Politik Zwischen Rausschmiss und Gehalten-Werden: Wagenknecht in der Linkspartei

07. Oktober 2023, 05:00 Uhr

Sahra Wagenknecht ist das Gesicht der Linkspartei und redet seit Monaten mit von der Gründung einer Konkurrenzpartei. MDR Investigativ hat zwei prominenten Frauen in der Linkspartei getroffen, an deren völlig entgegengesetzten Positionen sich ablesen lässt, wie tief der Graben ist, der die Linkspartei durchzieht.

Sahra Wagenknecht ist eine Ikone der Linkspartei. Doch aus deren Bundestagsfraktion heraus droht sie nun mit der Gründung einer Konkurrenzpartei. Dadurch vertieft sich der Graben, der die Partei durchzieht – und der Konflikt wird offenbar bewusst seit Monaten durch Wagenknecht befeuert. Wie sieht es bei den Linken derzeit aus?

Nein! Es gibt keinen Weg mit Wagenknecht für die Linke!

Henriette Quade Linken-Landtagsabgeordnete

"Ich bin absolut dafür, dass die Linke zusammenbleibt", sagt die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linken Gesine Lötzsch. Aus Sicht der Bundestagsabgeordneten würde eine Spaltung die linke Bewegung schwächer machen. Doch: "Alle Seiten müssen aufeinander zugehen!" Das jedoch sehen andere starke Kräfte in der Partei mittlerweile als unmöglich an. "Nein! Es gibt keinen Weg mit Wagenknecht für die Linke!", sagt die Landtagsabgeordnete der Linkspartei in Sachsen-Anhalt, Henriette Quade. "Sahra Wagenknecht hat sich sehr klar entschieden, vor geraumer Zeit, dass sie etwas anderes verfolgt – mit wem sie und für wen sie Politik machen will."

Ich bin absolut dafür, dass die Linke zusammenbleibt.

Gesine Lötzsch Linken-Bundestagsabgeordnete

Wagenknechts Kritik an der eigenen Partei

Klar ist: Wagenknecht hat über Jahre große Teile ihrer Partei immer wieder mit öffentlich geäußerten Positionen gegen sich aufgebracht: Ihre Kritik an zu viel Zuwanderung, an weiterer EU-Integration, zuletzt ihre Haltung zu Sanktionen im Ukraine-Krieg.

Und vor allem auch der Vorwurf in ihrem jüngsten Buch, dass Identitätspolitik, wie sie sie nennt, sich viel zu viel um immer skurrilere Minderheiten kümmere. "Was man heutzutage in der Identitäts-Linken braucht, um geachtet zu sein", erklärte Wagenknecht bei einem Auftritt. "Man muss mindestens eine Frau sein; möglichst darf man nicht heterosexuell sein; gut ist auch, wenn man Eltern hat, die Einwanderer sind."

Das habe sie mit Zynismus geäußert, so Wagenknecht. Denn sie sei ja selbst eine Frau, und ihr Vater sei kein Deutscher. "Aber ich finde nicht, dass man daraus irgendein Privileg ableiten darf! Und das ist diese falsche Debatte, die sozusagen daraus Privilegien ableitet, dass man überhaupt nur über bestimmte Themen reden darf, wenn man zu einer Minderheit gehört."

Immer wieder kommt solche Kritik von Wagenknecht: Über die zu starke Beschäftigung mit Minderheiten oder  solchen Themen wie dem Gendern und ähnlichem werde die eigentliche Aufgabe der Linken, sich um die wirtschaftlich und sozial Benachteiligten zu kümmern, vernachlässigt.

Standpunkte: Verständigung und Rausschmiss

"Das ist eine Frechheit und macht mich wirklich wütend! Zu behaupten, die Linke wäre nicht mehr die Kümmererpartei", schimpft Quade. "Es ist eine Lüge!" Es sei eine, die die vielen Ehrenamtlichen in der Partei – die kein Bundestagsmandat hätten – vor den Kopf stoße. Denn diese täten jeden Tag genau das: "Sich um Leute kümmern, für Leute da sein, ansprechbar sein!"

Kurzum – an Wagenknecht scheiden sich die Geister. Weil sie sich bislang weigerte, sich von dem Projekt einer möglichen Konkurrenzpartei zu distanzieren, fasste der Parteivorstand im Juni einen Beschluss. Dort heißt es: "Klar ist daher: Die Zukunft der Linken ist eine Zukunft ohne Sahra Wagenknecht." Das ist für Diejenigen, die sich für eine Verständigung mit Wagenknecht einsetzen, ein Spagat.

"Meine Erwartung ist folgende", sagt die Bundestagsabgeordnete Gesine Lötzsch. "Frau Wagenknecht ist Mitglied der Linken, sie ist Mitglied der Linksfraktion im Bundestag, und ich erwarte, dass sie mit dieser Fraktion sich für die Ziele der Linken engagiert. Und die Ziele der Linken sind die Verbesserung der Gesellschaft."

Anfang September trat  Lötzsch gemeinsam mit Gregor Gysi auf einer Veranstaltung der Linkspartei in Berlin auf.  Gysi ist ein Mitstreiter im Kampf für eine Verständigung mit Wagenknecht. Auf dieser Veranstaltung sind auch Wagenknecht Anhänger unterwegs – die sind skeptisch.

"Wir sind Linke, wir brauchen eine linke Politik – aber nicht so, wie sie im Moment läuft! Wir sind Wagenknecht-Anhänger, und die gibt es in Berlin eine Menge!", sagt eine Frau. Neben ihr steht ein Mann, der ein Pappschild vor der Brust trägt mit der Aufschrift: "Friedensfeier statt Kriegsgeleier". Er sagt: "Es sind keine kommunikativen Probleme, sondern handfeste ideologische Probleme, die dahinterstehen." Deshalb werde eine Spaltung der Partei wohl leider kommen.

Welche Chancen hat die Linkspartei?

Tatsache ist, dass Sahra Wagenknecht für ihre Noch-Partei Zumutungen in Fülle bereithält – wieder und immer wieder. "Also aktuell hat ja die AfD wieder sehr viel Unterstützung. Dafür gibt es Verantwortliche!", sagt die Politikerin. "Und die Verantwortlichen sitzen nicht rechts, sondern die Verantwortlichen sitzen tatsächlich im linken und linksliberalen Teil des politischen Spektrums!"

Also aktuell hat ja die AfD wieder sehr viel Unterstützung. Dafür gibt es Verantwortliche!

Sahra Wagenknecht Linken-Bundestagsabgeordnete

Wagenkecht in der Partei halten, obwohl sie über Monate die Drohung einer Konkurrenzpartei aufrechterhält? Es ist für viele schwer vorstellbar.  Henriette Quade, gefragt, ob die Linkspartei  ohne Wagenknecht eine Chance habe: "Sie hat nur ohne Wagenknecht eine Chance!"

Ganz anders Gesine Lötzsch: "Ich bin Optimismus pur, ja klar. Sonst wäre ich ja nicht mehr dabei. Ich habe ja auch immer wieder in vielen Gesprächen den Rückenwind, dass mir gesagt wird: Tun Sie alles, damit die Partei und die Fraktion zusammenbleibt, und das sehe ich auch als Auftrag an!"

Quelle: MDR Investigativ

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR exakt | 04. Oktober 2023 | 20:15 Uhr

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