Wahlplakat Wahlkampfthemen
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Wahlen in Sachsen und Thüringen Landespolitik im "Sandwich": Warum Parteien im Wahlkampf auf Bundesthemen setzen

11. August 2024, 10:12 Uhr

Frieden im Ukraine-Krieg, neue Asylreformen oder Senkung von Energiesteuern: Parteien setzen im aktuellen Landtagswahlkampf vermehrt auf Bundesthemen. Einem Politikwissenschaftler von der Universität Erfurt zufolge sollen Wähler damit emotional angesprochen werden. Auch werde versucht, die Unzufriedenheit mit der Bundesregierung zu nutzen. Vor allem Oppositionsparteien nutzen die Themenwahl, um zu punkten.

Lina Bartnik
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"Freiheit braucht soziale Sicherheit", "Wehrpflicht 2.0? Nicht mit uns" oder "Abschaffung von Strom- und Energiesteuern": Mit diesen Themen führen Parteien wie die AfD Sachsen, Die Linke oder das BSW in Thüringen auf Plakaten oder mit Instagram-Posts Wahlkampf für den Landtag.

Die Parteien versuchen mit ihren Themen wie soziale Gerechtigkeit (SPD), innere Sicherheit (CDU), Klimawandel (Grüne), Wohnraum und Sicherheit (Die Linke), Machtwechsel und Finanzpolitik (AfD), Frieden im Ukraine-Krieg (BSW) bei den Wählern zu punkten.

Wahlplakate an einer Straßenlampe
Politische Gruppen und Parteien machen mit Bundes- und Weltthemen Wahlkampf. Bildrechte: Lina Bartnik

Das klingt erst einmal nach guten und relevanten Versprechen. Doch bei genauerem Hinsehen handelt es sich bei vielen Themen um politische Sachverhalte, die gar nicht oder nur gering durch Länderpolitik beeinflusst werden können. Warum also führen so viele Parteien Wahlkampf mit Themen, die eigentlich nicht Ländersache sind?

Bundespolitische Themen im Landtagswahlkampf: Aufmerksamkeit, Mobilisierung und politischen Identifizierung

André Brodocz ist Professor für Politische Theorie an der Universität Erfurt.
André Brodocz von der Universität Erfurt. Bildrechte: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Martin Schutt

Dem Politikwissenschaftler und Inhaber der Professur für politische Theorie an der Universität Erfurt, André Brodocz, zufolge werden diese Themen genutzt, weil sie dem Wähler erstmal bekannt sind und Emotionen ansprechen. Er sagte MDR AKTUELL, dass sich aber auch aus "der Palette der bundespolitischen Themen bedient wird, weil man sich parteilich deutlich voneinander abgrenzen will."

Dabei seien es oftmals die Oppositionsparteien, die versuchten mit Bundesthemen im Wahlkampf zu punkten. "Das liegt an der aktuellen Situation. Wenn die Unzufriedenheit mit der Bundesregierung sehr groß ist, dann versuchen die Parteien im Land, die zur Bundesregierung gehören, diese Unzufriedenheit rauszuhalten. Das ist in einem Wahlkampf schwierig. Der politische Gegner konfrontiert immer mit diesen Thematiken und versucht die Unzufriedenheit im Landtagswahlkampf für sich vor Ort zu nutzen."

Wahlplakate an einer Straßenlampe
Plakate zur sächsischen Landtagswahl. Bildrechte: Lina Bartnik

Die Regierungsparteien müssten dann auf diese Themen antworten. Landtagswahlen seien die Ventile für diese Unzufriedenheit, sagt Brodocz. Es gehe vorrangig also nicht um den Frieden in der Ukraine, sondern um die Aufmerksamkeit, die das Thema bei der Bevölkerung hat, zu nutzen – ein Stück weit Wahltaktik.

Zudem solle das Setzen von Bundes- und Weltthemen Wähler mobilisieren. "Selbst wenn man vielleicht vor Ort nichts wirklich in dieser Frage entscheiden kann, ist für Parteien wichtig, die Wählerinnen und Wähler überhaupt erst einmal an die Urne zu kriegen. Wir haben ja häufig Wahlbeteiligung bei Landtagswahlen in die 60 Prozent. Das heißt, 40 Prozent entscheiden sich häufig, zu Hause zu bleiben", erklärt Brodocz. Bundespolitische Themen, gerade mit vielen emotionalen Anknüpfungspunkten wie Krieg und Frieden, böten natürlich eine große Chance.

Einen weiteren Grund, warum Bundesthemen bei einem Landtagswahlkampf so präsent sind, sieht der Politologe darin, dass sie der Partei als Projektionsfläche der eigenen politischen Identität dienen. "Jemand, der sich selbst als sehr pazifistisch versteht, dem würde in einem Wahlkampf signalisiert: 'Wir sind eine starke Friedenspartei mit radikalpazifistischen Ansichten und dementsprechend sind wir dein natürliches Zuhause.'"

BSW Landtagswahlen IG Post Wahlkampf
Bundespolitische Themen wie die Einführung einer erneuten Wehrpflicht werden primar als Wahltaktik bei den Landtagswahlen genutzt. Bildrechte: IG BSW

Der Wahlkampf ist ein Moment politischer Identifizierung. Dafür taugen natürlich bundespolitische Themen häufig besser, weil es die großen Fragen sind als manch kleinteilige Frage, die in der Landespolitik behandelt wird.

André Brodocz, Professor für politische Theorie an der Universität Erfurt.

Kompetenzen sind durch Föderalismusprinzip klar geregelt

Das politische System in Deutschland ist nach dem Föderalismusprinzip aufgebaut: Bestimmte staatliche Aufgaben werden dadurch zwischen Bund und Ländern aufgeteilt. Zum einen soll damit die Gewaltenteilung im Staat sichergestellt und ein Missbrauch der politischen Macht verhindert werden. Das ist nach Artikel 20 Abs. 1 des Grundgesetzes festgelegt.

Landtage Die Bundesrepublik besteht aus 16 Bundesländern. Diese haben ihre eigenen Regierungen und Länderparlamente, die wiederum Mitspracherecht im Bundesrat ermöglichen.

Der Landtag wird – bis auf Bremen – für fünf Jahre gewählt. Die Wahl ist für viele Bürger oftmals bedeutender als die Bundestagswahl, weil die politische Gestaltung direkteren Einfluss auf ihre Lebenswelten hat.

Zum anderen hat es Sinn, dass die Länder Entscheidungskompetenzen über viele Themen erhalten, weil sie regionalen Besonderheiten besser gerecht werden, aufgrund der politische Nähe flexibler reagieren und Politik damit bedarfsorientierter gestalten können.

Grafik "Bund_land_Bereiche"
Welche politische Ebene ist für welchen Bereich zu ständig? Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

So liegen unter anderem Themen wie Bildung und Kultur, das Gaststättenrecht, Glücksspiel, Strafvollzug, landwirtschaftlicher Grundstückverkehr und Pachtwesen sowie Teile des Wohnungswesens, Sport und Freizeit, Versorgung und Laufbahnrecht der Landesbeamten und Richter daher auf Kommunal- und Länderebene.

Themen wie auswärtige Angelegenheiten, Staatsangehörigkeit, Einwanderung, Währung, Waren- und Luftverkehr, Eisenbahn, Post und Telekommunikation oder Urheberrecht werden ausschließlich auf Bundesebene beschlossen.

Nach Reformen im Jahr 2006 und 2009 wurden die Kompetenzen von Bund und Ländern neu geregelt. Die Rahmengesetzgebung wurde abgeschafft und die Länder erhielten erweiterte Kompetenzen, zum Beispiel bei Bestimmungen zum Ladenschluss, dem Jagdwesen, Naturschutz und Landschaftspflege oder der Raumordnung.

Politikberater: Setzung von Bundesthemen oftmals Strategie

In Deutschland engagieren Parteien seit den 1980er-Jahren Agenturen für ihre Wahlkämpfe, die mithilfe von Werbetextern, Grafikdesignern und Videoproduzenten ihre Inhalte professionell und zeitgemäß transportieren sollen. Die Agentur Creategy in Berlin ist eine von ihnen. Die Agentur betreute bisher über 100 Wahlkämpfe in ganz Deutschland, von Bürgermeisterwahlen und Kommunalwahlen bis hin zur Europawahl.

Simon Mai, Creategy Wahlkampfagentur
Simon Mai, Geschäftsführer und Mitgründer der Kommunikationsagentur Creategy. Bildrechte: Selin Jasmin

Geschäftsführer Simon Mai beobachtet auch eine zunehmende weiter gefasste Themensetzung bei Landes- und Kommunalwahlkämpfen. Er erklärte MDR AKTUELL, dass das dann passiere, wenn diese Themen kommunale Bereiche betreffen. "Bei Bürgermeisterwahlen beispielsweise geht tatsächlich primär um kommunale Themen, wie Bebauungspläne, Kitas oder ÖPNV. Aber es gibt Themen, die da mehr und mehr mit reinspielen, zum Beispiel Sicherheit. Das ist eigentlich ein typisches Landesthema, aber kann sich natürlich auch auf kommunaler Ebene sehr stark äußern."

Dem Kommunikationsexperten zufolge werden Bundesthemen weniger genutzt, um Aufmerksamkeit zu erzeugen. Vielmehr liege die Ursache in immer komplexeren Lebenswelten der Bürger und globalpolitischen Zusammenhängen. So spielten bei Kommunalwahlen, bei denen eine Partei und nicht eine Einzelperson dahinter stehe, landes- und bundespolitische Themen eine noch stärker Rolle. Man könne diese immer schwieriger trennen.

Dennoch stellt er bei den kleineren Wahlkämpfen Unterschiede fest. Während sich die Bürger von der Landesebene klare Antworten auf große Fragen wünschten, erwarteten sie von der Kommunalebene eher direkte Handlungen. "Ein Ministerpräsident kann sich vor den großen Fragen der Welt nicht wegducken. Auf kommunaler Ebene geht es tatsächlich primär um die kommunalen Themen. Und dann liegt darauf auch der volle Fokus."

Er räumt jedoch ein, dass die Themensetzung oftmals rein strategisch ist. "Eigentlich müsste man es sehr fein säuberlich trennen. Das macht man im Wahlkampf aktuell tatsächlich weniger, weil die globalen Krisen einfach so dominant sind." Das liege jedoch auch an der schwierigen Position der Landespolitik. Diese stehe zwischen den großen Bundesthemen und gleichzeitig auf den greifbaren, nahen kommunalen Themen, erklärt Mai.

Landespolitik hat es manchmal ein bisschen schwer, weil sie in der Sandwich-Position ist.

Simon Mai, politischer Berater bei Creategy.

Wahlkampf ohne Partei-Logo wegen geringer Zustimmungswerte

Zudem ziehen es manche Politiker vor, im Wahlkampf ganz auf die Verbindung zur eigenen Partei zu verzichten. Bei der Wahlwerbung von Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow fehlt beispielsweise der Schriftzug der Linken. Auch Sachsens Landeschef, Michael Kretschmer, wirbt damit, ein "Ministerpräsident aller Sachsen zu sein".

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Für den politischen Berater Mai ist das ganz klar politische Strategie. Schaue man sich die Zustimmungswerte von Bodo Ramelow an, habe dieser rund 50 Prozent Zustimmung in der Bevölkerung. Die Linke liege hingegen ungefähr bei 13 Prozent, erklärt er. "Das heißt, man fragt sich immer 'Was zieht?'. [...] In dem Fall zieht der Ministerpräsident die Partei. Wäre die Partei stärker als Ministerpräsident, würde überall groß 'Linke' draufstehen."

Wahlplakat mit Bodo Ramelow, Linke, zur Landtagswahl in Thüringen und dem Slogan "Christ, Sozialist, Ministerpräsident"
Wahlplakat mit Bodo Ramelow, Die Linke, zur Landtagswahl in Thüringen. Bildrechte: IMAGO / dts Nachrichtenagentur

Ähnlich sieht es der Politikwissenschaftler André Brodocz. Meistens gingen Parteien diesen Weg, wenn die Akzeptanz zur Person deutlich besser seien als die Umfragewerte der Parteien. Man versuche dann, über die Person zu mobilisieren, das Logo der Partei solle quasi nicht abschrecken, erläutert Brodocz.

Dennoch fügt er kritisch hinzu: "Die Menschen in der Wahlkabine müssten trotzdem in der Lage sein, von der Person auf die Partei zu schließen. Deswegen bin ich mir immer nicht ganz so sicher, wie solche Überlegungen ausgehen. Es ist aber auch nicht ganz neu." Er verweist auf den Wahlkampf 1990 von Helmut Kohl, bei dem er sich als 'Kanzler der Einheit' ohne das Logo der CDU präsentierte. Brodocz schätzt den Vorteil einer solchen Strategie jedoch als gering ein. "Ich glaube, dass man da von politischer Seite den Effekt überschätzt."

Mehr zu den Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen

Am 1. September wird in Sachsen und Thüringen ein neuer Landtag gewählt.

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 11. August 2024 | 08:30 Uhr

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