Wagenknecht, Fraktionsspitze, Parteitag Drohende Spaltung: Wochen der Entscheidung bei der Linken

12. Oktober 2023, 05:00 Uhr

Nach den Landtagswahlen in Bayern und Hessen stehen bei der Linkspartei entscheidende Wochen an. Es geht um nichts weniger als die Zukunft der Partei. Doch wie die aussehen könnte, hängt ausgerechnet von Sahra Wagenknecht ab.

MDR AKTUELL Mitarbeiter Lucas Grothe
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Wer sich umhört bei der Linkspartei in diesem Herbst, der trifft auf eine Partei in Wartestellung. Warten auf die neue Fraktionsspitze. Warten auf die mögliche Partei von Sahra Wagenknecht. Warten auf die damit verbundene mögliche Aberkennung des Fraktionsstatus im Bundestag.

Der Streit um Sahra Wagenknecht lähmt die Partei schon lange. Vor rund einem Jahr hielt Wagenknecht im Bundestag eine auch in Teilen ihrer Fraktion umstrittene Rede zum Ukrainekrieg und den Russlandsanktionen. Spätestens zu dem Zeitpunkt war klar: Bei der Linken finden die verschiedenen Strömungen nicht mehr zusammen.

Linke: Gibt es noch eine neue Fraktionsspitze?

Nun stehen der Partei entscheidende Wochen bevor – danach könnte die Linke erheblich anders aussehen. Offiziell steht zunächst die Suche nach einer neuen Bundestags-Fraktionsspitze an. Laut Geschäftsordnung müssen bis Ende Oktober neue Fraktionsvorsitzende gefunden werden. Zwar kann die Geschäftsordnung geändert werden, doch Teile der Fraktion, so heißt es aus Parteikreisen, wollten diesen Schritt eigentlich vermeiden, . Derzeit laufen Gespräche – bisher ohne konkrete Ergebnisse. Einen konkreten Zeitplan gibt es nach MDR-Informationen noch nicht.

Eigentlich sollte bereits im September eine neue Fraktionsspitze gewählt werden. Im Sommer hatten die bisherigen Amtsinhaber Amira Mohamed Ali und Dietmar Bartsch angekündigt, nicht mehr antreten zu wollen. Doch es fand sich keine Mehrheit für mögliche Nachfolger. Die Wahl wurde verschoben.

Ob sich allerdings bis Ende Oktober Kandidaten finden werden, ist mehr als ungewiss. Denn für die müsste zunächst eine Mehrheit organisiert werden – keine leichte Sache in der zutiefst verstrittenen Fraktion. Noch größer dürfte aber die Frage sein, wer sich diese Aufgabe überhaupt zumutet. Immerhin ist es sehr wahrscheinlich, dass diese Personen die Fraktion abwickeln müssen. Möglich ist auch, dass zumindest Dietmar Bartsch die Fraktion kommissarisch weiterleitet. Mohamed Ali hingegen gilt als Anhängerin von Sahra Wagenknecht und könnte das neue Parteiprojekt unterstützen. Sie machte zuletzt deutlich, dass sie auch übergangsweise nicht mehr für den Fraktionsvorsitz zur Verfügung steht.

Entscheidung über Wagenknecht-Partei steht kurz bevor

Denn über allem schwebt die Frage, die seit rund einem Jahr öffentlich diskutiert wird: Spalten Sahra Wagenknecht und mit ihr verbündete Linken-Bundestagsabgeordnete sich von der Linken ab und gründen eine neue Partei?

Von Wagenknecht selber und ihren Verbündeten heißt es immer wieder, eine Entscheidung solle bis Jahresende fallen. Nach MDR-Informationen könnte es schon in den kommenden Wochen soweit sein - und dann die Öffentlichkeit informiert werden. Die Wahrscheinlichkeit, dass die neue Partei kommt, ist sehr hoch. Endgültig gefallen ist die Entscheidung wohl noch nicht. Die organisatorischen und inhaltlichen Vorbereitungen im Hintergrund sind nach MDR-Informationen allerdings schon weit fortgeschritten.

Anfang der Woche hatte der "Stern" berichtet, dass beim Amtsgericht Mannheim von Wagenknecht-Anhängern ein Verein mit dem Namen "BSW - Für Vernunft und Gerechtigkeit" gegründet wurde. Inzwischen setzte die Linke laut Medienberichten den Verein auf die Unvereinbarkeitsliste der Partei.

Vereinskonstrukt Vorstufe zur Parteigründung

Das Vereinskonstrukt könnte eine Vorstufe zur Parteigründung sein. Erwartet wird, dass eine solche erst Anfang 2024 erfolgen würde. Denn damit könnten mögliche Wahlerfolge im Kalender 2024 finanziell günstiger abgerechnet werden.

Sabine Zimmermann ist ehemalige Bundestagsabgeordnete der Linken aus Sachsen und Unterstützerin von Sahra Wagenknecht. Zimmermann sagte dem MDR, die Wähler liefen der Linken davon, weil die Partei nicht mehr die Themen anspreche, die den Wählern wichtig seien. Die Partei habe an Glaubwürdigkeit verloren. Zimmermann sagte weiter: "Ich bin deshalb überzeugt, dass eine neue Partei nötig ist. Und ich hoffe, nein, eigentlich bin ich überzeugt, dass sie kommen wird. Unabhängig davon sind wir ein starkes Unterstützerteam für Sahra Wagenknecht auf das sie im Falle einer Parteigründung zurückgreifen könnte." Weiter wollte sich Zimmermann zu einer möglichen neuen Partei nicht äußern.

Linkspartei könnte Fraktionsstatus verlieren

Die Auswirkungen der Parteineugründung auf die Linkspartei wären in jedem Fall immens. Es wird geschätzt, dass inklusive Wagenknecht rund zehn Abgeordnete die Bundestagsfraktion verlassen würden. Damit wäre der Fraktionsstatus dahin – die Folgen: weniger Redezeit, weniger Geld, weniger Personal. Die Linke müsste fortan an als sogenannte Gruppe agieren. Ob auch den Abgeordneten um Sahra Wagenknecht vom Bundestag ein Gruppenstatus zugesprochen würde, ist unklar.

Im kommenden Jahr stehen neben den Europawahlen im Juni die Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg an – alle im September. Meinungsumfragen bescheinigen der Wagenknecht-Partei mögliche zweistellige Wahlergebnisse. Allerdings lassen die Umfragen einen großen Spielraum und sind wenig aussagekräftig. Klar ist aber: Stimmen könnte die Partei besonders von AfD und Linken abziehen.

Völlig unklar ist noch, wie viele Linken-Fraktionen auf kommunaler Ebene in eine mögliche neue Wagenknecht-Partei übertreten würden. Nach MDR-Informationen sollen allerdings schon in mehreren Bundesländern Linken-Fraktionen auf kommunaler Ebene angesprochen worden sein, ob sie in die neue mögliche Partei übertreten würden.

Linke-Mitglieder wollen Wagenknecht aus Partei ausschließen

Bei der Linken müssen sie derzeit warten, ob und wann es die neue Partei geben wird. Allerdings wollen einige in der Partei das nicht länger hinnehmen: Anfang der Woche beantragten rund 50 Linken-Mitglieder bei der Landesschiedskommission in Nordrhein-Westfalen einen Parteiausschluss von Sahra Wagenknecht. Auch mehrere Linke-Politikerinnen aus den mitteldeutschen Ländern haben den Antrag unterzeichnet. So unterstützt die Thüringer Bundestagsabgeordnete Martina Renner einen Parteiausschluss von Wagenknecht, ebenso wie die sächsischen Landtagsabgeordneten Juliane Nagel und Kerstin Köditz sowie die Thüringer Abgeordnete Katharina König-Preuss.

Martina Renner sagte dem MDR, der Schaden für die Linke sei greifbar: "Wer in Dauerschleife als prominente Bundestagsabgeordnete erzählt, dass sie fertig mit der Partei sei und nun ein Konkurrenzprojekt aus dem Mandat heraus aufbaut, kann nicht mehr Mitglied sein. Öffentlichkeit wie Partei erwarten ein Signal, dass die Partei diese dauernde Diffamierung und Destruktion nicht mehr duldet. Auch weil sowohl Verbindlichkeit nach außen wie das Gefühl nach innen für die gemeinsame Idee einer solidarischen Gesellschaft einzustehen durch die Angriffe beschädigt wurden."

Linken-Parteitag im November

Mitte November treffen sich die Linken-Delegierten zum Parteitag in Augsburg. Eigentlich soll es dann vor allem um die Kandidaten für die Europawahl gehen. Gut möglich ist, dass dann schon klar ist, ob es bald Konkurrenz von einer Wagenknecht-Partei gibt.

Über die Recherche Dieser Artikel ist im Rahmen eines neuen Investigativ-Teams des Mitteldeutschen Rundfunks entstanden, in dem Journalistinnen und Journalisten aller drei Landesfunkhäuser (MDR SACHSEN-ANHALT, MDR THÜRINGEN, MDR SACHSEN) zusammenarbeiten. Ziel ist, regionale Kompetenzen zu stärken.

Recherche-Schwerpunkte sollen unter anderem Rechtsextremismus, organisierte Kriminalität und Korruption auf kommunaler Ebene sein. Bei Anregungen zu investigativen Themen erreichen Sie das neue Investigativnetzwerk MDR Recherche unter recherche@mdr.de

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