Extremismus Reichsbürger auf Pferde-Ranch in Worbis: Wie sich Extremisten vernetzen und finanzieren

08. Juni 2023, 05:00 Uhr

"Auch wirtschaftliche Interessen" sieht der Verfassungsschutz hinter einem Reichsbürger-Treffen am Wochenende auf einem Pferdehof im Eichsfeld. Gleichzeitig sollen solche Veranstaltungen zur "bundesweiten und internationalen Vernetzung der Reichsbürgerszene mit Verschwörungsideologen" dienen. Extremismus-Experten sowie die Linksfraktion im Landtag fordern Konsequenzen.

Die Spur des Eintrittsgeldes führt in die englische Grafschaft Somerset. Bis zu 150 Euro kostete die Teilnahme am Reichsbürger-Treffen am Wochenende auf der "Bonda-Ranch", einem Pferdehof in Worbis. Der Polizei zufolge waren 170 Teilnehmer gekommen. Zu überweisen waren die Teilnahmegebühren laut Veranstaltungsunterlagen, die MDR THÜRINGEN vorliegen, an eine Firma in England. Geschäftsführer ist laut englischem Handelsregister der Deutsche Erhard G. Der 66-Jährige ist seit den Achtzigerjahren in der IT-Branche tätig und tritt seit mehreren Jahren als Finanzberater auf.

Bei einem ähnlichen Treffen in einem Hotel im thüringischen Pfiffelbach im Oktober des vergangenen Jahres hatte Erhard G. einen Workshop geleitet. Im zentralen Telegram-Organisationskanal für die Reichsbürger-Veranstaltung am Wochenende auf der Ranch hatte er am intensivsten für die Teilnahme geworben.

Finanzierung der Reichsbürger-Szene

Der Präsident des Thüringer Verfassungsschutzes, Stephan Kramer, teilte dazu auf Anfrage von MDR THÜRINGEN mit: "Wenn man sich den Teilnehmerbeitrag ansieht, sind bei der Ausrichtung und Durchführung sicherlich auch wirtschaftliche Interessen von Bedeutung." Neu sei dies allerdings nicht, "denn bereits seit Langem 'verdienen' auch Szeneangehörige durch die Ausstellung von Reichsbürgerdokumenten wie Ausweisen, Pässen, Führerscheinen und anderen Devotionalien".

Ähnlich äußerte sich auf Anfrage die Landtagsabgeordnete Katarina König-Preuss (Linke): "In Worbis wurde eine fünfstellige Eurosumme an Teilnahmegebühren eingesammelt - über einen britischen Finanzdienstleister mit einer belgischen Kontoverbindung - vermutlich um den Finanzfluss zu verschleiern und deutsche Behörden hinter die Fichte zu führen, wofür die Umsätze tatsächlich verwendet werden."

Ein Häuschen in Somerset

Laut Google Maps befindet sich Erhard G.s Firma in einem schmalen, einstöckigen Wohnhaus in der englischen Grafschaft Somerset. Zumindest von außen wirkt das unscheinbare Gebäude nicht wie der Sitz eines Finanzdienstleisters. MDR THÜRINGEN liegt ein Schreiben der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) aus dem vergangenen Jahr vor, wonach Erhard G. "keine Erlaubnis" zum "Erbringen von Finanzdienstleistungen" erteilt worden sei. Gegen ihn werde die "Aufnahme von Ermittlungen wegen des Betreibens unerlaubter Geschäfte" geprüft, heißt es außerdem in dem Dokument. Auf MDR-Anfrage äußerte sich die Behörde dazu nicht.

Erhard G. selbst war für eine ausführliche Interview-Anfrage von MDR THÜRINGEN nicht zu erreichen. Mehrere seiner Internet- und Social Media-Auftritte sind abgeschaltet oder wirken wie seit Jahren nicht mehr aktualisiert. Unter einer im Internet angegebenen Telefonnummer meldete sich ein Mann, der abstritt Erhard G. zu sein. Allerdings offenbarte dieser in dem Telefonat ungefragt eigenes Detail-Wissen über das Treffen auf der "Bonda-Ranch". Ob es sich bei der Person am Telefon um G. handelte, ist unklar.

Ein Bauernhof aus Vogelperspektive
Die "Bonda-Ranch" in Worbis im Eichsfeld. Bildrechte: IMAGO / Steve Bauerschmidt

Vernetzung im "Bonda-Saloon"

Mehrere Fotos vom Wochenende auf der "Bonda-Ranch" zeigen zahlreiche bekannte Anhänger der Reichsbürger-Ideologie. Nach Beendigung der Workshops saß man offenbar noch in kleinerer Runde im "Bonda-Saloon" zusammen, einem rustikal eingerichteten Gastraum, der ebenfalls zur Reitanlage gehört. Mit am langen Biertisch: Szene-Schwergewichte wie Matthes H., der zu den Beschuldigten bei den Prinz Reuß-Ermittlungen durch die Bundesanwaltschaft zählt.

Im Dezember 2022 waren die Bundesanwaltschaft und die Polizei mit Großrazzien im Bundesgebiet gegen Reichsbürger vorgegangen, die einen gewaltsamen Umsturz in Deutschland geplant haben sollen. Ihr Anführer soll der in Thüringen bekannte Heinrich XIII. Prinz Reuß sein.

Was sind Reichsbürger?

Laut Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) bezeichnen sich Gruppen von Rechtsextremen und Verschwörungstheoretikern selbst als „Reichsbürger“. Sie lehnen die Demokratie und damit auch die Bundesrepublik Deutschland ab. Diese Gruppen behaupten, das Grundgesetz sei eine "Fortsetzung des Krieges gegen das Deutsche Reich" und die Bundesregierung ein von "den westlichen Siegermächten aufgezwungenes Statut der Fremdherrschaft über das Deutsche Volk".

Weil sie den Staat nicht anerkennen, weigern sich die Reichsbürger Steuern zu zahlen und nehmen die deutsche Gesetzgebung nicht an. Deswegen stellen manche eigene Reisepässe und Führerscheine her und ernennen sich selbst zu „Ministern“ eigener „Reichsregierungen“.

Das Bundesinnenministerium geht bundesweit von mehreren hundert Mitgliedern aus. Die Reichsbürger sind keine einheitliche Gruppe und teilweise untereinander zerstritten. Einige sind Neonazis, andere Esoterik-Anhänger. Ihre gemeinsame Kernideologie ist laut bpb antisemitisch, demokratiefeindlich und geschichtsrevisionistisch.

Auch Hans-Joachim M. saß mit am Biertisch im "Bonda-Saloon". Auch er soll laut einem Medienbericht mit Reuß in Verbindung gestanden haben, bevor dieser verhaftet wurde.

Auf einem Foto, das eine der Podiumsdiskussionen zeigt, ist Frank Haußner zu sehen, der sich selbst ebenfalls als Anhänger von Prinz Reuß bezeichnet. Der Dachdecker aus Zeulenroda zählt zu den prominenteren Reichsbürgern in Thüringen. Im Dezember zeigte er sich in Erfurt Seit an Seit mit dem Thüringer AfD-Chef Björn Höcke an der Spitze eines Demonstrationszuges.

Am Podium teilgenommen hatte offenbar auch Martin Kohlmann von der laut sächsischen Verfassungsschutz rechtsextremen Regionalpartei "Freie Sachsen".

Ähnliche Veranstaltungen bereits im Herbst

Bereits im Oktober des vergangenen Jahres hatte es in Pfiffelbach im Landkreis Weimarer Land ein ähnliches Reichsbürger-Treffen gegeben. Die Zusammenkunft am Wochenende in Worbis wirkte nun wie eine Forstsetzung dieser Veranstaltung. Teilweise traten dieselben Vortragsredner und Workshop-Leiter auf. Das Layout der Werbe-Flyer war ebenso identisch wie die musikalische Begleitung. Zweimal sorgte die rechtsextreme Liedermacherin Kathrin E. aus Bräunlingen unter dem Pseudonym "Eine deutsche Frau" für die Musik.

Diese Ähnlichkeiten waren offenbar auch dem Thüringer Verfassungsschutz aufgefallen. "Wir gehen davon aus, dass es sich bei dem Veranstaltungsformat um eine Veranstaltungsreihe handelt, die bundesweit und international die Reichsbürgerszene sowie Verschwörungsideologen vernetzen und neue Interessierte ansprechen und gewinnen soll," teilte Behördenleiter Kramer mit. Auch die Landtagsabgeordnete König-Preuss spricht in diesem Zusammenhang von "Vernetzung von Reichsbürgern mit Neonazis".

Stephan Kramer spricht bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichtes 2020.
Stephan Kramer, Präsident des Thüringer Verfassungsschutzes Bildrechte: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Bodo Schackow

Engmaschige Kontrollen in Worbis

Die Ordnungsbehörde hatte den Kongress in Worbis nur unter strengen Auflagen und in enger Absprache mit der Polizei genehmigt. Als die Veranstaltung am vergangenen Freitag begann, war die Polizei für engmaschige Kontrollen vor Ort. Alle Teilnehmer, die die schmale Straße zur Ranch hochwollten, mussten ihre Papiere vorzeigen. Bei dieser Gelegenheit vollstreckte die Polizei mehrere Haftbefehle.

Die Linken-Politikerin König-Preuss nennt die Anreise-Kontrollen "konsequent". Zudem teilte sie mit: "Wie schnell den Worten auch Taten folgen können wurde nicht erst durch die militanten Reichsbürger-Aktivitäten wie der Polizistenmord in Georgensgmünd oder das militante Putsch-Netzwerk des Heinrich XIII. Prinz Reuß deutlich." Deswegen fordert die Abgeordnete nun einmal mehr ein "konsequentes Vorgehen gegen derartige Veranstaltungen und Rückzugsorte dieses Milieus".

Bekannt in der Freizeit-Pferde-Welt

Verfassungsschützer Kramer bezeichnet die "Bonda Ranch" im Landkreis Eichsfeld als "uns seit längerem szenebekannt". Reporterinnen und Reportern von MDR THÜRINGEN war die Betreiberin, Yvonne Bonda, bereits im Jahr 2020 im Zuge von Recherchen im radikalen Querdenker-Milieu aufgefallen.

Dem MDR liegen mehrere Screenshots ihres Facebook-Auftritts aus dieser Zeit vor. Darauf ist unter anderem zu sehen, wie Bonda von dpa-Faktencheckern widerlegte ("Die Zahl der Corona-Toten ist falsch") Informationen zum Corona-Virus verbreitete.

Auch in dem extrem rechten Telegram-Chatkanal "Das Eichsfeld wacht auf" meldet sich Bonda regelmäßig zu Wort. Im Oktober postete sie ein Video des Mediziners Sucharit Bhakdi, der zu den bekanntesten Figuren der Corona-Leugner-Szene zählt.

Und auch in der Welt der Freizeit-Pferde ist Yvonne Bonda keine Unbekannte. Die "Bonda Ranch" ist in Sendungen wie "Pferdeprofis" oder "Pferdetrainer" ("Gelingt es ihm, Tabea und ihr Pferd zu vereinen?") im Privatfernsehen zu sehen. Bei der "Equitana" in Essen, der nach eigenen Angaben "größten Pferdesportmesse der Welt", trat sie als Sponsorin auf.

Mobit-Experte: "Weit bis in die Mitte der Gesellschaft"

Dazu sagt der Extremismus-Experte Felix Steiner vom Thüringer Verein Mobit: "Der Reichsbürger-Kongress in Worbis zeigt, dass Verschwörungserzählungen und Reichsbürger-Ideologie schon längst keine Nischenphänomene mehr sind und nie waren. Vor allem die Corona-Pandemie scheint deutlich zur Verbreitung dieser gefährlichen Ideologie beigetragen zu haben - weit bis in die sogenannte Mitte der Gesellschaft."

Vor diesem Hintergrund beklagt Steiner eine "jahrelange Verharmlosung dieser Szene" durch die Sicherheitsbehörden. Gleichzeitig mahnt der Experte: "Wer glaubt, dass die Polizei nicht echt ist und der Staat nicht legitim, beschreitet nicht nur einen Weg, der ihn aus demokratischen Diskursen ausschließt, sondern auch einen, der Gewalt legitimieren kann."

Auch Katharina König-Preuss fordert ein "stärkeres Bewusstsein in den Bereichen Tourismus und Wirtschaft dafür, dass sich mit einer vermeintlich harmlosen touristischen Attraktion in der Region, einer großen Pferderanch, inzwischen ein wiederkehrender Treffpunkt der bundesdeutschen Reichsbürger-Szene entwickelt" habe.

Katharina König-Preuss
Die Linke-Politikerin Katharina König-Preuss Bildrechte: imago images/Jacob Schröter

"Hier ist eine klare Haltung gefragt, wenn sich Worbis künftig nicht zum dauerhaften Wallfahrtsort von Neonazis und Anhängern des Deutschen Reichs entwickeln soll", fordert die Abgeordnete.

Pferdehof-Betreiberin Yvonne Bonda hat bis Redaktionsschluss konkrete Fragen des MDR nicht beantwortet.

MDR (dst)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Nachrichten | 08. Juni 2023 | 06:00 Uhr

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