Schulterblick auf einen Tisch mit Lernbuch und Aufzeichnungen für Deutsch
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Kürzungspläne Integration ohne Sprachkurse geht nicht

20. Juli 2024, 09:24 Uhr

Integrationskurse sollen Migranten und Flüchtlingen helfen, die deutsche Sprache zu lernen und sich in der deutschen Gesellschaft zurechtzufinden. Dem Bamf zufolge haben 2023 gut 360.000 Menschen einen Integrationskurs begonnen – eine Rekordzahl. Doch Mittel dafür sollen deutlich gekürzt werden. Für Bildungsexperten, Sprachlehrer und Migranten ist klar, dass eine Integration ohne Sprachkurs nicht geht.

Lina Bartnik
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Mit routinierter Hand fährt Moaz mit der Haarschneidemaschine über den Kopf seines Kunden. Moaz kommt aus Syrien und arbeitet mit seinen zwei Brüdern in einem Barbershop in Leipzig. 2015 sind sie vor dem Krieg in ihrem Heimatland geflohen. Seitdem versuchen sie, sich in Deutschland zu integrieren.

Migrant: Integrationskurs war wichtig für die Verständigung

Doch das ist nicht so einfach. Eigentlich ist Moaz Sportlehrer. Gerne würde er wieder in seinem alten Beruf arbeiten. Doch sein Studium wurde ihm hier nicht anerkannt. "Zwei Jahre meines Lebens sind weg. Man fragt sich, was habe ich eigentlich gelernt. Ich hatte das Gefühl, ich habe gar nichts gemacht in meinem Leben. Das ist frustrierend."

Um Lehrer zu werden, müsste er erneut studieren. Doch dafür reichen seine Sprachkenntnisse nicht aus. Deswegen besuchte er einen Sprachkurs. Mehr als sechs Monate paukte er Vokabeln und Grammatik in einem Integrationskurs der Leipziger Volkshochschule, bis er das Sprachniveau B1 erreicht hat.

Es war wichtig für mich, weil ich mich mit Leuten unterhalten kann. Wenn ich in Deutschland bin, muss ich auch die Sprache lernen.

Moaz, Barbier aus Leipzig

2015 war das für ihn ein großes Problem, sagt er. "Ich konnte nicht sagen, was meine Ideen, meine Hobbys sind, was ich gemacht oder was ich in meiner Heimat erlebt habe." Um Geld zu verdienen, fing er als Barbier an. Den Wunsch wieder als Sportlehrer zu arbeiten, verfolgt er weiter.

Bildungsexperte: Anerkennung von Berufen in Deutschland komplex

Wie Moaz geht es vielen Migranten. Berufe werden nicht anerkannt, die Sprachkenntnisse sind zu gering oder sie besitzen keine adäquate Ausbildung. Bildungsforscher Oliver Winkler von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg bezeichnet den Anerkennungsprozess in Deutschland als hochkomplex und protektionistisch.

Oliver Winkler
Dr. Oliver Winkler, Bildungsexperte in der Nachwuchsforschungsgruppe EDIREG am Institut für Soziologie der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Bildrechte: Oliver Winkler

MDR AKTUELL sagt Winkler, der deutsche Arbeitsmarkt sei sehr berufsfachlich. In einem bestimmten Beruf zu arbeiten, sei extrem an die Ausbildung gekoppelt, also an die Qualifikation. "Das ist nicht in allen Ländern der Welt so. Das ist auch ein bisschen ein Schutz. Aber es macht es Außenseitern vom deutschen Arbeitsmarkt extrem schwer."

Selbst mit teilweise anerkannten Dokumenten müssten die meisten sich nach qualifizieren, sagt Winkler. "Man möchte, dass ausländische Fachkräfte oder Arbeitssuchende möglichst gut in einen Beruf passen, dazu müssen sie eigentlich alle Ausbildungsinhalte so vorweisen können, die Deutsche für diesen Beruf auch erworben haben." Das sei vor allem in den höher qualifizierten Berufen der Fall. Bei einem Großteil gelinge das aber nicht. "Die haben dann das Problem, dass sie sich nicht mal nachqualifizieren dürfen. Die sind dann einfach raus."

Integrationskurse eine essentielle bildungspolitische Maßnahme

Winkler zufolge hat sich einiges verbessert. Vermutlich auch durch den Fachkräftemangel. Dennoch bleibt die Anerkennung eine große Hürde. Integrationskurse seien daher eine essenzielle bildungspolitische Maßnahme, um Migranten in die deutsche Gesellschaft und auf den Arbeitsmarkt zu integrieren. Denn diese vermitteln neben den sprachlichen Kenntnissen auch eine Orientierung über die deutsche Berufslandschaft.

Gerade für junge Geflüchtete sei das hilfreich, so der Bildungsexperte. "Die jungen Geflüchteten, die 2015 nach Deutschland kamen, hatten keinen oder noch keinen Schulabschluss. Bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen ist das jedoch ein Zeitraum, wo man sich orientiert. Und bei Flüchtlingen weiß man, dass das noch viel länger dauert." Winkler zufolge geben die Kurse einen Einblick, was man in Deutschland beruflich machen kann, was dafür gebraucht wird und was Geflüchtete in Relation zu ihren Ressourcen beruflich machen können."

Verschiedene Modelle von Integrationskursen Sprach- oder Deutschkurse sind Teil des allgemeinen Integrationskurses. Dieser umfasst 700 Unterrichtsstunden á 45 Minuten. Im Sprachkurs werden neben Vokabeln und Grammatik wichtige Themen aus dem alltäglichen Leben behandelt. Man übt außerdem, Briefe auf Deutsch zu schreiben, Formulare auszufüllen, zu telefonieren oder sich auf eine Arbeitsstelle zu bewerben. Der Sprachkurs schließt mit der Prüfung "Deutsch-Test für Zuwanderer" (DTZ) ab.
Darauf folgt ein Orientierungskurs von 100 Unterrichtsstunden. Darin erfahren Teilnehmer vieles über Ihre Rechte und Pflichten, Berufe und das Zusammenleben in Deutschland. Nach dem Orientierungskurs absolvieren sie den Test "Leben in Deutschland" (LiD). Darin wird geprüft, was die Teilnehmer im Orientierungskurs gelernt haben.

Zusätzlich gibt es auch Integrationskurse mit Alphabetisierung, für Zweitschriftlernende, Förderkurse und Intensivkurse.
Es gibt zudem spezielle Integrationskurse für Frauen, Eltern und junge Erwachsene.

Sie seien daher vor allem eine gute Basis für Menschen, die keine Aus- oder Schulbildung besitzen. Für den Einstieg in die Erwerbstätigkeit seien sie daher sehr nützlich. "Ein Großteil der Flüchtlinge ist in geringfügiger Beschäftigung. Das sind oft Einstiegsmöglichkeiten, um schnell etwas zu verdienen, und unabhängig zu sein."

Ugaas Ziad, Praktikant bei der Firma «Kühner Wärmetauscher», arbeitet am 21.08.2017 in Korntal-Münchingen (Baden-Württemberg) in der Produktion der Firma an einem Wärmetauscher. Ugaas ist Flüchtling und kam aus Somalia nach Deutschland. 3 min
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Deutschlands Infrastruktur an Sprachförderangeboten für Erwachsene sei ganz gut, sagt Winkler. Die meisten Angebote laufen über die Bundesagentur für Arbeit. Auch gibt es zahlreiche Spezialkurse für verschiedene Anforderungen. Bis 2018 gab es einen europäischen Sozialfond, der Berufssprachkurse förderte.

Winkler zufolge waren die so erfolgreich, dass sich die Kurse in Deutschland etabliert haben. Zum Beispiel wurde im Rahmen des Job-Turbos Ende Januar 2024 der neue arbeitsplatzorientierte Berufssprachkurs eingeführt.

OECD-Studie: Deutschland schneidet relativ gut bei Integration ab

Das zeigt sich auch im internationalen Vergleich. Einer aktuellen Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) zufolge schneidet Deutschland bei der Integration von Eingewanderten und deren Nachkommen unter den Industrieländern gut ab.

Demnach habe die Bundesrepublik in den vergangenen Jahrzehnten "erheblich" in die Integration investiert. Insbesondere die umfassende Sprachförderung zahle sich aus. Die Sprachkenntnisse Eingewanderter hätten sich in Deutschland stärker verbessert als in den meisten anderen EU-Ländern. So sprächen nach fünf Jahren Aufenthalt mehr als vier Fünftel der Eingewanderten mit ursprünglich mittlerem Sprachniveau fließend Deutsch.

Teilnehmer-Rekord bei Integrationskursen

2023 nahmen dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) zufolge rund 363.000 Menschen an einem allgemeinen Integrationskurs teil. Die Anzahl übertraf damit den bisherigen Rekord aus dem Vorjahr. Im Jahr 2022 waren es rund 340.000 Personen – mehr als dreimal so viele wie 2021 (104.000).

Mit 54 Prozent besuchten 2023 etwas mehr Frauen als Männer (46 Prozent) einen Integrationskurs. Die meisten kamen aus der Ukraine (46 Prozent), gefolgt von Syrien (10,9 Prozent), Afghanistan (7,8 Prozent), Türkei (4,2 Prozent), Iran (2,1 Prozent) und Irak (2,0 Prozent).

Ein Großteil der Menschen wird durch den Bezug von Bürgergeld oder anderen (bildungs-) politischen Maßnahmen dazu verpflichtet (64 Prozent). 36 Prozent sind freiwillig Teilnehmende. Etwa 90 Prozent der Prüfungsteilnehmenden erreichten 2023 das Sprachniveau A2 oder B1.

Auch in Mitteldeutschland sind Integrationskurse gut besucht, nicht zuletzt durch die Auflagen des Bundes sowie der Arbeitsagentur. In Thüringen gab es 2023 dem Bamf zufolge rund 8.500 Teilnehmer. Sachsen-Anhalt verzeichnete rund 7.700 Teilnehmer im Jahr 2023. In Sachsen besuchten 18.000 Menschen einen Integrationskurs.

Deutschlehrerin: Kritik an Kürzungen und Struktur der Kurse

Deutschland bemüht sich also, möglichst viele Migranten den Zugang zu den Standardintegrationsmaßnahmen zu bieten, und das so früh wie möglich. So können seit einer Gesetzesreform auch Asylbewerber an Kursen teilnehmen. Trotzdem plant die Bundesregierung die Mittel für Integrationskurse zu kürzen.

Das Bundesinnenministerium soll kommendes Jahr 400 Millionen Euro mehr für innere Sicherheit bekommen. Dafür plant das Ministerium die Gelder für Integrationskurse von 1,1 Milliarden auf 500 Millionen Euro zu kürzen, also um mehr als die Hälfte.

Das ärgert Anna Walter, freiberufliche Sprachlehrerin für verschiedene private Träger in Sachsen. Sie unterrichtet seit mehreren Jahren allgemeine Integrationskurse sowie Alphabetisierungsklassen. MDR AKTUELL sagt sie, dass es schon jetzt schwer sei, mit den derzeitigen Mitteln, Geflüchteten Sprache und Kultur beizubringen. Vor allem fehle es an Zeit und Personal.

In einem allgemeinen Integrationskurs dürfen bis zu 24 Teilnehmer sitzen, im Alphabetisierungskurs bis zu 16 Personen. Die Altersspanne erstreckt sich dabei von 18 bis 70 Jahre.

Von drei Jahren Schulausbildung bis zum Akademiker sei alles dabei – eine große Herausforderung, sagt Walter: "Ich habe einen Wissenschaftler, der kann fließend Englisch und Italienisch sprechen. Der lernt Deutsch natürlich viel schneller als die Frau, die in den letzten 20 Jahren nur Kinder betreut hat und nicht weiß, wie Schule überhaupt funktioniert."

Da müsse man aufpassen, dass sich manche nicht langweilen. "Ich muss dann ganz viel Binnendifferenzierung anwenden und versuchen, auf die einzelnen Bedürfnisse der Teilnehmer einzugehen." Dem gerecht zu werden sei sehr schwer. Walter lässt die Teilnehmer dann in Gruppen arbeiten, damit sie sich gegenseitig helfen oder vergibt Zusatzaufgaben. Trotzdem gehe es vielen zu schnell. Die steigen zum Teil aus, tatsächlich, aber eben auch mental.

Das sei auch ein strukturelles Problem, sagt Bildungsexperte Winkler. Zwar gebe es ein differenziertes Angebot, das von Alphabetisierungskursen bis zu Intensivkursen für Schnelllerner reiche. Jedoch werden diese nicht immer tatsächlich angeboten. Gerade abseits der Metropolen sei es ein Problem, wenn die Mindestteilnehmerzahl für die spezifischen Lerngruppen nicht erreicht wird.

Oftmals würden Teilnehmer auch nicht ausreichend über das vielseitige Angebot informiert, sagt Anna Walter. Sie wüssten gar nicht, was es gebe. Und auch zu Kursabbrüchen komme es immer wieder. Die Gründe dafür sind verschiedene: Job, Schwangerschaften, zu viele Fehlzeiten oder ein Kurswechsel. "Bei Ukrainerinnen hatte ich einige, die wieder in ihre Heimat zurückgegangen sind", sagt Walter außerdem.

Psychologen oder Sozialhelfer für Integrationskurse hilfreich

Die Deutschlehrerin wünscht sich neben Personal mehr Praxis und Sprachhandlungen auf der Straße. Außerdem wäre zusätzliche Betreuung durch Psychologen oder Sozialhelfer hilfreich. "Die Leute haben häufig ganz andere Probleme. Die verstehen das Arztschreiben oder den Bescheid nicht, da haben sie Angst." Bildungsexperte Winkler spricht sich vor allem für eine bessere Lösungen für die Kinderbetreuungen aus. Denn diese sei oftmals ein Hindernis der Kursteilnahme für Frauen, gerade für Ukrainerinnen.

Für Walter ist dennoch klar, dass Integrationskurse bedeutend sind, um Anschluss zu finden. "Ein Sprachkurs allein reicht nicht. Das Wichtige ist, dass es ein Ankerpunkt im Privatleben zur deutschen Gesellschaft gibt." Das können Freunde, Kinder, Arbeit oder Nachbarn sein.

Allein Grammatik bringt nichts. Sie kann ein kleiner Funke sein, aber für ein Feuer braucht es Zündmaterial und das sind die Menschen in Deutschland.

Das sieht auch Barbier Moaz so. Er empfiehlt allen einen Integrationskurs. Er plant ein Praktikum bei einem Sportvereinen zu absolvieren, um dem Ziel, Sportlehrer in Deutschland zu werden, näher zu kommen. Dafür will er erneut die nicht geschaffte B2-Sprachprüfung nachholen, wenn es der Job zeitlich zulässt.

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