einen Tag nach den Razzien bemerkenswert kenntnisreich äußern. Bei einem Vortrag im Spreewald sagte er: "Ich kenne einige der Putschisten". Michael F. sei ein "einfach gestrickter, herzensguter Mensch" und Maximilian E. "hundsgefährlich" sowie ein "Mann, der sich niemals unterordnen" würde. Der ehemalige Bundeswehrsoldat E. und der niedersächsische LKA-Beamte F. befinden sich seit den Razzien in Untersuchungshaft.

Politikwissenschaftler sieht "chiffrierte Holocaust-Leugnung"

Intensiv beworben wurde die Veranstaltung in dem Messenger-Dienst Telegram. Die Teilnahme kostet 350 Euro (inklusive Unterkunft und Verpflegung). Verwaltet wurden die Buchungen offenbar im Großraum München. Nach BR- und MDR-Informationen hat sich darum mutmaßlich Lothar W. gekümmert, der zweite Mann im Organisations-Team neben dem Verschwörungsideologen Hans-Joachim M.

Lothar W. fungiert in Wemding ebenfalls als Referent sowie als Inhaber des zentralen Telegram-Organisationskanals für das Treffen. Darüber hinaus ist er als Administrator eines weiteren einschlägigen Reichsbürger-Kanals tätig. Darin schrieb Lothar W. im September: "Wenn von Ho lo cau st geredet wird, dann zerlege ich dir diese Behauptung in alle Einzelteile und zwar zahlenmäßig, naturwissenschaftlich, architektonisch, ressourcentechnisch und zeitlich. Und dabei werde ich Quellen anführen, die nicht widerlegbar sind." Diese Aussagen bezeichnet der Politikwissenschaftler Jan Rathje vom Center für Monitoring, Analyse und Strategie auf Anfrage als "chiffrierte Holocaust-Leugnung".

Inhaber des Telegram Kanals, den Lothar W. als Administrator betreut, ist Erhard G. Der 66-Jährige ist der Dritte im Bunde bei der Organisation des Kongresses in Bayern. Erhard G. ist seit den Achtzigerjahren in der IT-Branche tätig und tritt seit mehreren Jahren als Finanzberater auf. In seinem Telegram-Kanal werden nicht nur Posts wie der von Lothar W. nicht gelöscht, sondern regelmäßig auch Videos der rechtsextremen Szene-Größe Frank Rennicke gepostet.

Eintrittsgelder im fünfstelligen Bereich eingesammelt

Erhard G. war es, der die Eintrittsgelder für das Reichsbürgertreffen auf der Thüringer Pferderanch im Juni eingesammelt hatte, ein Betrag im fünfstelligen Bereich. Zu überweisen war das Geld an eine Firma mit Sitz in einem schmalen, einstöckigen Wohnhaus in der englischen Grafschaft Somerset. Geschäftsführer: Erhard G. Was mit dem Geld geschehen ist, bleibt unklar.

MDR Investigativ und BR Recherche haben Erhard G., Lothar W. und Hans-Joachim M. zu den Vorwürfen einen umfangreichen Fragenkatalog zugeschickt. Darauf antworteten alle drei jeweils mit demselben wortgleichen, szenetypischen Text. Konkrete Fragen wurden nicht beantwortet.

Veranstaltungsort diente bereits mehrmals extrem rechten Treffen

Das Treffen soll in Wemding in einem Hotel stattfinden. Nach monatelanger Geheimhaltung haben die Organisatoren den Veranstaltungsort inzwischen bekannt gegeben. Nach einer gemeinsamen Recherche von MDR Investigativ und BR Recherche fanden in dem Familienbetrieb in den vergangenen Jahren mehrfach extrem rechte Treffen statt. Immer wieder war auch AfD-Prominenz zugegen wie der bayrische Landesvorsitzende Stefan Protschka oder die AfD-Bundestagsabgeordneten Beatrix von Storch und Petr Bystron. Auch Reichsbürger organisierten dort informelle Treffen.

Reichsbürger-Szene verzeichnet Zulauf und wird gewalttätiger

Nach Angaben des Bundesinnenministeriums rechnet der Verfassungsschutz der Szene der "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" 2022 deutschlandweit etwa 23.000 Menschen zu. Rund 400 von ihnen haben demnach Ende 2022 noch über eine Erlaubnis zum Waffenbesitz verfügt. Delikte und Gewalttaten seien um rund 40 Prozent angestiegen.

Auch in Thüringen verzeichnet die Szene nach Einschätzung des Thüringer Verfassungsschutzchefs Stephan Kramer "einen starken Zulauf". Das Maß ihrer Aktivitäten steige entsprechend. Dies belegen auch die im Vergleich zum Vorjahr deutlich höhere Anzahl an Personen in Thüringen, die als "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" erfasst" wurden. So zählte der Thüringer Verfassungsschutz 2022 etwa 1.000 Personen zu der Szene, 2021 waren es 770. Dies lasse auf eine "wachsende Relevanz diese Phänomenbereiches" schließen.

Stephan Kramer,  Präsident des Thüringer Amtes für Verfassungsschutz
Stephan Kramer, Präsident des Thüringer Amtes für Verfassungsschutz Bildrechte: imago images / Jacob Schröter

 Besonders problematisch ist das nach Ansicht des Verfassungsschutzes, weil Reichsbürger "regelmäßig Anzeichen für eine Persönlichkeitsstörung" aufwiesen und "eine Eskalationsspirale" durchlebten. Kramer wörtlich: "Reichsbürger sind also keine harmlosen "Spinner", sondern regelmäßig gewaltgeneigt und gefährlich. Reichsbürger neigen häufig, auch aufgrund ihres übersteigerten Selbstbewusstseins, zur Rechthaberei und Verschwörungstheorien, Pedanterie und zeigen eine deutliche Gewaltaffinität."

MDR (seg)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Nachrichten | 17. November 2023 | 10:00 Uhr

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