Sahra Wagenknecht
Für AfD-Wähler könne eine "Wagenknecht-Partei" eine gute demokratische Exit-Strategie sein, sagt der Wahlforscher Constantin Wurthmann. Bildrechte: IMAGO/IPON

Wahlforschung Hinweise auf "Wagenknecht-Partei": Welche Chancen das hätte

11. September 2023, 11:21 Uhr

Politikerin Sahra Wagenknecht hat mehrfach öffentlich mit dem Gedanken gespielt, eine eigene Partei zu gründen – Medienberichten zufolge könnte es im Oktober soweit sein. Die Wahlforschung befasst sich bereits mit einem möglichen Wählerspektrum. Eine "Wagenknecht-Partei" könnte die Fünf-Prozent-Hürde schaffen, sagt Wahlforscher Wurthmann. Parteienforscher Hendrik Träger von der Universität Leipzig mahnt hier zur Vorsicht.

Sahra Wagenknecht lässt es offiziell bisher weiter offen, ob sie eine eigene Partei gründet. Dem ARD-Hauptstadtstudio sagte die Linken-Bundestagsabgeordnete, es gebe keinen neuen Stand zu dem, was sie bisher gesagt habe. Der "Bild" hatte Wagenknecht gesagt, dass die Entscheidung Ende des Jahres fallen solle. Unter Berufung auf anonyme Vertraute meldet die "Bild am Sonntag" hingegen am 10. September 2023, dass die Gründung bereits beschlossen sei und nach dem 8. Oktober bekannt gegeben werden soll – an diesem Tag wird in Bayern und Hessen gewählt.

Dem "Tagesspiegel" sagte Wagenknecht: "Viele fühlen sich von keiner Partei mehr vertreten und wählen aus Verzweiflung AfD. Ich fände es gut, wenn diese Menschen wieder eine seriöse Adresse hätten." Eine Parteigründung sei aber "eine wahnsinnige Kraftanstrengung", darüber könne nicht eine einzelne Person entscheiden.

Welche Chancen eine "Wagenknecht-Partei" hätte

Obwohl es die Partei noch nicht gibt, beschäftigen sich bereits Forschende mit ihr. Der Politikwissenschaftler und Wahlforscher Constantin Wurthmann vom GESIS Leibniz Institut für Sozialwissenschaften hat untersucht, wie die neue Partei die politische Landschaft in Deutschland verändern könnte.

Die Studie verortet die Wagenknecht-Partei inhaltlich im links-autoritären Spektrum. Wurthmann erklärt die Verortung wie folgt: "Links bedeutet erst einmal sozio-ökonomisch links, also Wohlfahrtsstaats-Maßnahmen aufrecht erhaltend und auch zum Beispiel Spitzensteuersätze erhöhend. Bei dem autoritären ist nicht gemeint, dass damit anti-demokratische Tendenzen gemeint sind, sondern es geht tatsächlich um traditionalistische Wertvorstellungen. Es geht tatsächlich um die Frage: Wie wird eine Einwanderungspolitik gestaltet? Möchte man überhaupt Zuwanderung haben?"

Vor allem Menschen, die sich selbst als konservativ und migrationskritisch betrachteten, zeigten sich offen für eine mögliche Parteigründung, so Wurthmann. Der typische Wähler möge keine – wie Wagenknecht sie nennt – "linken Lifestyle-Themen" und habe Angst vor Veränderung im Arbeitsleben und in der Gesellschaft.

Wahlforscher: Partei wäre gute demokratische Exit-Strategie

Der Wahlforscher spricht von einem traditionalistischen Milieu, das sozioökonomisch abgesichert sein möchte. Insbesondere unter AfD-Anhängern sei Wagenknecht beliebt. Die Daten zeigten außerdem, erzählt Wurthmann, "dass insbesondere auch in Ostdeutschland eine höhere Beliebtheit zumindest von Frau Wagenknecht vorherrscht. Und sozusagen wäre eine Gründung einer solchen Partei von Frau Wagenknecht für viele Menschen, die in Ostdeutschland momentan noch für die AfD beispielsweise votieren würden, eine gute demokratische Exit-Strategie."

Potential der Partei: Experten nennen keine konkreten Zahlen

Aber wie groß ist das Potential einer Wagenknecht-Partei? Der Wahlforscher will sich da nicht festlegen, hält es aber für möglich, bei erfolgreicher Europawahl-Teilnahme bei der Bundestagswahl die Fünf-Prozent-Hürde zu schaffen.

Auch Marius Minas vom Trierer Institut für Demokratie und Parteienforschung will sich nicht auf konkrete Zahlen festlegen. "Es gibt wenige Vergleichsbeispiele in Europa, sodass wir sagen könnten, das sind die potentiellen Wähler-Klientele einer solchen Partei. Wie groß die Bevölkerungsgruppe wäre, die einer Partei in diesem Spektrum zuzuordnen wäre, ist einfach sehr schwer zu sagen."

Minas zufolge ist ein knappes Viertel der bisherigen Linke-Wähler Wagenknecht gegenüber positiv gestimmt und findet sie besser als die Linkspartei selbst. Umfragen der Meinungsforschungsinstitute Forsa und Kantar kommen auf ein Gesamt-Wählerpotential von 19 Prozent.

Parteienforscher: Inhalte größere Herausforderung

Doch Parteienforscher Hendrik Träger von der Universität Leipzig mahnt zur Vorsicht: Diese Werte seien das Höchstmaß. Dafür reiche Sahra Wagenknecht als Zugpferd allein nicht, sondern dann müssten auch die Inhalte passen.

Und die seien die größere Herausforderung bei einer heterogenen links-konservativen Ausrichtung: "Eine inhaltlich heterogene Partei kann zwar vielleicht für den Moment aus unterschiedlichen Lagern und Wähler-Milieus Leute an sich ziehen, aber wenn es um die politische Arbeit dann in den Parlamenten geht, könnte es schwierig werden mit einer sehr heterogenen Partei, die sowohl konservative Positionen als auch linke Positionen vertreten will."

Parteienforscher Träger hält das für einen Spagat, der nur schwer zu schaffen sein dürfte.

Diese Analyse wurde erstmal am 13. Juli 2023 veröffentlicht.

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 13. Juli 2023 | 06:00 Uhr

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