Wahlplakate und das Portrait von Torben Lehning
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Unter der Lupe – die politische Kolumne Der lange Schatten der Ostwahlen

25. August 2024, 05:00 Uhr

Noch eine Woche, dann wird im Osten gewählt. Die Bundesrepublik schaut nach Thüringen und Sachsen. Erstmals in der deutschen Nachkriegsgeschichte könnte eine gesichert rechtsextreme Partei die stärkste Kraft in einem Bundesland werden. Die Wahlen insgesamt bergen das Potential, am Parteiengefüge zu rütteln. Was bewegt die Bundesparteizentralen so kurz vor den "Ostwahlen"?

In welche Richtung steuern Sachsen und Thüringen? Wie entscheiden sich die Bürger? In sieben Tagen wissen wir mehr. Gut anderthalb Wochen vor den Landtagswahlen hat Infratest Dimap im Auftrag der ARD bei Umfragen in beiden Ländern ein letztes Stimmungsbild veröffentlicht. Die Umfrageergebnisse lassen erahnen, wie knapp eine Mehrheitsbildung in Thüringen und Sachsen werden könnte. In Thüringen scheinen die Tage der akut schwächelnden rot-rot-grünen Ramelow-Koalition gezählt. Auch in Sachsen schwächeln Grüne und SPD.

Grübeln in den Parteizentralen

Die Wahl könnte Folgen für beide amtierenden Landesregierungen haben. Die AfD kann auf die stärksten Landtagswahl-Ergebnisse seit ihrer Gründung hoffen und das BSW könnte in beiden Freistaaten aus dem Stand zum Zünglein an der Waage werden. In den Parteizentralen der Bundeshauptstadt grübeln die politischen Verantwortlichen, was die Umfrageergebnisse für ihre Parteien im Bund bedeuten könnten. Die Möglichkeiten sind so unvorhersehbar wie der Wahlausgang selbst.

Die Union hat die Wahl

Rückenwind erhalten aus den Umfragen die Unions-Spitzenkandidaten Voigt und Kretschmer. Die CDU tritt so geschlossen auf, wie lange nicht mehr, hat sich aber mit ihren Unvereinbarkeitsbeschlüssen – keine Koalition mit der Linken, keine mit der AfD – massive Leitplanken gebaut, die zu Problemen nach den Wahlen führen könnten. Dass die CDU kein Steigbügelhalter für eine rechtsextreme Partei werden wird, davon ist auszugehen.

Bleibt der CDU also nur die Möglichkeit, mit BSW, Grünen und/oder SPD zusammenzuarbeiten – mit einer FDP, die stark genug dafür wäre, ist kaum zu rechnen. Aber was passiert, wenn das nicht ausreicht?

In Thüringen ist nicht ausgemacht, dass die CDU nicht doch eine Minderheitsregierung mit wechselnden Mehrheiten einer Koalition mit BSW-Beteiligung vorzieht. Klar ist: Die Bundespartei wird Voigt in jedem Fall davon abraten. Sollte die CDU gemeinsame Politik mit Höckes AfD machen, würde das jedwedem Kanzlerkandidaten der Union das Leben enorm schwermachen.

Wahlkampfveranstaltung BSW auf dem Markt in Eisenach mit Video
Sarah Wagenknecht bei einer Wahlkampfveranstaltung ihrer Partei Bündnis Sarah Wagenknecht (BSW) in Eisenach – dort könnte es zu einer Koalition mit der CDU kommen. Doch letztere ist mit den Bedingungen dafür nicht einverstanden. Bildrechte: IMAGO / Funke Foto Services

Ampel-Ende?

Wer der Ampel-Koalition ein frühzeitiges Ende wünscht, dürfte nach den Ostwahlen enttäuscht werden. Klar, die aktuellen Umfrageergebnisse sehen für alle drei Ampel-Partner mehr als gruselig aus. Aber ein nüchterner Blick auf die Zahlen zeigt: So gruselig sahen sie bei den vergangenen Landtagswahlen auch schon aus. Dass deswegen eine der Parteien die Koalition verlässt, ist unwahrscheinlich.  

Es kann also sein, dass die FDP in Sachsen und Thüringen keine Rolle mehr spielen wird, die Grünen in Thüringen scheitern und die Kanzlerpartei SPD sich weiterhin als Juniorpartner verdingen muss. Und das, obwohl die Sozialdemokraten bei der vergangenen Bundestagswahl in den Freistaaten eine gute Figur gemacht hatten. All das kann passieren, doch die Ampel-Bundesparteien, sie werden einander nicht loslassen.

Keiner der Ampel-Partner hätte einen Vorteil von vorzeitigen Neuwahlen. Verlierer will keiner wählen. SPD, Grünen und FDP bleibt nur die Flucht nach vorne und die Hoffnung, das Ruder bis zur Bundestagswahl 2025 herumzureißen.

AfD wartet ab            

Die AfD hat sich mittlerweile so weit radikalisiert, dass ihre Hoffnung auf einen Koalitionsvertrag mit egal welcher anderen Partei sehr gering ist. Die AfD weiß das und kokettiert damit. Wir können warten, heißt es aus der AfD-Bundesspitze. Das Kalkül: Entweder reicht es für eine absolute Mehrheit oder die AfD zieht in großer Stärke auf die Oppositionsbank und hofft, dass die demokratischen Konkurrenten, in welcher Koalition auch immer, scheitern.

Der AfD könnten jedoch spannende Machtkämpfe ins Haus stehen. Parteichef Chrupalla werden selbst Ambitionen nachgesagt, in naher Zukunft für das Amt des sächsischen Ministerpräsidenten kandidieren zu wollen. Wenn Sachsens AfD-Chef Urban bei dieser Landtagswahl an einer Regierungsbeteiligung scheitert, steigen die Chancen, dass Chrupalla sich in Stellung bringt. Ob sich die sächsische AfD dafür offen zeigen würde, ist aber auch nicht ausgemacht.

BSW – Sahra ist überall

Sie ist die Partei, sie ist Programm. Sahra Wagenknecht möchte an den Koalitionsverhandlungen nach den Landtagswahlen teilnehmen und treibt den Preis für eine Regierungsbeteiligung ihrer Partei vor dem Wahlsonntag in die Höhe. Keine Koalition mit Parteien, die weitere US-Waffenstationierungen befürworten und keine Koalition mit Parteien, die sich nicht für einen Friedensschluss in der Ukraine einsetzen. Das hat zwar nichts mit Landespolitik zu tun, aber es passt zu Sahra Wagenknecht.

Die Thüringerin ist im Osten sehr beliebt und kann mit enorm starken Ergebnissen rechnen. Fraglich bleibt, wie gern die politisch erfahrene Wagenknecht mit ihrer Partei in Thüringen oder Sachsen in Regierungsverantwortung will. Bisher war sie es nie und in der Opposition ist es bequemer. Eine Koalition würde die Gefahr bergen, dass ihre junge Partei bald an den Versprechen scheitert, die sie den Wählern geweckt hat.

Podcast Sahra Wagenknecht Episodencover 22 min
Bildrechte: MDR/LOOKSfilm

Klar ist: Auch eine BSW-Regierungsbeteiligung in Thüringen oder Sachsen wird den Ukraine-Krieg nicht beenden.

Was zählt, ist die Wahl

Die Bedeutung der Landtagswahlen von Sachsen und Thüringen geht weit über die Landesgrenzen hinaus. Die Koalitionsbildung könnte bisher unbekanntes Terrain ausloten. Pionierarbeit für die Bundespolitik. Was, wenn in einem künftigen Landtag nur noch eine Oppositionspartei sitzt und diese auch noch rechtsextrem ist? Diese und andere unbequeme Fragen könnten anstehen. Die Landespolitiker in Thüringen und Sachsen müssen Antworten darauf finden, während der Rest der Republik auf Antworten hofft. Was jetzt erstmal zählt, ist die Wahl. Am kommenden Sonntag wissen wir mehr.

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR AKTUELL | 22. August 2024 | 19:30 Uhr

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