EU-Außengrenzen Grünen-Basis verschickt Protestschreiben gegen Asylreform der EU

06. Juni 2023, 15:14 Uhr

An der Grünen-Basis wächst der Protest gegen die geplante Asylreform der EU. Auch Migrationsexperten und Juristen sehen die Pläne kritisch. FDP und Union werben dagegen für Asylprüfungen an den EU-Außengrenzen.

Die Pläne zu einer EU-Asylreform mit Asylzentren und -verfahren an den EU-Außengrenzen stoßen auf zunehmend lautere Kritik. Wie der "Spiegel" berichtet, haben rund 730 Mitglieder der Grünen in einem Brief unter anderem an Außenministerin Annalena Baerbock und Wirtschaftsminister Robert Habeck gegen die Pläne protestiert. Demnach beklagt die Parteibasis einen Kurs der "Abschreckung und Abschottung" und spricht von einer "massiven Beschneidung des Asylrechts".

Kritisiert werden insbesondere die Verfahren an den EU-Außengrenzen, die Ausweitung sicherer Drittstaaten und ein schlechterer Rechtsschutz. Zu den Unterzeichnern des Briefs zählen dem "Spiegel" zufolge die Hamburger Justizsenatorin Anna Gallina, der frühere Botschafter Deutschlands in Pakistan, Martin Kobler, und Grüne-Jugend-Co-Chef Timon Dzienus. Aus ihrer Sicht ist das Vorhaben der EU-Kommission nicht vom Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP gedeckt. In dem Schreiben, das auch an die Parteichefs Ricarda Lang und Omid Nouripour sowie die Grünen-Fraktionsvorsitzenden im Bundestag, Katharina Dröge und Britta Haßelmann gerichtet ist, fordert die Partei-Basis, die EU-Pläne zu verhindern.

Rothe-Beinlich: Grundgesetz muss Maßstab für Asylpolitik bleiben

Auch die Fraktionschefin der Thüringer Grünen, Astrid Rothe-Beinlich, pocht darauf, das Grundrecht auf Asyl hochzuhalten. Rothe-Beinlich sagte MDR AKTUELL, mit den Plänen der EU werde die Axt an genau dieses Grundrecht angelegt. Sie halte nichts davon, auf Abschottung und Ausgrenzung zu setzen. Es gehe nicht darum, einfach die Tür aufzumachen, sondern Menschen zu helfen, die Hilfe benötigten. Dafür müsse man deutlich mehr Geld bereitstellen. Rothe-Beinlich betonte, sie rechne Außenministerin Annalena Baerbock hoch an, dass diese sich um eine solidarische Aufnahme von Flüchtlingen in Europa bemühe. Dazu seien aber nicht alle Länder bereit. Das Problem in Lager an den EU-Außengrenzen zu verschieben, sei keine Lösung. Das zeigten die menschenunwürdigen Bedingungen in Lagern etwa in Griechenland.

Migrationsforscher warnt vor mehr Gewalt an EU-Außengrenzen

Auch der Migrationsexperte Maximilian Pichl sieht die EU-Pläne kritisch. Der Rechts- und Politikwissenschaftler von der Universität Kassel sagte dem Evangelischen Pressedienst, wenn der EU-Migrationspakt komme, würden die Staaten an der Außengrenze "noch schärfer versuchen, mit allen Mitteln zu verhindern, dass Menschen hier ankommen". So werde es wahrscheinlich "noch härtere Pushbacks" geben.

Pushback Werden Flüchtende ohne Möglichkeit auf einen Asylantrag an einer Grenze zurückgedrängt, spricht man von einem Pushback. Die Praxis verstößt unter anderem gegen die Europäische Menschenrechtskonvention, ist aber auch an den EU-Außengrenzen vielfach dokumentiert.

Zuletzt sorgten etwa Mitte Mai Videos für Aufsehen, die die griechische Küstenwache dabei zeigen sollen, wie sie Flüchtende auf einem Floß aussetzt. Nach Recherchen der "New York Times" stammten die Betroffenen aus Somalia, Eritrea und Äthiopien, darunter auch eine Frau mit einem sechs Monate alten Baby.

Zudem sehen laut Pichl die sogenannten Grenzverfahren keine inhaltliche Prüfung des Rechts auf Asyl mehr vor. Stattdessen werde nur noch formal geprüft, ob Schutzsuchende direkt wieder abgeschoben werden könnten, etwa weil sie aus einem sicheren Drittstaat eingereist seien. Das stehe in großem Widerspruch zum Koalitionsvertrag der Ampel-Koalition, wonach jeder Asylantrag inhaltlich geprüft werden solle. Praktisch käme es bei den Grenzverfahren zu einer vorübergehenden Inhaftierung einer Vielzahl von Schutzsuchenden. Bereits im Mai hatten hunderte Juristinnen und Juristen in einem offenen Brief beklagt, die Bundesregierung plane eine "faktische Abschaffung des Asylrechts".

Kinderschutzbund gegen Asyl-Prüfung bei Minderjährigen an EU-Grenzen

Der Kinderschutzbund drängt derweil darauf, wenigstens Minderjährige von den Asyl-Prüfungen an den EU-Grenzen auszunehmen. "Kinder, Jugendliche und ihre Familien sind besonders schutzbedürftig", sagte Bundesgeschäftsführer Daniel Grein der "Stuttgarter Zeitung" und den "Stuttgarter Nachrichten" und verwies dabei auf das Grundgesetz. Kinder und Jugendliche hätten ein Recht auf Bildung und bräuchten geeigneten Wohnraum, betonte Grein. Mit dem Hintergrund der Fluchterfahrung bräuchten sie besondere Aufmerksamkeit durch Kinderärzte, durch Kinder- und Jugendpsychotherapeuten sowie durch Sozialarbeiter. "Das alles kann nicht in Massenunterkünften an den EU-Außengrenzen gewährleistet werden."

FDP und Union verteidigen Reform-Pläne

Der FDP-Innenexperte Stephan Thomae verteidigte die Reformpläne der EU. Im Deutschlandfunk sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion, es kämen immer mehr Menschen nach Europa – auch solche, für die das Asylsystem nicht gedacht sei.

Zu den Vorwürfen, Menschen würden nach den EU-Plänen in Haftlagern festgehalten, sagte Thomae: "So stelle ich mir das nicht vor." Er betonte, dass etwa die Europäische Asylagentur EUAA in den "Auffangeinrichtungen" die Einhaltung von Menschenrechten überwachen müsse.

Auch die Union unterstützt die geplanten Asylprüfungen an den EU-Außengrenzen. Der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion, Mathias Middelberg, sagte der Deutschen Presseagentur, die "ungesteuerte Asylzuwanderung nach Deutschland" müsse "schnell und nachhaltig eingebremst" werden. Zugleich drängte er dazu, mehr anerkannte Flüchtlinge in Arbeit zu bringen. Nur 100.000 Flüchtlinge mehr, die keine staatliche Unterstützung benötigten und stattdessen in Steuer- und Sozialkassen einzahlten, "würden den Bundeshaushalt und die Sozialkassen um jährlich zwei bis drei Milliarden Euro entlasten", rechnete er vor.

Scholz: Hoffnung auf Einigung in Luxemburg

Am Donnerstag beraten die Innenministerinnen und -minister der EU in Luxemburg über eine Reform des gemeinsamen europäischen Asylsystems (GEAS). Die EU-Kommission hatte 2020 einen Vorschlag dazu vorgelegt. Die Bundesregierung, das EU-Parlament und die EU-Ratspräsidentschaft dringen darauf, die Reform noch vor den Europawahlen 2024 zu verabschieden.

Bundeskanzler Olaf Scholz äußerte am Dienstag die Hoffnung auf eine Einigung am Donnerstag: Er wolle "den Optimismus nicht aufgeben", sagte er in Berlin. Deutschland müsse "Teil eines solidarischen Umgangs mit dem Thema Fluchtmigration sein", so der Kanzler. "Wir dürfen die Länder an den Außengrenzen nicht alleine lassen." Die geplanten Vorprüfungen von Asylanträgen an den EU-Außengrenzen werde auch Deutschland entlasten, sagte Scholz.

Auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen mahnte mehr Solidarität an. "Ich hoffe sehr, dass es am Donnerstag einen Schritt nach vorne gibt", sagte sie auf dem WDR-Europaforum am Dienstag.

MDR, AFP, epd, dpa, reuters (rnm/nvm)

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 06. Juni 2023 | 07:30 Uhr

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