Straßenverkehr Polen: Vom Verkehrschaos zur Autobahn-Nation
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15. Januar 2024, 09:16 Uhr
In Polen beginnen am Montag die Winterferien. Die Anreise zum Skiurlaub hat sich in den letzten Jahren enorm verkürzt – dank einem Netz von rund 5.000 Kilometern moderner Autobahnen und Schnellstraßen, die in dem Land gebaut wurden. Es war ein enormer Kraftakt – und eine der größten Erfolgsgeschichten seit dem EU-Beitritt.
Einst waren Autoreisen durch Polen eine Qual. Kilometerlange Lkw-Kolonnen, Fahren im Schneckentempo, verstopfte Landstraßen, Unfälle und Frust prägten noch in den frühen 2000er Jahren den Alltag der polnischen Autofahrer.
"Schaffe ich es oder schaffe ich es nicht?", fragte man sich gewöhnlich vor einem Überholmanöver. Daran, dass nicht alle es auf Polens holprigen Straßen geschafft haben, erinnern die vielen Kreuze am Wegesrand. Nicht nur die sprichwörtliche polnische "Husarenphantasie", also risikofreudiges Verhalten, war daran schuld. Stress, Verzweiflung und Übermüdung wurden vielen Fahrern zum Verhängnis. Mit dem Auto durch Polen zu reisen, machte damals definitiv keinen Spaß – weil es kaum Autobahnen im Land gab.
Straßen wie aus dem Freilichtmuseum
Als sich das Land – flächenmäßig größer als die alte Bundesrepublik – 1989 vom Sozialismus befreite, hatte es – sage und schreibe – circa 230 Kilometer Autobahnen. Mehr als die Hälfte davon lag in Schlesien und Pommern, stammte noch aus deutscher Zeit und gehörte längst unter Denkmalschutz.
Ein Jahrzehnt nach der Wende brachte man es auf 400 Kilometer. So waren Autofahrer manchmal bereit, auch scheinbar verrückte Umwege auszuprobieren. Der Autor dieser Zeilen reiste beispielsweise mehrmals von Breslau nach Stettin über den Berliner Ring. Heute fasst man sich an den Kopf, damals ging es so aber schneller als auf direktem Landweg innerhalb Polens.
Und Kroatien ist nicht nur wegen seiner schönen Strände und einstmals gemäßigten Preise das beliebteste Urlaubsland der Polen geworden. Irena Wloka aus dem oberschlesischen Gleiwitz nennt einen weiteren wichtigen Grund: "In den frühen 2000er Jahren brauchte ich zehn bis zwölf Stunden, um an die polnische Ostseeküste zu kommen. Die Fahrt nach Istrien dauerte meist kürzer. So haben sich viele nach Süden umorientiert."
Polens Autobahn-Revolution
Inzwischen hat eine rasante Entwicklung stattgefunden – ein Netz von Autobahnen und vierspurigen Schnellstraßen ist entstanden. Aus 230 Kilometern sind rund 5.000 geworden. Dabei erinnert sich die mittlere Generation noch sehr gut an Zeiten, als eine Urlaubsreise von Breslau im Südwesten des Landes an die wunderschöne Suwałki-Seenplatte im Nordosten etwa 13 Stunden dauerte. Heute schafft man die Strecke in sieben bis acht Stunden.
Der ehemalige Lkw-Fahrer Krzysztof Wąs kennt die Misere aus eigener Anschauung: "Oft musste ich aus dem Süden an die Ostsee. Ich wusste nie, wann ich ankomme. Ans Überholen war außer auf den relativ wenigen vierspurigen Abschnitten überhaupt nicht zu denken. So bildeten sich häufig lange Kolonnen von Lkws, die im Tempo des Langsamsten fahren mussten. Und die Durchfahrten durch die verstopften Städte waren ein Horror."
Dass die Ostseestrände aus dem äußersten Süden heute innerhalb von sechs bis sieben Stunden zu erreichen sind und die Bewohner der polnischen Küste in der gleichen Zeit in die Skigebiete des Landes gelangen können, empfinden viele Autofahrer in Polen als Erfüllung eines fast für unmöglich gehaltenen Traumes. Ein weiterer positiver Effekt der polnischen "Autobahn-Revolution": Die Zahl der Verkehrsunfälle ist seit Jahren rückläufig: Von 40.065 im Jahr 2011 sank sie auf 20.340 im Jahr 2023 und und hat sich damit nahezu halbiert.
Verspäteter Straßenbauboom
Doch was war passiert und warum begann die Straßenbau-Revolution so spät? Das Bewusstsein, ein europäischer Staat ohne moderne Straßen zu sein, gehörte schon lange zu den nationalen Minderwertigkeitskomplexen der Polen. Selbst die tschechischen und slowakischen Nachbarn verfügten bereits in den späten 1990er Jahren über längere Autobahnabschnitte. In Polen hatte die politische Wende von 1989 aber wider Erwarten keinen Startschuss für große Straßenbauprojekte markiert. In einem Land, das seine Wirtschaft weitgehend umbauen und die tiefe Krise der 1980er Jahre überwinden musste, hatten die Regierungen größere Probleme.
Die entscheidenden Impulse für den Straßenbau kamen daher erst mit dem EU-Beitritt 2004 und der Wahl Polens zum Co-Gastgeber der Fußball-EM 2012 drei Jahre später. Um die Stadien in Polen und der Ukraine, dem anderen Gastgeber, miteinander zu verbinden, waren neue Straßen unabdingbar. Dank der EU war auch das Geld dafür auf einmal da.
Ist Polen aus der Zeit gefallen?
Aus deutscher Sicht mag dieser späte Straßenbauboom unzeitgemäß erscheinen. Während die Deutschen aus Umweltschutzgründen über ein Tempolimit debattieren, das 49-Euro-Ticket einführen und die Bahninfrastruktur ausbauen wollen, freuen sich die Polen über neue Autobahnkilometer. Der Grund: Sie haben oft keine andere Wahl.
In den 1990er- und frühen 2000er-Jahren wurde das Schienennetz sehr stark ausgedünnt, auch weil der Staat kein Geld dafür hatte, unrentable Regionalverbindungen zu subventionieren. Die Folge: Viele Gegenden sind von öffentlichen Verkehrsmitteln so gut wie abgeschnitten. Die Autobahnen sind zum Rückgrat der Mobilität geworden, weil es keine andere realistische Alternative gab.
Ostpolen rückt näher
Für einige bis vor Kurzem abgelegene Gegenden, gerade im lang vernachlässigten Ostpolen, war der Straßenbau ein wahrer Segen. Ein gutes Beispiel ist Podlachien. "Wir waren schon immer eine attraktive Gegend", erklärt Magdalena Szymańska-Smarżewska vom Gemeindeamt Supraśl, etwa 30 Kilometer von der belarusischen Grenze entfernt. "Ein neues Phänomen sind aber die vielen Wochenendtouristen aus der Hauptstadt. Als die Fahrt von Warschau hierher vier Stunden dauerte, ergaben kurze Aufenthalte nicht viel Sinn. Heute schafft man die Strecke in zweieinhalb Stunden", so Szymańska-Smarżewska.
Doch nicht nur der Fremdenverkehr profitiert. Die Region, die an Belarus, Litauen und die russische Exklave Kaliningrad grenzt, etablierte sich in den vergangenen Jahren als attraktiver Standort für die Logistik- und Speditionsbranche. "Für viele Firmen aus ganz Polen ist Białystok zu einem wichtigen Glied ihrer Lieferketten Richtung Litauen, Lettland und Estland geworden", erläutert Adam Galek, Vorstandsmitglied bei Rohlig Suus Logistics. Sein Unternehmen eröffnete vor Kurzem schon sein zweites Logistikzentrum in der Region.
Polens Autobahnnetz wächst weiter
Mit 4.890 Kilometern steht Polen derzeit auf Platz fünf unter den europäischen Ländern mit den längsten Autobahn- und Schnellstraßennetzen – hinter Spanien, Deutschland, Frankreich und Italien. Geplant sind mindestens noch weitere 3.300 Kilometer. Das große Bauen ist also noch lange nicht zu Ende.
Welches Tempolimit gilt auf Polens Straßen?
Folgende Tempolimits gelten in Polen für Fahrzeuge unter 3,5 Tonnen Gewicht:
- 140 km/h - auf Autobahnen
- 120 km/h - auf Schnellstraßen mit getrennten Richtungsfahrbahnen (autobahnähnlich, meist vierspurig, wobei die Fahrspuren etwas schmaler als die einer Autobahn sind)
- 100 km/h - auf Landstraßen mit getrennten Richtungsfahrbahnen, wenn sie mindestens zwei Fahrspuren pro Richtung haben, sowie auf Schnellstraßen mit nur einer Fahrbahn
- 90 km/h - auf gewöhnlichen Landstraßen außerhalb geschlossener Ortschaften
- 50 km/h - in geschlossenen Ortschaften
Sind die Autobahnen in Polen mautpflichtig?
Für Pkw und Motorräder sind inzwischen nur noch zwei Autobahnabschnitte in Polen mautpflichtig, die mit einer staatlichen Konzession von Privatunternehmen betrieben werden:
- A2: Świecko (deutsche Grenze) – Konin (mit Ausnahme einer kostenlosen Teilstrecke, die als Ortsumgehung der Stadt Posen dient)
- A4: Kattowitz – Krakau
Die Maut richtet sich nach der zurückgelegten Entfernung, wobei es keinen landesweit einheitlichen Kilometerpreis gibt – auf unterschiedlichen Autobahnabschnitten gelten unterschiedliche Preise. Bezahlt wird an Mautstellen in bar oder mit Karte.
Was ist der Unterschied zwischen einer Autobahn und einer Schnellstraße?
Die Fahrspuren auf einer Autobahn sind 3,75 Meter breit, auf einer Schnellstraße in der Regel nur 3,5 Meter. Die Standstreifen einer Autobahn sind drei Meter breit, bei einer Schnellstraße sind es zweieinhalb Meter.
Auch die Mindestabstände zwischen den Anschlussstellen unterscheiden sich. Auf einer Autobahn sind im normalen Gelände 15 Kilometer Abstand und in Ballungsräumen fünf Kilometer vorgeschrieben, auf Schnellstraßen sind es entsprechend fünf bzw. drei Kilometer.
Die Beschilderung auf polnischen Autobahnen ist blau, die auf Schnellstraßen grün. Es gilt ein Tempolimit von 140 km/h auf Autobahnen und 120 km/h auf Schnellstraßen mit mindestens vier Fahrspuren.
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN | MDR Sachsenspiegel F: 10657 | Nachbarn | 21. Mai 2023 | 19:00 Uhr