Bundeswehr Kampf im urbanen Gelände: Deutsche, tschechische und norwegische Truppen erobern Schnöggersburg
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09. April 2024, 20:53 Uhr
Die Stadt Schnöggersburg findet man zwar bei Google Maps, ein Ausflug dorthin ist für Zivilisten aber unmöglich. Obwohl es hier Frisörläden, Cafés und Kirchen gibt. Schnöggersburg liegt mitten im Gefechtsübungszentrum der Bundeswehr in der Altmark und wurde dafür gebaut, den Kampf im urbanen Gelände zu trainieren. Seit gut drei Wochen sind hier die sächsisch-thüringische Panzergrenadierbrigade 37 und Truppen aus Tschechien und Norwegen im Manöver "Wettiner Schwert".
In Schnöggersburg wohnt niemand. Und doch ist die Stadt im Norden Sachsen-Anhalts oft heftig umkämpft. In den Morgenstunden des 8. April haben tschechische und norwegische Soldaten die Stadt eingenommen. Jetzt haben sie sich dort verschanzt und warten auf einen Angriff des Gegners.
Auf Gegenangriffe einstellen
"Wenn man eine Stadt einnimmt, muss man immer damit rechnen, dass der Gegner versucht, sie sich zurückzuholen", sagt Brigadegeneral Alexander Krone. Er ist Kommandeur der Panzergrenadierbrigade 37 "Freistaat Sachsen" und steht gerade auf dem Dach des Supermarktes von Schnöggersburg. Um ihn herum Dutzende Journalistinnen und Journalisten. Krone hat zum Medientag geladen, um etwas über das Manöver "Wettiner Schwert" zu erzählen, das seit Mitte März in der Altmark stattfindet und bei dem Einheiten seiner Brigade eine zentrale Rolle spielen.
"Seit 40 Minuten melden unsere Aufklärer Feindbewegungen. Einen Panzer, eine ganze Panzerkompanie", erzählt Krone. Die würden dann an die eigenen Truppen weitergemeldet. Um den Gegner möglichst frühzeitig auszumachen, hätten die Aufklärer vom Aufklärungsbataillon 13 aus Gotha weiträumig um die Stadt herum Stellung bezogen. Ihre Aufgabe: Der eigenen Truppe genügend Zeit zu verschaffen "sich so aufzustellen, dass ein Angriff erfolgreich abgewehrt werden kann".
Sehen kann man davon hier vom Dach des Supermarktes aus nichts. "Wenn Sie Marder-Schützenpanzer sehen - das ist der Gegner, hier dargestellt von den Truppen des Gefechtsübungszentrums", erläutert der General. Wenn der hier in Schnöggersburg gleich zu sehen sein sollte, dann sei es für die Verteidiger nicht so gut gelaufen.
Norweger und Tschechen im Abwehrkampf
Der Gegenangriff kommt offenbar. Leopard-Panzer des norwegischen Telemark-Bataillons gehen in Sichtweite des Supermarktes in Stellung, sie wollen einen vermuteten Vorstoß des Gegners auf den Bahnhof gleich neben dem Supermarkt abwehren. "Pandur"-Radpanzer des 41. Mechanisierten Bataillons der tschechischen Armee rollen in hoher Geschwindigkeit heran und unterstützen die Norweger.
Am Vormittag hatten die Tschechen und die Norweger Schnöggersburg eingenommen. Nun wollen sie die Stadt auch halten. Unterstützung haben sie dabei unter anderem von Panzerpionieren aus dem thüringischen Gera. "Nachdem die Kampftruppen die Stadt genommen haben, sind wir nachgerückt und haben die Stellungen gehärtet", erläutert Hauptfeldwebel Michael (wir dürfen den Nachnamen nicht nennen). Das bedeutet: Die Pioniere aus Gera haben Stellungen für eigene Panzer gebaut, Minen geräumt und so die Stadt zur Verteidigung vorbereitet. Dabei sei unter anderem der Pionierpanzer "Dachs" eingesetzt worden. Ausgerüstet mit Baggerschaufel und Schiebeschild kann er große Mengen Erde bewegen.
Rund um den Supermarkt ist einiges in Bewegung gekommen. Norwegische Leopard-Panzer manövrieren im Gelände, CV90-Schützenpanzer des Telemark-Bataillons rücken vor und dann wieder zurück, immer wieder tauchen auch tschechische "Pandur"-Radpanzer auf. Neben dem Supermarkt geht ein Puma-Schützenpanzer der Bundeswehr in Stellung. Seine Kanone schwenkt hin und her, offenbar soll der Panzer aus der Deckung heraus das Gelände aufklären. Der Puma gehört zum Panzergrenadierbataillon 212 aus Augustdorf, das der sächsisch-thüringischen Panzergrenadierbrigade 37 untersteht.
"Kampf in urbanem Gelände gewinnt an Bedeutung"
"Der Kampf im urbanen Gelände gewinnt immer mehr an Bedeutung", erläutert Hauptmann Renzo di Leo, Presseoffizier der Brigade. Laut Prognosen lebten bald weltweit 60 Prozent der Bevölkerung in Städten. Bei militärischen Konflikten könnten Städte daher immer auch zum Kampfgebiet werden.
Was das bedeutet, zeigen Bilder der vergangenen zwei Jahre aus der Ukraine. Etwa aus der Stadt Mariupol, die schon bald nach Beginn des russischen Angriffskrieges von den Invasoren eingenommen wurde. Doch ukrainische Verteidiger harrten wochenlang im riesigen Stahlwerk-Komplex der Stadt aus, bis sie sich schließlich ergeben mussten. Während der Kämpfe wurde die Stadt in Schutt und Asche geschossen.
"Man muss sich auf solche Szenarien einstellen", sagt General Krone. Auch darauf, dass Zivilisten in den Kellern der Häuser ausharrten, auf Flüchtlingsströme in der Stadt. All das könnte man, wenn man wollte, mit Laiendarstellern auch hier in Schnöggersburg einsetzen. Für diese Übung habe man sich aber auf die rein militärischen Aspekte konzentriert. Also keine leidtragenden Zivilisten in Schnöggersburg.
Die Übung, von der der General spricht, ist das Manöver "Wettiner Schwert". An dem sind laut Krone rund 3.200 Soldaten und Soldatinnen beteiligt, von seiner Brigade sowie die beiden Bataillone aus Tschechien und Norwegen. Schon Mitte März ging es los. Zunächst, wie Presseoffizier di Leo erläutert, mit einem Vorstoß über die Elbe in Richtung Schnöggersburg. An der Spitze das Panzerbataillon 393 aus Bad Frankenhausen mit seinen Leopard-Kampfpanzern.
"Man kämpft ja nicht nur vor seiner Haustür"
Bewegungen und Vorstöße über größere Entfernungen inklusive Flussüberquerung gehören häufig zum Szenario solcher Übungen. "Man kämpft ja nicht immer nur vor seiner eigenen Haustür", sagt Oberst Jiri Libal, Kommandeur des tschechischen Bataillons. Seine Leute sind mit ihren Fahrzeugen Mitte März von ihrer Garnison in Zatec im Nordwesten Tschechiens in die Altmark gerollt. "Der erste ist morgens um 5 Uhr bei uns gestartet, der letzte war nachts um 2 auf dem Truppenübungsplatz in der Altmark", sagt Libal. Von dort ging es dann zusammen mit Deutschen und Norwegern über die Elbe ins Gefechtsübungszentrum Letzlingen, nach Schnöggersburg.
Nachdem die Panzer aus Bad Frankenhausen bis einige Kilometer vor Schnöggersburg vorgestoßen waren, so erläutert di Leo weiter, seien sie dann von Tschechen und Norwegern überholt worden. Deren Aufgabe sei die Einnahme der Stadt gewesen, was ihnen auch gelungen sei.
Ein Kinderspiel dürfte das indes nicht gewesen sein, hört man aus den Worten von Oberst Heiko Diehl heraus. Er ist Kommandeur des Gefechtsübungszentrums und verfügt über eigene Truppen. "Die üben praktisch das ganze Jahr hier und kennen das Gelände in- und auswendig", sagt er nicht ohne Stolz.
Ob es Diehls Leuten gelungen ist, Schnöggersburg zurückzuerobern, ist für die Journalisten auf dem Supermarkt-Dach nicht ersichtlich. Was auch daran liegt, dass hier nicht scharf geschossen wird, sondern alle Soldaten und Fahrzeuge mit elektronischen Sensoren ausgestattet sind, die Treffer anzeigen. Es wird also vergleichsweise lautlos gekämpft hier.
Später beim Besuch der Journalisten in Schnöggersburg laufen tschechische Infanteristen durch die schmalen Straßen zwischen den Häusern. Sie kontrollieren Häuser, ob sich darin Feinde verschanzt haben. Dass sie hier sind, heißt wohl: Der Gegenangriff wurde abgewehrt.
MDR (dr)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN | MDR THÜRINGEN JOURNAL | 08. April 2024 | 19:00 Uhr