Pestizide Umstrittene EU-Pläne: Glyphosat soll zehn Jahre länger zugelassen sein
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02. Oktober 2023, 14:02 Uhr
Angesichts der EU-Pläne, die Zulassung glyphosalthaltiger Pestizide um zehn Jahre zu verlängern, fordern Verbraucherschützer das Verbot der Unkrautvernichter. Man befürchte Gefahren für Menschen und Umwelt. Die Herbizide werden vor und nach der Aussaat auf die Äcker gesprüht.
- Die Verlängerung der Zulassung gilt als wahrscheinlich.
- Widersprüchliche Bewertungen zum Risiko von EFSA und WHO.
- Der BUND verweist auf einen offenen Brief von Wissenschaftlern.
- Ab 2024 gilt für Deutschland laut Koalitionsvertrag ein Glyphosatverbot.
Seit Jahren herrscht Streit über Glyphosat – ein Herbizid, das vor und nach der Aussaat auf die Äcker gesprüht wird und alles abtötet, was dort wächst, kreucht und fleucht. Bis zum 15. Dezember dieses Jahres ist Glyphosat noch zugelassen. Nach Vorschlag der EU-Kommission vom Mittwoch vergangener Woche soll die Zulassung nun um zehn Jahre verlängert werden. Am 13. Oktober soll final entschieden werden.
Glyphosat: Verlängerung der Zulassung gilt als wahrscheinlich
Dass die Zulassung verlängert wird, ist dabei wahrscheinlich. Für die konventionelle Landwirtschaft ist das Pflanzenvernichtungsmittel essentiell. Und es ist ein weltweiter Milliardenmarkt. Aus der Wissenschaft kommt jedoch Kritik über die wahrscheinliche Verlängerung.
Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA hat beim Einsatz von Glyphosat keine Probleme für Mensch, Tier und Umwelt festgestellt – so heißt es im Bericht, der im Juli veröffentlicht wurde. Für diese Einschätzung hat die Behörde den wissenschaftlichen Stand zu Glyphosat analysiert und zusammengefasst. Jedoch habe es Datenlücken gegeben, räumt die EFSA in ihrem Bericht selbst ein. Tatsächlich stellt sich die Frage: Wie wurden die möglichen Risiken ermittelt?
Widersprüchliche Bewertungen von Glyphosat von EFSA und WHO
Anna Lena Schmidt von der Verbraucherzentrale Niedersachsen sagt dazu, die EFSA stufe Glyphosat als wahrscheinlich nicht krebserregend ein. Auf dieses Urteil berufe sich auch die EU-Kommission. Die Weltgesundheitsorganisatione WHO sage genau das Gegenteil. Das mache einen stutzig, dass hier zu so unterschiedlichen Ergebnissen gekommen werde.
Diese sehr weit auseinandergehenden wissenschaftlichen Erkenntnisse würden letztlich bestätigen, dass die Risiken noch nicht eindeutig geklärt sind, so Verbraucherschützerin Schmidt. Daher müsse das Vorsorgeprinzip gelten und glyphosathaltige Pestizide müssten verboten werden. Das gleiche gelte für die Umwelteinflüsse von Glyphosat.
Glyphosat Glyphosat ist eine chemische Verbindung aus der Gruppe der Phosphonsäuren. Es ist die biologisch wirksame Hauptkomponente einiger Breitbandherbizide und wurde seit der zweiten Hälfte der 1970er Jahre zur Unkrautbekämpfung auf den Markt gebracht.
BUND verweist auf offenen Brief von Wissenschaftlern
Corinna Hölzel vom BUND sagt, wissenschaftliche Erkenntnisse zum Einfluss von Glyphosat auf zum Beispiel die Biodiversität oder Fruchtfolgen seien in großer Zahl vorhanden. Sie verweist auf einen offenen Brief von Wissenschaftlern.
Mittlerweile hätten über 3.300 Wissenschaftler das Papier unterzeichnet und an die europäische Politik appelliert, Pestizide zu reduzieren. Sie sähen die große Gefahr, die der hohe Pestizideinsatz auf die Artenvielfalt und die Lebensgrundlagen wie Wasser, Luft und Boden ausübe.
Bürokratisches Problem: Europäische Norm fehlt
Auch Jörn Wogram vom Umweltbundesamt betont, diese wissenschaftlichen Erkenntnisse seien belegt. Die EFSA habe das in ihrem Bewertungsbericht allerdings nicht in dieser Ausführlichkeit festgehalten und zwar deshalb, weil es für diese Bewertung noch keine europäische Norm gibt. Deshalb habe die EFSA lediglich darauf hingewiesen, dass die Mitgliedstaaten gegen solche Auswirkungen Schutzmaßnahmen ergreifen könnten. Da komme natürlich die Ebene der Risikobewertung etwas zu kurz, so Wogram.
Die Logik dahinter ist: wo keine Normen, da kein Risiko. Das Problem ist also in erster Linie kein wissenschaftliches, sondern ein bürokratisches. Und auch ein strukturelles. Denn die Entscheidungsträger kommen nicht aus dem umweltpolitischen, sondern dem landwirtschaftspolitischen Umfeld.
Koalitionsvertrag: Ab 2024 gilt für Deutschland ein Glyphosatverbot
Die glyphosathaltigen Produkte müssen aber auch noch auf nationaler Ebene zugelassen werden. Hier könnten dann Risikominderungsmaßnahmen festgeschrieben werden.
Wie wahrscheinlich das ist – Wogram vom Umweltbundesamt ist zwar hoffnungsvoll, aber skeptisch, "weil nach deutscher Rechtssprechung das Vorhandensein einer europäischen Norm Voraussetzung dafür ist, dass man solch eine Bewertung überhaupt machen darf". Wo es keine Bewertung gebe, da gebe es auch keinen Schutz der Umwelt. Aus diesen Gründen gelinge es oft in den Zulassungsverfahren nicht, die Zulassung mit den nötigen Risikominderungsmaßnahmen zu versehen und die Umwelt ausreichend zu schützen.
Für Deutschland gäbe es jedoch noch die Möglichkeit, auch außerhalb von EU-Recht zumindest Schutzmaßnahmen für Glyphosat festzulegen. Das prüft gerade das Landwirtschaftsministerium. Denn ab 2024 gilt für Deutschland ein Glyphosatverbot. So steht es jedenfalls im Koalitionsvertrag.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 01. Oktober 2023 | 06:11 Uhr