Ausbildung für den Krieg Wie die Bundeswehr ukrainische Soldaten unterstützt

01. August 2024, 15:19 Uhr

Die Unterstützung der Ukraine durch Deutschland umfasst mehr als Waffen und Kriegsgerät: Tausende ukrainische Soldaten werden in der Bundesrepublik für den Kampf an der Front geschult. Ein MDR-Reporter konnte bei einem Lehrgang dabei sein.

Das olivgrüne Rohr schlägt zurück. Der Knall hallt über den Truppenübungsplatz. Vor der Panzerhaubitze breitet sich eine Rauchwolke aus. Den Schuss hat ein ukrainischer Soldat abgefeuert. Die Männer befinden sich zur Ausbildung in Deutschland – es ist eine Herausforderung für beide Seiten.  

Vermummter Bundeswehrsoldat im Interview
Ein vermummter ukrainischer Offizier: Aus Sicherheitsgründen dürfen Namen von Beteiligten nicht genannt werden. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Bei der Verteidigung der Ukraine gegen die russischen Aggressoren spielt die Panzerhaubitze 2000 eine wichtige Rolle. 14 Stück hat die Ukraine bisher von Deutschland bekommen, weitere 18 sollen folgen. Die Ukrainer kommen teilweise direkt von der Front: "Wir sind alle gelernte Artilleristen", sagt ein ukrainischer Offizier. "Wir haben schon sehr viel Erfahrung und die ganzen Besatzungen waren schon in Kiew dabei, im Donbass und in Charkiv." Doch die Panzerhaubitze zu bedienen, sei Neuland für sie.

Die ganzen Besatzungen waren schon in Kiew dabei, im Donbass und in Charkiv.

Ukrainischer Offizier

Auch für die Ausbilder von der Bundeswehr ist das Training eine Herausforderung. "Man muss die Leute so ausbilden, dass man sagen kann: Okay, ich kann die jetzt ruhigen Gewissens da wegschicken", sagt ein Ausbilder der Bundeswehr. Denn es könne sein, dass die Ukrainer unmittelbar danach damit an der Front im Kriegseinsatz sind. Aus Sicherheitsgründen dürfen weder die Namen der Beteiligten noch der Ort der Ausbildung genannt werden.

Die Motivation der Soldaten aus der Ukraine

Die Ketten rattern. Der 1.000-PS-Motor der Panzerhaubitze dröhnt über den Schotterweg, während die Stellung bezogen wird. Ziele anvisieren und bekämpfen – auch das trainieren die Ukrainer auf dem Truppenübungsplatz in Westdeutschland. "Die wissen, wofür sie hier sind und wenn sie zurückgehen, wo sie hinmüssen. Die haben eine Motivation, das ist unglaublich", sagt der deutsche Hauptfeldwebel.

"Wir sind sehr dankbar für diese Ausbildung und wir sind sehr überzeugt, dass die Panzerhaubitze 2000 uns helfen wird, die Ukraine zu verteidigen", sagt der ukrainische Offizier. Doch die Ukraine würde mehr Panzerhaubitzen und mehr Munition benötigen.

Deutschland leiste viel Unterstützung für die Ukraine, betont Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius immer wieder. "Also wir haben im letzten Jahr 10.000 ukrainische Soldatinnen und Soldaten ausgebildet, und das ist auch das Ziel in diesem Jahr", sagte er im April auf einem SPD-Parteitag in Thüringen. Ob das gelinge, hänge davon ab, wie viele kommen.

Pistorius über die Rolle Deutschlands bei der Ausbildung

"Die Kapazitäten sind da, und das betrifft Ausbildung in gepanzerten Fahrzeugen, das betrifft Ausbildung in Luftabwehrsystemen, das betrifft Stabsausbildung, Feldwebel-Ausbildung, also eigentlich fast jeden Bereich", so Pistorius.

Ende 2022 hat die Europäische Union ein zweijähriges Trainingsprogramm (EUMAM) für die Ukraine begonnen. 24 EU-Mitgliedsstaaten sind beteiligt. Insgesamt sollen 60.000 ukrainische Soldaten und Soldatinnen ausgebildet werden. 20.000 davon in Deutschland.

Im November dieses Jahres läuft das Programm aus. MDR Investigativ hat Pistorius bei einem Besuch im Juli im Logistikkommando in Erfurt gefragt, ob es Überlegungen gibt, das EU-Ausbildungsprogramm zu verlängern, und ob Deutschland notfalls auch allein weitermachen würde. Der Verteidigungsminister antwortete, dass es keine Hinweise auf einen Ausstieg von beteiligten Staaten gebe. "Deswegen habe ich auch keinen Grund anzunehmen, dass die Verlängerung nicht kommt. Ich würde das außerordentlich begrüßen, weil es einer der zentralen Bausteine der Unterstützung der Ukraine ist."

Der Feldwebel als Rückgrat der Streitkräfte

Deutschland spielt dabei eine zentrale Rolle. Die professionelle Ausbildung der Bundeswehr werde, laut Pistorius, sehr geschätzt. "Das betrifft insbesondere, nur um ein Beispiel mal zu nehmen, die Ausbildung der Feldwebel. Die Feldwebel-Riege gilt in jeder Streitkraft der Welt als im Grunde genommen das Rückgrat, weil sie vor Ort führt in den kleinen Einheiten."

Feldwebel werden beim deutschen Militär und in vielen anderen Armeen als Gruppenführer oder Zugführer eingesetzt. Sind damit für bis zu 30 Soldaten verantwortlich. MDR Investigativ durfte in einer Kaserne in Mitteldeutschland bei der Grundausbildung ukrainischer Soldaten dabei sein, bei der auch Feldwebel unterrichtet werden.

Zwischen grünen Büschen, Gräser und Feldern stehen kleine gemauerte Hütten. Dort soll der Kampf im urbanen Raum geübt werden. Die Bedrohung kann aus allen Himmelsrichtung und auch von oben kommen. "Und der Gruppenführer ist hier vor allem gefordert, dass er seine Kräfte koordiniert", sagt ein Bundeswehr-Ausbilder. Der Oberstleutnant sagt, man erkläre den Ukrainern, wie Unteroffiziere und Feldwebel der Bundeswehr in solchen Situationen agieren sollen.

Die Ukrainer haben die Kriegserfahrung

"Jetzt hat die deutsche Armee etwas, was sich Auftragstaktik und innere Führung nennt", so der deutsche Offizier. "Ich vertraue den Fähigkeiten, die meine Männer haben. Ich gebe ihnen einen Auftrag, und wie sie diesen Auftrag erfüllen, obliegt bei ihnen."

Soldat am Steuer eines Schützenpanzerwagens
Ein Soldat am Steuer der Panzerhaubitze. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Dieses selbstständige Agieren ist durchaus einmalig, erklärt der Oberstleutnant. Andere Armeen, auch die ukrainische, bildeten eher von oben aus. Das bedeutet: Jedes Handeln nur auf Befehl des Vorgesetzten.

"Wir haben ihnen aber auch nichts aufoktroiert, sondern haben uns auch immer dem angenommen, was die Ukrainer uns berichtet haben", sagt der deutsche Ausbilder. Die Ukrainer haben die Kriegserfahrung und dennoch sei man oft zu einem ähnlichen Ergebnis gekommen. "Und teilweise konnten wir wirklich Aha-Momente bei den Ukrainern auch erzeugen, weil wir eben zeigen konnten, dass, wenn ein fähiger Feind ihnen gegenübersteht, der Ansatz, den sie gewählt hätten, im Ansatz erstickt wäre."

Einige der ausgebildeten Soldaten sind bereits gefallen

Doch diese Kriegserfahrungen, die die Ukrainer bereits sammeln mussten, könne in der Ausbildung nicht abgedeckt werden, sagt ein Hauptmann. "Wir kriegen von den Soldaten natürlich mit, wie es denn jetzt wirklich ist, an der Front zu sein. Tag für Tag, Monat für Monat. Diese Entbehrungen dieser Art."

Zudem kommt noch etwas Anderes mit hinzu, wie der Oberstleutnant berichtet. So sei gerade die Ausbildung der ersten Ukrainer zu Ende gewesen und von den Nachfolgern habe er erfahren, dass einige bereits gefallen seien: Im ersten Moment, wo man es dann hört, ist das schon ein Schlag in die Magengrube."

Der Hauptfeldwebel sagt, dass er sich auch darüber Gedanken mache: "Schaffen die das? Überleben die das?", so der Bundeswehr-Soldat im Tarnanzug, während er vor einer Panzerhaubitze steht. "Und man denkt schon: Am liebsten würde ich mit denen mitgehen. Das ist einfach so. Das ist Menschlichkeit."

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR Investigativ | 17. Juli 2024 | 20:15 Uhr

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