Unter der Lupe – die politische Kolumne Der gute Osten – wie Carsten Schneider den Menschen Mut machen will
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02. September 2023, 15:08 Uhr
Die AfD im Höhenflug, die SPD abgeschlagen. In Ostdeutschland ist der Bundestrend besonders deutlich, der Abstand besonders groß. Viele Menschen fühlen sich offenbar nicht mehr mitgenommen von den Entscheidungen der Ampel in Berlin. Carsten Schneider, der Ostbeauftragte der Bundesregierung, war jetzt in Brandenburg und Sachsen unterwegs. Die Stimmungslage zwischen Aufbruch und Verunsicherung.
- Chemnitz als Kulturhauptstadt 2025 – der Ostbeauftragte Schneider hofft auf einen Aufschwung für die Stadt.
- In Chemnitz fordert man im Zuge des Gesprächs mit Carsten Schneider auch den Anschluss ans Wasserstoffkernnetz.
- Die Umfragewerte der AfD sind weiter hoch – Schneider betont, es sei kein reines Ost-Problem.
Es ist ein später Donnerstagnachmittag in Chemnitz. Der Reisetross des Ostbeauftragten wirkt schon ein bisschen müde. Es ist der letzte Termin seiner Sommerreise. In einer kleinen Galerie hinter dem Nischel, wie die Einheimischen die Karl-Marx-Büste in der Innenstadt nennen, wird noch diskutiert, eine Podiumsdiskussion mit Künstlerinnen, die sich für das Projekt Kulturhauptstadt 2025 engagieren. Das Treffen ist Carsten Schneider wichtig. Die Kunst- und Kulturszene hat während der Pandemie gelitten. Der Ostbeauftragte will Zuversicht vermitteln und auf die, wie er findet, sehr engagierte Kunstszene in Chemnitz aufmerksam machen.
Chemnitz, eine Stadt im Umbruch
Für Schneider ist Chemnitz eine Stadt, die sich noch finden muss. Gerade hier, wo die DDR oftmals noch sichtbar ist, soll vieles neu entstehen. Dafür wurden Ideen gesammelt, an denen sich die Bürger beteiligen konnten. Mitmachen, ein wichtiger Impuls, dafür haben die Ostdeutschen feine Antennen entwickelt. Eine Kulturschaffende bringt es auf den Punkt: "Wir wollen nicht über die Menschen reden, sondern mit ihnen." Ein zentraler Satz, der wie ein stilles Mantra über dieser Reise schweben könnte.
Von der Ausrichtung der Kulturhauptstadt erhofft sich der Ostbeauftragte einen Aufschwung für die Region. Auf seiner Reise durch Brandenburg und Sachsen trifft er auf viele engagierte Menschen, Bürgermeister, die anpacken. Carsten Schneider ist auf der Suche nach einer positiven Erzählung für den Osten. Dabei begegnet ihm auch Verunsicherung, wegen der hohen Energiepreise, aber auch vor neuen Umbrüchen, der Energiewende, dem Kohleausstieg. "Die Menschen müssen wieder das Gefühl haben, dass etwas passiert in der Region", sagt Schneider bei einer Diskussionsrunde an der Uni in Cottbus.
Die Forschungslandschaft ist dabei ein großer Hoffnungsträger, für die Lausitz, überhaupt für den Osten. Drei Milliarden Euro sollen in den Standort investiert werden, ein Wissenschaftspark soll hier entstehen. Das wird Firmen anlocken und Arbeitsplätze schaffen. Davon ist die Präsidentin der Brandenburgisch Technischen Universität, Gesinde Grande, überzeugt. Die Technische Universität Cottbus-Senftenberg werde so zu einem der führenden Wissenschaftsstandorte werden.
Anschluss ans Wasserstoffnetz in Chemnitz fehlt
Zukunftsmusik, die noch nicht bei allen angekommen ist. Ein Problem, das der Ostbeauftragte auf seiner Reise auch zu hören bekommt. Die Bereitschaft zur Modernisierung und Erneuerung ist vielerorts da, das Vertrauen, dass es auch funktionieren wird, fehlt manches Mal noch. In Chemnitz soll ein Wasserstoffkompetenzzentrum entstehen. Hier wird die Wärmewende groß geschrieben. Der regionale Versorger bereitet sich darauf schon vor, will sich Schritt für Schritt von fossiler Energieversorgung verabschieden, auf Wasserstoff umstellen. Doch dafür braucht die Stadt einen Anschluss ans Netz.
Die bisherigen Pläne lassen Chemnitz noch außen vor. Geschäftsführer, Roland Warner, nutzt die Gelegenheit, dem Ostbeauftragten seine Wunschliste noch mal mit auf den Weg zu geben, nachdrücklich: "Damit wir die Energiewende umsetzen können, brauchen wir einen Anschluss ans Wasserstoffkernnetz." Dass ausgerechnet das geplante Wasserstoffkompetenzzentrum dafür noch nicht vorgesehen ist, könne er nicht nachvollziehen. Viele Betriebe in der Region seien darauf angewiesen. Es gebe tausende Anfragen von Firmen, die wissen wollen, wie das künftig funktionieren soll. Entsprechende Pläne seien bei den großen Energieunternehmen in Arbeit, der Anschluss werde kommen, versichert der Ostbeauftragte. Unsicherheiten ausräumen, Politik erklären.
SPD kämpft mit Umfragewerten
Gerade jetzt keine leichte Aufgabe für Carsten Schneider. Hier reist nicht nur der Ostbeauftragte an, hier kommt auch ein SPD-Mann aus dem Kanzleramt. Die Umfragewerte sind im Keller, die Aussichten für seine Partei bei der Landtagswahl in einem Jahr in seinem Heimatland Thüringen, mehr als ernüchternd. Dazu kommt noch eine AfD im Auftrieb. Kein schönes Thema in diesen Tagen, wenn man in Berlin Verantwortung trägt. Wirklich reden mag Carsten Schneider darüber nicht. Aber, er geht der Frage auch nicht aus dem Weg. "Meine Arbeit dreht sich nicht um die AfD. Aber eins ist klar: Die derzeitige Unterstützung in den Umfragen hat vielfältige Gründe. Wer sagt, das ist ein Ost-Problem, macht es sich zu einfach."
Bundesweit liegt die Regierungspartei nur noch auf Platz drei, hinter der AfD. Das Erscheinungsbild der Ampel hat gelitten. Die Streitigkeiten über das Heizungsgesetz hallen nach. Gerade in Ostdeutschland hat das viele Wählerinnen und Wähler verstimmt. Politische Vorgaben aus Berlin werden hier historisch bedingt, selten für gut befunden. Jetzt geht es für SPD-Spitzenpolitiker, wie Carsten Schneider auch darum, verlorenes Vertrauen wiederherzustellen. Sich zeigen, zuhören, einen Weg finden, die SPD wieder stark zu machen.
Herntier: Bundespolitik zu weit weg von den Menschen
Volkspartei fängt in der Kommune an. Die kleinste politische Einheit verzeiht keine Fehler. Wer den Kindergarten nicht baut, wird vom Wähler abgestraft. Hier erfährt Politik die ungeschminkte Wahrheit. Hier braucht sie gute Leute, die durchsetzungsfähig, volksnah und authentisch sind. "Wir müssen liefern", sagt die Bürgermeisterin von Spremberg in Brandenburg. Christine Herntier fährt eine Station im Reisebus von Cottbus nach Hoyerswerda mit. Widerständen begegnet die engagierte Kommunalpolitikerin mit offenen Worten. Den Kohleausstieg hat sie den Bürgern in vielen Gesprächsrunden erklärt. Der direkte Kontakt vor Ort hilft, um Unsicherheiten abzubauen. Aber, Herntier sagt auch, dass es schwieriger werde, je weiter man von den Gemeinden und Städten entfernt sei.
Die Politik in der Hauptstadt wirkt da manches Mal weit weg von der Lebenswelt der Menschen. Dafür brauchen die Bundesparteien starke Vertreter in den Kommunen. Das ist im Osten schwierig, die Parteienbindung ist schwächer als im Westen, die Wählerbindung ebenfalls. Herntier ist parteilos. Den Ostbeauftragten hat sie gern begleitet. In seine Partei wollte sie aber offenbar nicht eintreten. Wie gewinnt man gute Leute für die Arbeit an der Basis? Vielleicht auch ein Gedanke, den Carsten Schneider von seiner Reise durch den Osten nach Berlin mitnimmt.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 02. September 2023 | 08:05 Uhr