Marode Straßen und Brücken Fachleute sehen Pkw-Maut als Lösung gegen Sanierungsstau
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03. Januar 2025, 11:14 Uhr
Deutschland muss in den kommenden Jahren hohe Milliarden-Summen in den Erhalt von Straßen und Brücken investieren. Verkehrsforscher empfehlen die Einführung einer nutzungsabhängigen Pkw-Maut, um das nötige Geld einzunehmen. In der Politik hat die Maut aber keine Unterstützung – trotz fehlender Alternativen.
- Straßen und Brücken sind in Deutschland in solch schlechtem Zustand, dass hohe Milliarden-Summen investiert werden müssten – auch in Mitteldeutschland
- Fachleute raten zu einer nutzungsabhängigen Pkw-Maut, auch um wegfallende Steuereinnahmen bei Diesel und Benzin zu ersetzen.
- Die Idee hat allerdings in der Politik kaum Unterstützung, obwohl es an anderen Ideen mangelt.
Der Einsturz der Dresdner Carolabrücke hat es vor Augen geführt: Deutschlands Verkehrsinfrastruktur ist baufällig. Das lässt sich auch in Zahlen darstellen. So veröffentlichte etwa das Deutsche Institut für Urbanistik in Berlin vor einiger Zeit einen Bericht zum Zustand der kommunalen Straßen. Einer der Autoren, Stefan Schneider, bilanziert im Gespräch mit MDR AKTUELL: "Wenn wir insgesamt schauen, dann sind etwa ein Drittel der Straßen in einem schlechten oder sehr schlechten Zustand. Dort besteht Handlungsbedarf. Bundes- und Landstraßen haben wir zwar nicht mit einbezogen, aber sicherlich ist das Bild dort ähnlich."
Viel Bedarf, wenig Geld
Schneider errechnete mit seinem Co-Autoren, wie viel Geld in den kommenden Jahren gebraucht würde, um den Sanierungsstau aufzulösen und zugleich in Neubau zu investieren. Das Ergebnis: Allein die Kommunen benötigen bis 2030 schätzungsweise 372 Milliarden Euro, um Straßen, Brücken und Schienen zu erhalten und auszubauen. Der Großteil der Summe entfalle auf den Ersatz maroder Bauwerke.
Die Kosten für Sanierung und Neubau von Land- und Bundesstraßen sind in der Schätzung noch gar nicht enthalten. Doch auch auf Länderebene sind hohe Ausgaben notwendig.
Hoher Investitionsbedarf, wenig Mittel – das Problem hat auch die Politik erkannt. Im Oktober forderten die Verkehrsminister der Länder ein Sondervermögen für marode Brücken und Straßen. Zur Finanzierung wollen sie etwa die Einnahmen aus der Lkw-Maut verwendet sehen. Doch diese Mittel sind schon jetzt verplant. Zudem lagen die Einnahmen 2023 bei lediglich 7,4 Milliarden Euro – viel Geld, aber zu wenig angesichts der nötigen Investitionen. Woher soll das Geld also kommen?
Pkw-Maut verbindet Einnahmen und Klimaschutz
Fachleute geben hierzu eine einhellige Antwort: aus einer Pkw-Maut. "Eine Pkw-Maut, die fahrleistungsabhängig ist und pro Kilometer Gebühren einbringt, wäre ein wichtiger Beitrag zur Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur", sagt Urs Maier, Experte für Verkehrswegeplanung bei der gemeinnützigen Politikberatungsagentur Agora Verkehrswende in Berlin. "Sie hat eine schwere Hypothek, weil es mit der Maut in Deutschland einfach eine schlechte Erfahrung gab. Das liegt aber in der Ausgestaltung. Der positive Nutzen einer solchen Pkw-Maut wäre groß."
Scheuer und die gescheiterte "Ausländermaut"
Der erste Anlauf für eine Pkw-Maut in Deutschland endete in einem Desaster. Die CSU warb im Bundestagswahlkampf 2013 mit einer "Ausländermaut". Nach der Wahl einigte sich die CSU mit CDU und SPD auf das Projekt. Faktisch sollte die Maut nur für Ausländer gelten und für Deutsche mit der Kraftfahrzeugsteuer verrechnet werden. Schnell kamen Zweifel auf, ob das Vorhaben mit EU-Recht vereinbar ist.
Trotzdem trieben die Verkehrsminister Alexander Dobrindt und Andreas Scheuer (beide CSU) die Pläne über Jahre voran. Obwohl ein Gerichtsurteil des Europäischen Gerichtshof (EuGH) in dem Fall ausstand, schloss Scheuer 2018 sogar Verträge mit Betreiberfirmen. Der EuGH urteilte im Jahr darauf, dass die deutsche "Infrastrukturabgabe" Ausländer diskriminiert und daher gegen EU-Recht verstößt. Damit war das Mautprojekt gescheitert.
Die potenziellen Betreiberfirmen klagten auf Schadenersatz und erhielten später in einem Schiedsverfahren 243 Millionen Euro zugesprochen. Aufgrund dieses Schadens befasste sich bis 2021 ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss mit Scheuers Vorgehen. Im Abschlussbericht wurden keine offensichtlichen Rechtsverstöße festgestellt. Die damalige Opposition warf Scheuer jedoch Verstöße gegen das Haushalts- und Vergaberecht sowie Ignoranz und Verantwortungslosigkeit vor.
Das Bundesverkehrsministerium sah später von einer Schadenersatzklage gegen Scheuer ab, weil ein Rechtsguthaben "begründete Zweifel an der Durchsetzbarkeit möglicher Ansprüche" feststellte.
Verkehrsexperte Maier leitete ein Projekt, in dem ein Modell für eine Pkw-Maut entstand. Autofahrer sollen demnach für jeden gefahrenen Kilometer bezahlen, also nicht nur auf Autobahnen und Landstraßen, sondern auch auf Straßen in Städten und Dörfern. Technische Grundlage wäre die Ortung der Fahrzeuge per Satellit und Mobilfunk. In einer Basisvariante geht das Forscherteam von einem durchschnittlichen Kilometerpreis von 5,4 Cent aus. Für die etwa 130 Kilometer weite Fahrt von Magdeburg nach Leipzig würde das zum Beispiel Kosten von rund sieben Euro bedeuten.
Laut Kalkulation würde eine solche Maut jährlich Einnahmen von mehr als 30 Milliarden Euro generieren. Davon abzuziehen wären die Kosten des Systems, deren Höhe die Fachleute grob auf 730 Millionen Euro pro Jahr schätzen. "Der Vorteil an so einer Pkw-Maut ist, dass man sie sehr differenziert ausgestalten kann", erläutert Maier. So könnte die Maut in Städten höher sein als auf dem Dorf, wo die Alternativen zum Auto schlecht ausgebaut sind. Bei Fahrten außerhalb von Stoßzeiten könnte der Maut-Tarif günstiger sein, um den Verkehr zu lenken.
Ungefähr die Hälfte der Einnahmen würden die Wissenschaftler für den Erhalt von Autobahnen und sonstigen Straßen ausgeben, die andere Hälfte soll den Empfehlungen zufolge in den Ausbau des ÖPNV sowie Rad- und Fußwege fließen. So würde die Maut auch einen Beitrag zum Klimaschutz leisten.
Sinkende Einnahmen durch Elektrifizierung
Eine Pkw-Maut wird nicht nur von ökologisch ausgerichteten Denkfabriken befürwortet. Sie hat viele Unterstützer. Im Frühjahr löste etwa der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung eine erneute Debatte um die Maut aus. Die Wirtschaftsweisen schrieben in ihrem Gutachten, dass höhere Infrastrukturausgaben erforderlich seien und dafür "eine stärkere Nutzerfinanzierung" herangezogen werden sollte, "beispielsweise eine fahrleistungsabhängige Pkw-Maut".
In der Verkehrsprognose für 2040 im Auftrag des Bundesverkehrsministeriums wird von der Einführung einer fahrleistungsabhängigen Maut "auf überörtlichen Straßen" ausgegangen. Dort ist ebenfalls von einem Entgelt in Höhe von 5 Cent pro Fahrzeugkilometer die Rede, "um die Einnahmeausfälle aus dem sinkenden Mineralölsteueraufkommen und der Stromsteuer auszugleichen".
Wir brauchen eine andere Finanzierung, weil uns das Geld ausgeht.
Diesen Aspekt betont im Gespräch mit MDR AKTUELL auch der Verkehrsexperte Kilian Frey vom Umweltbundesamt in Dessau. "Wir brauchen eine andere Finanzierung, weil uns das Geld ausgeht", sagt er. Denn wenn in einigen Jahren, wie politisch gewollt, tatsächlich Millionen E-Autos auf der Straße sind, zahlten deren Besitzer keine Energiesteuern mehr auf Benzin und Diesel. Das sei aber derzeit eine zentrale Einnahmequelle. "Das aktuelle System zur Finanzierung von Mobilität stammt aus dem fossilen Zeitalter und passt nicht mehr zu den Anforderungen einer nachhaltigen und gerechten Mobilität", formuliert es Frey. Das Umweltbundesamt befürwortet daher ebenfalls eine "fahrleistungsabhängige" Pkw-Maut.
Unbeliebte Maßnahme
Den Fachleuten ist bewusst, dass die Maut aktuell auf Ablehnung stößt. "Ja, das ist unpopulär", räumt Kilian Frey ein. Allerdings gebe es wenige Alternativen. Denkbar wären etwa zusätzliche Schulden, der Abbau von Subventionen wie Dienstwagen- oder Dieselprivileg sowie Abgaben- und Steuererhöhungen an anderer Stelle – ebenfalls unbeliebte Maßnahmen.
Diskutiert würden zudem vermehrte Öffentlich-Private Partnerschaften, sagt Frey. Dabei übernehmen private Firmen den Bau von Infrastruktur, etwa von Autobahnabschnitten, und erhalten dann über einen festen Zeitraum zum Beispiel die dort anfallenden Lkw-Mauteinnahmen. Auch andere Konstellationen seien denkbar, sagt der Verkehrsexperte und konstatiert: "Das Verkehrsnetz muss am Ende irgendwie finanziert werden."
Die Lösung liegt sicherlich darin, mit den vorhandenen Mitteln besser umzugehen.
Kritische Gegenstimmen gibt es in der Wissenschaft wenige. Auch Stefan Schneider vom Deutschen Institut für Urbanistik hält eine Pkw-Maut für ein mögliches Mittel gegen drohende Mindereinnahmen. Skeptisch bewertet er aber den steten Ruf nach zusätzlichem Geld. "Die Lösung liegt sicherlich darin, mit den vorhandenen Mitteln besser umzugehen", sagt er. Die Frage sei, ob die Verkehrssysteme nicht so umgebaut werden sollten, dass insgesamt weniger Verkehr auf der Straße sei. Das könne etwa durch Umschichtungen in Richtung Umweltverbund gelingen – also mit mehr Geld für Rad- und Fußwege sowie den öffentlichen Nahverkehr. "Hier sind Investitionen wesentlich günstiger, als Straßen zu errichten."
Pkw-Maut ohne politische Erfolgsaussichten
An die schnelle Einführung einer Pkw-Maut glaubt keiner der befragten Experten. Das deckt sich mit den Signalen aus der Politik. Auf Anfrage spricht sich aktuell keine Partei für eine baldige Umsetzung aus. Sogar der verkehrspolitische Sprecher der Grünen im Bundestag, Stefan Gelbhaar, verweist lediglich auf künftige Debatten zur "Nutzerfinanzierung (...) angesichts der Finanzierungsdefizite". Seine Partei fokussiere sich momentan darauf, "sehr teure fossile Subventionen abzubauen", wo die FDP "sinnvolle Reformen" verhindert habe.
Die angesprochenen Liberalen lehnen eine Pkw-Maut "heute und in der absehbaren Zukunft ab", teilt der verkehrspolitische Sprecher Bernd Reuther mit. Stattdessen verweist er auf zusätzliche Einnahmen durch den weiter steigenden CO2-Preis.
Pkw-Maut in Europa
Innerhalb Europas ist es üblich, dass Autofahrer für die Nutzung bestimmter Straßen oder des gesamten Straßennetzes zahlen müssen. Nach Darstellung des Allgemeinen Deutschen Automobil-Clubs (ADAC) werden in 24 europäischen Ländern Gebühren fällig.
Eine Vignette – also eine Gebühr zur Nutzung des Wegenetzes für eine bestimmte Zeit – wird insbesondere in Südosteuropa fällig, konkret in Österreich, der Schweiz, Bulgarien, Rumänien, Slowakei, Slowenien, Tschechien und Ungarn.
Streckenbezogene Maut müssen Autofahrer in vielen weiteren Staaten zahlen, unter anderem in Deutschlands Nachbarländern Polen und Frankreich.
ADAC
Auch für die CDU stehe "derzeit eine Pkw-Maut nicht zur Debatte", antwortet der Sprecher zum Thema, Thomas Bareiß. Dagegen sollten aus Sicht der Christdemokraten "alternative Finanzierungsmöglichkeiten wie zum Beispiel öffentlich-private Partnerschaften eine größere Rolle spielen".
Die Linke setze auf höhere Steuern und mehr Kredite, um die Verkehrsinfrastruktur zu finanzieren, teilt Fachpolitiker Bernd Riexinger mit. Eine Maut würde aus Sicht der Partei zu einer "Verschärfung der sozialen Spaltung im Mobilitätsverhalten breiter Bevölkerungsgruppen führen".
Die verkehrspolitischen Sprecher von SPD, AfD und BSW antworteten nicht auf die Anfrage. Dessen ungeachtet erscheint die Idee einer Pkw-Maut weiterhin politisch tot.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 02. Januar 2025 | 06:11 Uhr
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