Blick auf das Wohngebiet an der Hersfelder Strasse, das Gewerbegebiet Bueropark Airfurt und den Flughafen Erfurt-Weimar
Der Gleichwertigkeitsbericht der Bundesregierung zeigt noch immer deutliche Unterschiede in den Lebensverhältnissen zwischen Ost und West, Land und Stadt. Bildrechte: IMAGO / Karina Hessland

Gleichwertigkeitsbericht Wo lebt es sich am besten in Deutschland?

04. Juli 2024, 16:43 Uhr

Vor allem Regionen mit schrumpfender Bevölkerung stehen laut einem Bericht der Bundesregierung zur Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse aktuell vor großen Herausforderungen. Die regionalen Unterschiede seien in vielen Punkten grundsätzlich aber geringer geworden, heißt es in dem Bericht. Er zeigt aber auch, wo die Unterschiede nach wie vor deutlich sind.

Die Lebensverhältnisse in Deutschland unterscheiden sich teils noch immer deutlich zwischen den Regionen – vor allem zwischen Ost und West, ländlichen Regionen und Großstädten. Doch in vielen Bereichen nähern sich die Lebensverhältnisse zusehends an. Zu diesem Ergebnis kam der am Mittwoch vom Kabinett beschlossene erste Gleichwertigkeitsbericht der Bundesregierung.

Für den Bericht wurden Strukturdaten der 400 deutschen Landkreise und Städte anhand von 38 Indikatoren in den Bereichen Wirtschaft, Gesellschaft, Infrastruktur und Daseinsvorsorge sowie Klima und Umwelt ausgewertet. Bei 27 dieser Gradmesser gab es in den vergangenen Jahren eine Annäherung, hieß es bei der Vorstellung in Berlin.

Wo Lebensverhältnisse zwischen Ost und West sich annähern

So zeigt sich etwa bei der Arbeitslosenquote eine deutliche Annäherung zwischen Ost und West. Sie ist zwar im Osten Deutschlands noch immer tendenziell höher als im Westen, ist dort in den vergangenen zwei Jahrzehnten aber stark gesunken – von 20 auf knapp sieben Prozent. Damit liegt sie inzwischen auf oder unter dem Niveau einiger westdeutscher Regionen.

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Auch bei der Mindestsicherungsquote, also dem Anteil der Bevölkerung, der auf finanzielle Hilfen des Staates angewiesen ist, haben sich die Unterschiede zwischen Ost und West etwas abgebaut. Es existiert jedoch noch ein deutliches Nord-Süd-Gefälle. Und in Großstädten ist die Mindestsicherungsquote fast doppelt so hoch wie in ländlichen Regionen und kleineren Städten.

Auch die Unterschiede im bereinigten "Gender Pay Gap", der im Osten Deutschlands schon länger geringer ausfällt als im Westen, gehen zurück, da sich die Lohnlücke zwischen Männern und Frauen auch im Westen verkleinert.

Einkommen, Steuern, Abwanderung – Unterschiede zwischen Stadt und Land

Beim Vergleich von Städten und ländlichen Gebieten zeigt der Bericht – wenig überraschend – deutliche Unterschiede in der Infrastruktur. So braucht man in dünn besiedelten Regionen mit dem Pkw im Schnitt 7,2 Minuten bis zur nächsten Schule, in ostdeutschen Kreisen noch länger. In Großstädten sind es 3,1 Minuten. Auch die Fahrzeit zum Hausarzt ist auf dem Land fast doppelt so lang wie in der Stadt.

Auf dem Land sind dem Bericht zufolge aber auch die kommunalen Steuereinnahmen pro Einwohner deutlich geringer als in städtischen Räumen. Grund sei, dass Unternehmen in dichter besiedelten Gebieten oft wirtschaftlich leistungsfähiger seien und daher auch ein höhere Steuern zahlen würden.

Dafür sind die Einkommen im ländlichen Raum zwischen 2014 und 2022 um 24 Prozent gestiegen – und damit um fünf Prozentpunkte stärker als in den Städten. Hier gleichen sich die regionalen Verhältnisse also an. Dennoch sind die Einkommen in dünn besiedelten Kreisen in Ost- und Nordwestdeutschland, Rheinland-Pfalz und dem östlichen Bayern deutlich niedriger als in Städten und Großstädten.

Ländliche Gegenden haben zudem tendenziell geringere Abwanderungsquoten als Städte, also weniger Menschen, die den Kreis für einen innerdeutschen Umzug verlassen. Im bundesweiten Vergleich besonders niedrig war der Wert zum Beispiel im sächsischen Vogtland- und im Erzgebirgskreis. Und es kehren tendenziell mehr Menschen in ländliche Kreise zurück als in Städte.

Altersstruktur in ländlichen ostdeutschen Kreisen besonders problematisch

Der Bericht zeige, "dass wir eigentlich gut vorangekommen sind", sagte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck am Mittwoch. Die strukturschwächeren Regionen Deutschlands hätten deutlich aufgeholt. "Große Herausforderungen" sieht die Analyse für diese Regionen aber trotzdem noch – vor allem durch einen erwarteten Bevölkerungsrückgang.

Die Geburtenrate lag 2023 deutschlandweit auf dem niedrigsten Stand seit 2013. Besonders niedrig war sie dabei in den ostdeutschen ländlichen Kreisen und Schleswig-Holstein, besonders hoch in Süddeutschland und dem Oldenburger Münsterland. Die regionalen Unterschiede bei der Geburtenrate gehen insgesamt zwar zurück, bei den Extremfällen verschärfen sie sich aber weiter.

Gleichzeitig hat sich der Altenquotient seit 1950 deutschlandweit mehr als verdoppelt. Das heißt, 1950 standen 16 Personen im Rentenalter 100 Personen im Erwerbsalter gegenüber, 2022 waren es 37,4. In den ostdeutschen Kreisen war der Altenquotient dabei besonders hoch, allein zwischen 2010 ist er von durchschnittlich 38 auf 48 gestiegen.

Das Ost-West-Gefälle begründet der Bericht einerseits mit dem Geburtenrückgang in ostdeutschen Kreisen und andererseits mit der Zuwanderung in westdeutsche Kreise – aus dem Osten und dem Ausland.

Gleiche Lebensverhältnisse ist Ziel

Analysiert wurde für den Bericht auch die Förderpolitik des Bundes zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse. 2022 wurden den Angaben zufolge 4,2 Milliarden Euro über das "Gesamtdeutsche Fördersystem für strukturschwache Regionen" ausgegeben. Etwas mehr als die Hälfte der öffentlichen Mittel ging in ostdeutsche Kreise. Der andere Teil ging in strukturschwache Regionen im Westen, etwa ins Ruhrgebiet, nach Rheinland-Pfalz, ins Saarland und in Regionen entlang der bayerischen Grenze zu Tschechien.

Die Herstellung gleicher Lebensverhältnisse ist grundgesetzlich verankert und deshalb Staatsziel. Die Bundesregierung versucht dies mit verschiedenen Förderprogrammen auch umzusetzen. Der vom Wirtschafts- und Innenministerium erarbeitete Bericht soll nun erstmals den aktuellen Stand bei der Herstellung gleicher Lebensverhältnisse zeigen.

Ebenfalls dargestellt werden soll dabei die Wirkung der Förderprogramme. Gespräche mit verschiedenen regionalen Akteuren hätten ergeben, dass es bei den Programmen noch Verbesserungspotenzial gebe, sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD). Diese müssten "flexibler und unbürokratischer" gestaltet werden.

Wie die Stimmung bei den Bürgern ist

In allen Kreisen und Städten wurden zudem Bürgerinnen und Bürger befragt. Rund 31.000 Interviews wurden dafür den Angaben zufolge ausgewertet. Dies soll objektiv messbare Entwicklungen mit subjektiven Wahrnehmungen und Einschätzungen verknüpfen. Demnach sind den Deutschen eine gute Gesundheits- und Pflegeversorgung, bezahlbarer Wohnraum, Sicherheit und ein guter Zustand von Umwelt und Natur am wichtigsten, wenn sie ihre Lebensqualität beurteilen.

Den Ergebnissen zufolge sind im Durchschnitt 28 Prozent der Deutschen "überdurchschnittlich", 43 Prozent "durchschnittlich zufrieden". 28 Prozent sind "unterdurchschnittlich zufrieden" mit ihrer Lebenssituation. Die meisten unzufriedenen Menschen leben demnach in dünn besiedelten Regionen. In Großstädten sind wiederum die wenigsten Menschen "überdurchschnittlich", sehr viele aber "durchschnittlich zufrieden".

MDR/dpa/epd/KNA(ewi,mpö)

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