Teile der Carolabrücke über der Elbe sind eingestürzt, dahinter ist die Staatskanzlei zu sehen. (Luftaufnahme mit Drohne)
Die eingestürzte Carolabrücke in Dresden. Bildrechte: picture alliance/dpa | Robert Michael

Infrastruktur Zustand der Brücken: "Leider wahrscheinlich nicht der letzte Einsturz"

25. September 2024, 05:00 Uhr

Korrosion, abgeplatzer Beton, Risse: Viele Brücken in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen müssen dringend saniert werden. Nach dem Einsturz der Carolabrücke in Dresden ist das noch offensichtlicher als zuvor. Wie marode sind die Bauwerke? Wer überprüft sie? Und kann es wirklich zu weiteren Einstürzen kommen? Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Porträt David Wünschel
Bildrechte: David Wünschel

Rund 130.000 Brücken gibt es in Deutschland. Viele von ihnen sind in einem desolaten Zustand und müssen dringend saniert werden – das ist spätestens seit dem Einsturz der Carolabrücke in Dresden am 11. September klar.

Viele Menschen in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen fragen sich deshalb: Wie werden die Brücken überprüft? Gibt es noch weitere bröselnde Bauwerke? Was muss passieren, damit der Zustand der Brücken sich wieder bessert? Und wie wahrscheinlich ist es, dass es zu weiteren Einstürzen kommt? Die wichtigsten Antworten:

Wie werden Brücken überprüft?

Mindestens alle sechs Jahre findet eine Hauptprüfung statt, bei der Ingenieure die Brückenlager vermessen, Beton abklopfen oder Stahlteile auf Risse untersuchen. Hinzu kommen Zwischenprüfungen und jährliche Besichtigungen. Jede Brücke erhält eine Zustandsnote.

"Das Ziel ist zum einen, die Sicherheit für den nächsten Sechsjahres-Zyklus zu gewährleisten", sagt Steffen Marx vom Institut für Massivbau der TU Dresden. "Das andere Ziel ist, Klarheit darüber zu erlangen, welche Brücken dringend sanierungsbedürftig sind."

Die Zustandsnoten von Brücken - 1,0 bis 2,9: Die Brücke befindet sich in "sehr gutem" bis "ausreichendem Zustand".
- 3,0 bis 3,4: Die Brücke befindet sich in "nicht ausreichendem" Zustand und sollte in naher Zukunft saniert werden.
- 3,5 bis 4,0: Die Brücke befindet sich in "ungenügendem Zustand", bei dem die Standsicherheit und/oder die Verkehrssicherheit erheblich beeinträchtigt ist. Die Brücke ist in der Regel zwar nicht einsturzgefährdet, weist aber Mängel auf wie fehlende Gitterstäbe im Geländer, Risse im Beton oder Korrosionsschäden.

Bei besonderen Umständen wie Hochwasser oder Unfällen können Sonderprüfungen stattfinden. So kündigte Sachsen-Anhalts Infrastrukturministerin Lydia Hüskens vergangene Woche zusätzliche Prüfungen für 22 Bauwerke an, die ähnlich wie die Carolabrücke gebaut wurden.

Wie steht es um die Brücken an Bundesstraßen und Autobahnen?

Brücken werden in Deutschland entweder vom Bund, den Ländern oder den Kommunen betrieben. Der Bund ist in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen zuständig für rund 4.000 Brücken bzw. 5.300 Brückenbauwerke (große Brücken bestehen manchmal aus mehreren Bauwerken) an Bundesstraßen und Autobahnen. Darunter sind sowohl große Straßenbrücken wie die Elbebrücke in Tangermünde als auch einfache Überführungen für Fußgänger.

Laut einem im März veröffentlichten Bericht der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) befinden sich in Sachsen-Anhalt vier Prozent dieser Bauwerke in "nicht ausreichendem" oder "ungenügendem Zustand". In Sachsen sind es 3,4 Prozent, in Thüringen 0,7 Prozent. Damit stehen alle drei Bundesländer vergleichsweise gut da: In anderen Regionen gibt es deutlich mehr marode Brücken.

Nach der Wiedervereinigung habe es bei den Brücken in Ostdeutschland einen enormen Nachholbedarf gegeben, so Brücken-Experte Marx. "Den haben wir im positiven Sinne abgebaut." In die Hauptverkehrsadern sei damals viel Geld geflossen, viele Brücken an Autobahnen und Bundesstraßen seien neu gebaut worden. Deren Zustand sei heute in aller Regel gut.

Im Westen hingegen stammen viele Bauwerke aus den 1960er- und 1970er-Jahren. Weil die durchschnittliche Nutzungsdauer nach Angaben der Autobahn GmbH 70 Jahre beträgt, sind viele Brücken veraltet und müssen in den kommenden Jahren ersetzt werden.

Wie steht es um die Brücken an Landesstraßen?

Etwas schlechter als um die Autobahnbrücken. Aber laut Marx sind auch die Brücken an Landesstraßen (in Sachsen heißen sie Staatsstraßen) in einem akzeptablen Zustand. "In den vergangenen Jahrzehnten ist auch hier viel Geld in die Erneuerung geflossen."

Nach Angaben der verantwortlichen Behörden befinden sich in Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt rund 300 der insgesamt 3.500 Brückenbauwerke an Landes- und Staatsstraßen in "nicht ausreichendem" oder "ungenügendem Zustand". In Sachsen-Anhalt sind demnach zwölf Prozent der Bauwerke marode, in Sachsen sind es zehn Prozent und in Thüringen fünf Prozent.

Wie steht es um die Brücken in Städten und Orten?

Deutlich schlechter als um die Brücken an Fernstraßen. Für die Brücken an Ortsstraßen sind die Kommunen selbst verantwortlich. Wenn Sanierungsbedarf besteht, müssen die Verantwortlichen in Städten und Gemeinden also abwägen: Soll das verfügbare Geld wirklich in eine Brücke fließen oder ist der Bedarf beim Hochwasserschutz, bei den Kindergärten, bei der Abwasserentsorgung nicht doch größer? Das sei eine viel schwierigere Situation als bei Bund und Land, wo es zentrale Verwaltungen gibt, sagt Brücken-Experte Marx.

Die Kommunen schleppen diese Mangelverwaltung aus DDR-Zeiten immer noch mit sich herum

Steffen Marx, Institut für Massivbau der TU Dresden

2021 fragten Wissenschaftler des Deutschen Instituts für Urbanistik bei mehreren hundert kommunalen Tiefbauämtern nach, in welchem Zustand deren Brücken seien, und rechneten die Ergebnisse für verschiedene Regionen hoch. Am schlechtesten schnitten die Kommunen in Ostdeutschland ab: Dort war fast jede vierte Brücke in "nicht ausreichendem" oder "ungenügendem Zustand", wie die Studie ergab.

Marx hält diese Zahlen für plausibel. In der DDR seien viele Brücken aufgrund des permanenten Material- und Personalmangels nicht gut gepflegt worden. Nach der Wende floss der Großteil des Geldes dann in die Hauptverkehrsadern. "Die Kommunen schleppen diese Mangelverwaltung aus DDR-Zeiten immer noch mit sich herum", so Marx.

Lächelnder Mann
Steffen Marx vom Institut für Massivbau der TU Dresden Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Was muss passieren, damit der Zustand der Brücken sich wieder bessert?

Mehr Investitionen – das fordern einhellig Experten und Verbände wie der Städte- und Gemeindebund, die Bundesingenieurkammer und der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie. Nicht nur bei Brücken wurde in den vergangenen Jahrzehnten gespart, auch viele Straßen, Tunnel und Bahnstrecken sind marode. Die Infrastruktur in Deutschland ist in einem katastrophalen Zustand. Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) warb im Frühjahr für einen Infrastrukturfonds, der Planungssicherheit für alle Beteiligten schaffen soll. Fraglich ist allerdings, ob die Regierung in dieser Legislaturperiode noch einen solchen Fonds beschließt.

Wichtig ist aber nicht nur, wie viel Geld zur Verfügung steht, sondern auch, wie es verteilt wird. "Die Politik setzt die Prioritäten in Deutschland leider immer im Neubau", sagt Brücken-Experte Marx. Die Instandhaltung von Infrastruktur könne man nicht wählerwirksam platzieren. "Es muss immer etwas Neues sein, denn damit kann man politisch Blumentöpfe gewinnen."

Wenn man die Infrastruktur jedoch vernachlässige, so wie es in den vergangenen 20 bis 30 Jahren in Deutschland der Fall gewesen sei, "dann rächt sich das böse". Marx fordert eine Umkehr der Prioritäten vom Neubau hin zur Instandhaltung der Brücken.

Wie wahrscheinlich sind weitere Einstürze?

Nach dem Einsturz der Carolabrücke vermutlich sogar unwahrscheinlicher als zuvor. "Die Betreiber werden jetzt alle genau hinschauen und die Bauwerke, bei denen sie in den letzten Jahren vielleicht ein Auge zugedrückt haben, aus dem Verkehr ziehen", so Experte Marx. Von der Infrastruktur gehe keine erhöhte Gefahr aus und niemand müsse Angst haben, über eine Brücke zu fahren.

Das liege vor allem am deutschen Prüfsystem. "Das ist im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern sehr, sehr sicher", so Marx. In Italien stürze jedes Jahr eine Brücke im laufenden Betrieb ein, häufig mit Todesopfern. In Deutschland würden einsturzgefährdete Brücken jedoch frühzeitig erkannt.

Trotzdem sei es auf lange Sicht "leider wahrscheinlich, dass es nicht der letzte Einsturz war", sagt Marx. "Wir müssen dringend umsteuern und uns mehr um die Erhaltung der Brücken kümmern" – damit Einstürze wie bei der Carolabrücke in Dresden künftig nicht häufiger vorkommen.

MDR (David Wünschel)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 25. September 2024 | 12:00 Uhr

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