Ein Bundeswehr-Soldat steht vor einem Abwehrsystem.
Ein Bundeswehr-Soldat steht vor einem Abwehrsystem gegen kleine unbemannte Luftfahrzeuge in Rumänien. Bildrechte: picture alliance/dpa | Bernd von Jutrczenka

Gegen Sabotage und Cyberattacken Bundeswehr arbeitet an neuem Verteidigungsplan für Deutschland

25. Januar 2024, 13:22 Uhr

Deutschland reagiert auf den Ukraine-Krieg und stellt erstmals seit dem Kalten Krieg wieder einen umfassenden Verteidigungsplan auf. Dabei wird vor allem auf Abschreckung gesetzt. Die Verantwortlichen müssen neue Entwicklungen in der Kriegsführung bedenken und stellen sich etwa auf Sabotage an kritischer Infrastruktur, Desinformation und Cyber-Attacken ein. Man geht auch davon aus, dass ein großer Teil der Bundeswehr zur Verteidigung der Nato-Ostflanke gebraucht werde.

Mit einer besseren Vernetzung zu Sicherheitsbehörden, Katastrophenschutzorganisationen und Industrieunternehmen stellt sich die Bundeswehr auf eine gesamtstaatliche Verteidigung Deutschlands ein. Dazu werde ein neuer Operationsplan Deutschland (OPLAN) erstellt, der festlege, wie im Spannungs- und Verteidigungsfall gemeinsam vorgegangen werde solle, sagte der Befehlshaber des Territorialen Führungskommandos, Generalleutnant André Bodemann, der Deutschen Presse-Agentur in Berlin.

Generalmajor André Bodemann, Befehlshaber des Territorialen Führungskommandos, in einem Interview
Generalleutnant André Bodemann bereitet die Bundeswehr auf Sabotageakte und Unterstützung von Nato-Verbündeten vor. Bildrechte: picture alliance/dpa | Kay Nietfeld

"Der Operationsplan Deutschland leitet sich von der aktuellen Sicherheits- und Bedrohungslage in Deutschland und in Europa insgesamt ab", sagte Bodemann. "Das soll ein Plan sein, der ausführbar und durchführbar ist, also nicht ein Hirngespinst, ein Gedankenkonzept, sondern tatsächlich etwas Handfestes, was am Ende auch funktionieren kann."

Über das in den Details streng geheime und hunderte Seiten umfassende Dokument soll am Mittwoch auf einem Symposium in Berlin mit Polizeibehörden, Bevölkerungsschützern, dem THW, Wissenschaftlern, der Energie- und Logistikbranche sowie Alliierten beraten werden. Der Plan soll bis Ende März fertig sein und fortgeschrieben werden.

Diese Verteidigungsplanung ist in erster Linie auf Abschreckung ausgerichtet. Wir tun etwas, damit erst gar nicht ein Konflikt, ein Krieg entsteht.

Generalleutnant André Bodemann Befehlshaber des Territorialen Führungskommandos

Im Verteidigungsfall vor allem kritische Infrastruktur bedroht

Deutschland hat dann erstmals seit dem Kalten Krieg wieder einen aktuellen und umfassenden Verteidigungsplan. Doch die Lage in Europa ist anders als vor 30 Jahren, als Deutschland Frontstaat war. Nun ist Deutschland in der "rear area", wie die Nato sagt, also im hinteren Bereich.

"Das bedeutet, ich erwarte jetzt nicht die Panzerschlacht in der norddeutschen Tiefebene, hoffentlich auch keine Luftlandung von russischen Fallschirmjägern", so der General. "Aber unsere kritischen Infrastrukturen, die Häfen, die Brücken, die Energieunternehmen, die werden natürlich bedroht durch Sabotageakte, vielleicht auch durch Spezialkräfte, die eingesickert sind und versuchen, hier genau diese kritischen Infrastrukturen zu stören."

Angriffe im Cyberraum und auf Energieunternehmen erwartet

Die Militärs erwarten vier Bedrohungen, die teils schon jetzt zu beobachten seien, darunter Fake News und Desinformation. Der Gegner werde versuchen, Regierungsentscheidungen, die Meinung der Bevölkerung und vielleicht auch der Medien zu beeinflussen. Zudem werden Angriffe im Cyberraum erwartet gegen Energieunternehmen und die Telekommunikation. Schließlich würden gezielte Ausspähungen erwartet.

"Und der vierte Teil, gegen den wir uns jetzt schon wappnen müssen, ist ganz klar Sabotage auch durch beispielsweise Spezialkräfte, durch irreguläre Kräfte, die versuchen, das ein oder andere unbrauchbar zu machen, um damit den Aufmarsch zu behindern oder zu verhindern", sagte der General. Zudem könne die kritische Infrastruktur Ziel von ballistischen Raketen der anderen Seite sein. An einem Schutzschirm werde gearbeitet.

Der frühere NATO-General und Generalleutnant a.D. Erhard Bühler 71 min
Bildrechte: MDR / Erhard Bühler

Verteidigungsplan orientiert sich auch an Ukraine-Krieg

Wie solche Angriffe auf die Infrastruktur ablaufen können, beobachten die westlichen Verbündeten in der Ukraine. Dabei gehen die Bundeswehrplaner davon aus, dass ein größerer Teil der eigenen Kräfte von der Nato zur Abschreckung und Verteidigung an der Ostflanke des Bündnisses gebraucht werde und in Deutschland selbst nicht eingeplant werden könne.

"Ich muss diesen Schutz aber sicherstellen. Das mache ich mit den neu aufzustellenden Heimatschutzkräften. Wir bauen gerade sechs Regimenter auf, aber in der Ableitung aus dem Operationsplan Deutschland wollen wir klar feststellen, wie viel brauchen wir tatsächlich", sagte Bodemann. Die Aufgabe Deutschlands werde es sein, die Aufmarschwege für Verbündete zu unterhalten und die Konvois zu versorgen ("Host Nation Support"). Dazu laufen bereits jetzt verstärkte Übungen.

Bundeswehr auf zivile Unternehmen angewiesen

Die seit dem Kalten Krieg deutlich verkleinerte Bundeswehr wird also verstärkt zivile Unternehmen einbinden oder einbinden müssen und setzt dabei auf sogenannte Vorhalteverträge für eine maximale zivile Leistungserbringung. Konkret bringen dann die Tanklaster ziviler Unternehmen den Diesel an die Fahrstrecken.

"Wir hatten das in den 80er Jahren nicht nur bei der Versorgung mit Betriebsstoffen", erinnert sich Bodemann. "Logistikunternehmen, Transportunternehmen, Bauunternehmen hatten Fahrzeuge, die hatten einen extra Fahrzeugschein. Die wussten, wenn es zu einem Krieg kommt, dann gehören dieser Lkw, diese Planierraupe, dieser Bagger der Bundeswehr und da gibt es einen Fahrer, der das auch fahren kann. All das ist wieder neu zu denken."

Neue Entwicklungen in Kriegsführung – Frühere Verteidigungspläne obsolet

Die Militärplaner, die vor knapp einem Jahr mit den Arbeiten an dem "OPLAN" begonnen haben, könnten sich dabei nur begrenzt auf frühere Konzepte stützen. "Wo noch verfügbar, haben wir auch zurückgegriffen auf alte Überlegungen aus dem Kalten Krieg, aus den 80er Jahren. Was hat man getan? Wie hat man es getan? Warum hat man es getan?", sagte der General. "Aber die Welt hat sich verändert. Das heißt, die alten Verteidigungspläne Deutschlands sind nicht eins zu eins übertragbar. Das ist keine Blaupause mehr."

Es gebe Entwicklungen der Waffentechnik, die Digitalisierung, die gesamte Cyberthematik und damit verbunden auch neue Bedrohungen. Und: "Die Trennung zwischen äußerer und innerer Sicherheit ist nicht mehr so eindeutig, wie sie noch vor etlichen Jahren war", sagte der General. "Wir müssen uns viel mehr vernetzen, wir müssen viel mehr austauschen."

Dabei steht die Gesamtverteidigung auf zwei Säulen. Bevölkerungs- und Zivilschutz sind die Aufgabe des Bundes, des Bundesinnenministeriums sowie der Bundesländer. Die Bundeswehr übernimmt den militärischen Anteil. Was Bodemann betont: "Diese Verteidigungsplanung ist in erster Linie auf Abschreckung ausgerichtet. Wir tun etwas, damit erst gar nicht ein Konflikt, ein Krieg entsteht."

dpa(ewi)

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 25. Januar 2024 | 10:00 Uhr

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