Analyse von Kristin Schwietzer
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Politischer Jahresrückblick Krach, Krise und Misstrauen: Das Ende der Ampel

21. Dezember 2024, 05:00 Uhr

2024: was für ein Jahr! Im Politischen hat es aufgehört, wie es anfing – mit Krach und Krawall. Die Ampel endet historisch mit der Vertrauensfrage und mit Zank und Schuldzuweisungen.

Berlin im Januar 2024: Das Regierungsviertel ist wochenlang im Ausnahmezustand. Das Dröhnen der Traktoren ist weit über das Zentrum von Berlin hinaus zu hören. Trillerpfeifen und Dauerhupen. Die Goldelse auf der Siegessäule bekommt Übernachtungsgäste: Mancher Bauer bleibt aus Protest auch schon mal länger sitzen, mit Bier und Grill.

Der Hintergrund: die Sparmaßnahmen der Bundesregierung. Die Ampel streicht die Subventionen für den Agrardiesel und die Bauern wünschen sich die Ampel weg. Spätestens da ist klar: Das kann auf Dauer nicht gut gehen.

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Haushaltslage des Bundes Ende 2023 hat die Spielräume enger gemacht. Der Ärger ist vorprogrammiert. Kurzum: Kitt, der die Ampel zusammengehalten hat, ist weg. Kein Geld mehr für große und notwendige Investitionen. Das treibt nicht nur die Bauern auf die Straße. Das macht auch viele andere wütend. Handwerker, Bäcker, Unternehmer, aber auch viele Bürger leiden unter den hohen Energiepreisen.

Eine Besserung ist nicht in Sicht. Und die Ampel-Koalitionäre verlieren sich in Debatten über die geeigneten Maßnahmen, um die Folgen des Ukraine-Krieges, der Energie- und der zunehmenden Wirtschaftskrise abzufedern.

Führung: Fehlanzeige

Und dabei ist so oft auch hier die Krise allein nicht das Problem. Für den Krieg in der Ukraine ist die Bundesregierung nicht verantwortlich. Sie gerät in eine Zeit, in der sich auch strukturelle Probleme der Vorgängerregierungen auftun. Der Reformstau der Merkel-Regierung rächt sich jetzt. Die Abhängigkeit vom russischen Gas stellt die Ampel-Regierung von einem Tag auf den anderen vor ein riesiges Problem.

Und doch hätte man im Umgang mit der Krise vieles besser machen können und müssen. Die Prioritätensetzung passt nicht zueinander. SPD und Grüne wollen mit Subventionen Härten in der Bevölkerung abmildern. Die FDP will beim Bürgergeld sparen, um der Wirtschaft zu helfen und die Rezession abzubremsen.

Spätestens im Sommer wird klar: Es passt nicht mehr zusammen, weil es von Anfang an nie wirklich zusammengepasst hat. Es gab den verheißungsvollen Start und den Wunsch, das Trennende zu überwinden. Doch die Unterschiede, vor allem zwischen Liberalen und Grünen sind zu groß, am Ende kaum überwindbar. Und der Kanzler, der Führung versprochen hat, liefert an dieser Stelle nicht.

Ampelparteien bei den Landtagswahlen abgestraft

Das Vertrauen der Bürger in die Ampel schwindet. Die politischen Ränder profitieren vom Frust der Straße. Die Messerangriffe von Mannheim und Solingen entfachen die Migrationsdebatte neu. Messerverbot und rigorosere Abschiebungen von ausländischen Straftätern sind die Antworten der Ampel. Doch sie verfangen kaum mehr. Und nun noch der Anschlag von Magdeburg

Die AfD profitiert einmal mehr von dieser Debatte, aber auch von der desolaten Wirtschaftslage und vom Streit im Bund. Bei den Landtagswahlen in Sachsen wird die AfD zweitstärkste Kraft, knapp hinter der regierenden CDU. In Thüringen heißt der Wahlsieger Björn Höcke, wenn auch nur auf dem Papier. Die AfD bleibt ohne Regierungsoption.

Dazu kommt die neue gegründete Partei von Sahra Wagenknecht, das Bündnis Sahra Wagenknecht, kurz BSW, aus dem Stand in die Landesparlamente in Dresden und Erfurt und regiert in Thüringen zumindest mit. In Sachsen zeigt das BSW der CDU die kalte Schulter.

Die Konsequenz: Die Regierungen unter Führung der CDU bleiben ohne Mehrheiten. Das ist gerade in Ostdeutschland, wo die Wirtschaftskraft oftmals noch fehlt und der Wunsch nach Klarheit, Sicherheit und Identität groß ist, schwierig. Politische Egoismen machen sich breit. Das BSW will nicht um jeden Preis regieren. Politische Verantwortung: Fehlanzeige.

Mit der AfD ist kein Staat zu machen

Und die AfD zeigt ebenfalls ihr wahres Gesicht. Bei der Wahl von Michael Kretschmer wird bis zuletzt taktiert, mit dem Ziel, den Ministerpräsidenten zu verhindern. Im zweiten Wahlgang stimmen die Abgeordneten der AfD demonstrativ nicht für ihren eigenen Kandidaten, sondern für den fraktionslosen Bewerber Matthias Berger.

Der Fraktionschef der AfD, Jörg Urban, macht aus dieser Taktik keinen Hehl, auch wenn es eine geheime Wahl war. Damit tut er seiner Partei im Bund womöglich keinen Gefallen. Eine Partei, die mit den Wählerstimmen politische Spielchen treibt und damit schwierige und fragile Mehrheiten bei wichtigen Fragen im Parlament provoziert, wirkt wenig seriös.

Was bleibt hängen? Mit der AfD ist kein Staat zu machen. Und das dürfte der Bundesvorsitzenden in Berlin kaum gefallen. Denn Alice Weidel tritt genau dafür an, fürs Regieren, offiziell als Kanzlerkandidatin.

Das Vertrauen ist weg – die Ampel auch

Die Landtagswahlen in Ostdeutschland im Spätsommer 2024 sind nur der Sargnagel für die Ampel. Offen sagen will es da noch niemand. Aber der Rückzug der FDP deutet sich hier schon an. Dass letztlich der Kanzler der Ampel-Koalition ein Ende setzt, ist nur noch Makulatur.

Der vorgelesene "Abschiedsbrief" an Christian Lindner offenbart tiefe Wunden und eine Vielzahl persönlicher Verletzungen auf beiden Seiten. Scholz' Abrechnung mit seinem Finanzminister ist unschön und unwürdig. Jetzt wird neu gemischt. In der Ampel macht sich Sitzfleisch breit. Konsequenzen will niemand ziehen. Alle Akteure bleiben auch Spitzenkandidaten, Scholz, Habeck, Lindner. Als wäre nichts gewesen. Fehleranalyse kommt später, vielleicht.

Mit dem Schlitten ins Kanzleramt

Jetzt beginnt der Kampf um Platz zwei, wenn man den bisherigen Umfragen Glauben schenken mag, könnte sich die Union den Partner aussuchen. SPD oder Grüne? Die FDP kämpft einmal mehr ums politische Überleben, den Wiedereinzug in den Bundestag.

Und so dürfte es im Winterwahlkampf 2025 ebenfalls schrill und laut beginnen. Ob am Ende der Kanzler Friedrich Merz heißt, ist nicht sicher, aber sehr wahrscheinlich. Der müsste sich nach 16 Jahren Angela Merkel und 20 Jahren politischer Abstinenz wohl auch zweimal kneifen. Dass er möglicherweise nochmal im Kanzleramt landen würde, hätte wohl vor drei Jahren noch niemand gedacht, Merz eingeschlossen.

Was den künftigen Kanzler erwartet, ist alles andere als einfach. Ein Land in der Wirtschaftskrise, Europa gefangen zwischen Autokraten und Protektionisten. Wer auch immer im Februar 2025 die Bundestagswahl gewinnt, muss auch zwischen Putin und Trump bestehen können. Vor allem aber muss er den Menschen in diesem Land das Gefühl vermitteln, dass er Deutschland sicher durch alle Krisen bringen kann.

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 21. Dezember 2024 | 06:00 Uhr

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