Bundeswehr Verwundet in Afghanistan: Soldat Sven Hornig kämpft sich zurück ins Leben
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02. August 2021, 09:58 Uhr
Vor einigen Monaten ist Sven Hornig in sein neues, barrierefreies Haus eingezogen. Bis es soweit war, hatte der Bundeswehr-Soldat einen langen, schmerzvollen Weg zurückgelegt. Vor elf Jahren war Hornig bei einem Taliban-Angriff bei Baghlan in Afghanistan schwer verwundet worden. Mit den Folgen dieser Verwundung hat er bis heute zu kämpfen.
Gestützt auf seine Pfleger Domenico Seeck und Alireza Razavi steht Sven Hornig an der Tür seines Hauses in Peuschen. Mit einem breiten Lächeln im Gesicht begrüßt er seinen Besucher, Jobst Viehweger aus Delitzsch. Der Fallmanager vom Bund Deutscher Einsatzveteranen (BDV) will sich im neuen Zuhause von Hornig einmal umschauen. Denn der Verband hatte den Bau des Hauses mit einer Spendenaktion in den vergangenen Jahren unterstützt.
Am 15. April 2010 in Afghanistan schwer verwundet
Dass der Hauptfeldwebel der Bundeswehr Sven Hornig - wenn auch mit Unterstützung - im Stehen seinen Besucher begrüßen kann, ist für ihn eine große Leistung und Anstrengung zugleich. Am 15. April 2010 war der Ostthüringer bei Baghlan in Afghanistan schwer verwundet worden. Das gepanzerte Fahrzeug, in dem er mit mehreren Kameraden auf Patrouille war, fuhr auf einen Sprengsatz, der in diesem Augenblick ferngezündet wurde. Die Explosion zerstörte das Fahrzeug, drei Soldaten starben, Hornig und mehrere weitere Insassen wurden verwundet. Hornig erlitt ein schweres Schädel-Hirn-Trauma und zahlreiche Knochenbrüche.
"Ihr Sohn lebt"
Die Erinnerung an diesen furchtbaren Tag schmerzt seine Mutter Doris bis heute. Sie habe nach der Spätschicht im Umkleideraum die Nachricht gelesen, dass wieder etwas passiert sei, da unten in Afghanistan. Doch der Anschlagsort war weit weg vom Stationierungsort ihre Sohnes, den sie in Feizabad im Nordosten des Landes wähnte. Dass er bei Baghlan auf Patrouille war, wusste sie nicht. "Und halb zwölf klingelt es und ich schaue zum Fenster runter und sehe nur die Uniform. Da habe ich gedacht, Sven ist tot." Der Offizier, der ihr gemeinsam mit einer Pfarrerin die Nachricht von der Verwundung ihres Sohnes brachte, habe gesagt: "Ihr Sohn lebt, Arme und Beine sind dran. Aber der Kopf."
Keine Erinnerung an die Explosion
Schon während seiner Ausbildung zum Kfz-Mechaniker habe er gewusst, dass er zur Bundeswehr wollte, erzählt Sven Hornig. Er sitzt im Rollstuhl im Wohnzimmer seines neuen, barrierefreien Hauses neben seiner Mutter. Gleich nach der Grundausbildung bei der Truppe sei er im Jahr 2002 drei Wochen zum Hochwassereinsatz an der Elbe bei Pirna gewesen, erzählt er. Später ließ er sich zum Kampfmittelbeseitiger ausbilden und wurde in eine Einheit in Süddeutschland versetzt. Von dort ging es nach Afghanistan.
Im Bundeswehr-Camp in Feizabad habe er einfahrende Lkw auf versteckte Sprengsätze überprüft, erinnert er sich. "Eine Sache weiß ich noch. Da mussten wir in der Nacht raus, weil außerhalb des Lagers ein Kanister entdeckt worden war. Da haben sie uns alarmiert." Doch es habe sich nur um leere Plastikkanister gehandelt. "Was sicherlich auch hätte anders sein können." An die Explosion an der "Dutch Bridge", einer im April 2010 umkämpften Brücke bei Baghlan, erinnert sich Sven Hornig nicht. Ein Bundeswehrarzt, der bei der Patrouille dabei war, habe ihm vor kurzem erzählt, dass er nach der Explosion noch bei Bewusstsein gewesen sei. Seine eigene Erinnerung setzt erst Wochen nach dem Anschlag ein, im Krankenhaus in Deutschland. "Als ich zu meiner Mama gesagt habe, koch mal was Leckeres."
Spendensammlung für barrierefreies Haus
Die folgenden Jahre sind geprägt durch viele Operationen und Reha-Aufenthalte. "Bis 2014 ging das", sagt Doris Hornig. Sven sei schließlich in einer Pflegeeinrichtung untergekommen, wollte dort aber irgendwann weg. Wieder nach Hause. Weil das Elternhaus in Peuschen nicht barrierefrei umgebaut werden kann, entschloss sich die Familie für einen Neubau gleich daneben. Nahm dafür einen Kredit auf. Die Bundeswehr bezahlte die Zusatzkosten für eine barrierefreie Ausstattung. Und Hilfe kam auch vom Bund Deutscher Einsatzveteranen (BDV). Der initiierte eine Spendensammlung. Bis Anfang April 2018, als der erste Spatenstich für das neue Zuhause von Sven Hornig vollzogen werden konnte, waren dabei 21.000 Euro an Geld- und Sachspenden zusammengekommen. Bekannte, Freunde und Kameraden von der Bundeswehr halfen beim Bau des Hauses, in das Sven Hornig dann 2020 einziehen konnte.
Seinem Besuch vom Veteranenverband zeigt Hornig das Haus - Badezimmer, Schlafzimmer, Wohnzimmer mit Küche. Alles behindertengerecht eingerichtet. Doch er ist weiter auf Hilfe angewiesen. Im Alltag unterstützen ihn Pfleger eines ambulanten Pflegedienstes, helfen bei den täglichen Verrichtungen, unternehmen Ausflüge mit ihm. Einige dieser Ausflüge haben ihn zuletzt in die Bundeswehr-Kaserne in Gera geführt. Dort ist das Panzerpionierbataillon 701 stationiert, dem Hornig derzeit angehört.
Zum Appell in die Kaserne in Gera
Organisiert werden die Fahrten in die Kaserne von Stabsfeldwebel René Erdmann. Er ist PTBS-Lotse des Bataillons. Ansprechpartner für Soldatinnen und Soldaten, die mit Einsatzfolgen zu kämpfen haben - physischen wie psychischen. Ihm sei es wichtig, Sven Hornig so oft wie möglich an den Standort zu holen und ihn in seiner Kompanie zu integrieren - etwa durch die Teilnahme am Bataillonsantreten oder Veranstaltungen, sagt Erdmann. Es gebe auch Ideen, ihn in den Dienstbetrieb einzubinden, "ihn vielleicht auch mal zwei Tage die Woche an den Standort zu holen". Sven Hornig werde in der Kaserne wahrgenommen, und das habe durchaus auch eine positive Wirkung auf seinen Genesungsprozess, meint Erdmann.
"Die vielen Verletzten nicht vergessen"
Weiter Soldat sein zu können, sei ihm wichtig, sagt Hornig. Und es sei ein "angenehmes Gefühl", auch wieder Uniform tragen zu können. Auf die Frage des Reporters, ob er jetzt, nachdem der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan zu Ende ist, Angst davor hat, von der Bundeswehr vergessen zu werden, zeigt er lächelnd auf seine Mutter: "Die müssen sich kümmern, da sorgt sie schon dafür. Da habe ich eine starke Mutter." Das sei wohl das Mindeste, meint Doris Hornig. "Es war ein Berufsunfall. Und auch die vielen anderen Verletzten, die dürfen jetzt nicht vergessen werden, auch wenn das jetzt zu Ende ist. Ich meine, wenn sie die dahin schicken, dann müssen sie auch damit umgehen."
Gebracht hat der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan nach Ansicht von Sven und Doris Hornig nichts. "Da ist keine Ruhe reinzubringen in das Land", meint er. "Das haben die Russen schon nicht geschafft und ich weiß nicht, wer es noch alles probiert hat." Seine Mutter spricht von einer "traurigen Bilanz": "Ich denke an die Mütter, die ich kenne, die ihre Söhne verloren haben, an die Frauen. Es ist traurig, dass es eigentlich nichts gebracht hat." Die Soldaten hätten ihren Auftrag in Afghanistan erfüllt. "Dorthin geschickt wurden sie von der Politik."
Quelle: MDR THÜRINGEN/dr
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR THÜRINGEN JOURNAL | 02. August 2021 | 19:00 Uhr