Symbolbild zum Thema Bürgergeld 4 min
Audio: Wer unter Zwang einen Job annimmt, geht oft kurze Zeit später wieder ins Jobcenter. Bildrechte: IMAGO / IlluPics

Sozialpolitik Was Experten an verschärften Regeln für Bürgergeld-Empfänger kritisieren

09. Juli 2024, 10:50 Uhr

Den Druck auf Bürgergeld-Empfänger zu erhöhen, damit sie einen Job annehmen, ist nicht nachhaltig. Darin sind sich mehrere Experten einig. Was stattdessen helfen würde, um Menschen in Arbeit zu bringen.

Fairness sei der Hauptgrund, warum Bürgergeld-Empfängern bald mehr zugemutet werden soll, sagt die SPD-Haushaltspolitikerin und Co-Chefin der SPD in Sachsen, Kathrin Michel. "Ich finde es ist einfach fair, dass wir da rangehen und diejenigen, die arbeiten, die mit Arbeit ihren Unterhalt fristen, auch damit stärken."

Letztlich geht es um gesellschaftliche Akzeptanz -- so formuliert es auch die Bundesregierung in ihrem Maßnahmenpapier zum Bürgergeld. Das Bürgergeld soll keine allzu bequeme Alternative zur Erwerbsarbeit sein. Viel zu wenig leistet dieser Regierungsplan für den Vorsitzenden der Arbeitsgruppe Arbeit und Soziales für die Union, Stephan Stracke. Mehr Druck sei nötig, damit Arbeitslose Jobs schneller annähmen: "Das Bürgergeld gibt ja eigentlich viel zu wenig Akzente dahingehend, dass man die Leute möglichst schnell in Arbeit vermittelt." Im Gegenteil, man halte sie eher zurück und versorge sie im Sozialstaat, was nicht der richtige Weg sein könne.

Arbeitsvermittlung unter Zwang nicht nachhaltig

Strafen und Sanktionen seien der falsche Ansatz, sagt hingegen Helena Steinhaus von sanktionsfrei, ein Verein, der sanktionierte Bürgergeld-Empfänger unterstützt und berät. Wenn künftig beispielsweise wie geplant ein Pendelweg von drei Stunden als zumutbar gelte, nähmen Menschen diese Jobs zwar an. Lange dauerten diese Arbeitsverhältnisse aber oft nicht. "Es ist nachgewiesen, dass sie diese Arbeit dann nicht dauerhaft ausüben, weil sie natürlich nur unter Zwang angenommen wurde. Und das nennt man dann den Drehtüreffekt." Nach kurzer Zeit säßen die Menschen wieder im Jobcenter. Es sei sinnvoller, man würde diese Menschen von vornherein in Jobs vermitteln, die ihnen tatsächlich entsprechen.

Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Marcel Fratzscher, bestätigt diesen Drehtüreffekt. Große Einsparungen erwartet auch er nicht. Denn die oft genannte Zahl von 5,5 Millionen Bürgergeld-Empfängern klinge zwar nach viel. Dazu zählen aber auch fast zwei Millionen Kinder, mehr als 800.000 Aufstocker, sowie Alleinerziehende, chronisch Kranke oder solche, die Angehörige in Vollzeit pflegen.

Letztlich sei die "echte" Arbeitslosenquote relativ niedrig – und betreffe überwiegend eine bestimmte Gruppe. "Wir reden wahrscheinlich über 1,7 Millionen Bürgergeld-Bezieherinnen und -Bezieher, die arbeiten könnten", sagt Fratzscher. Zwei Drittel bis drei Viertel hätten keine Qualifikation oder keinen Berufsabschluss. Daran sehe man, wo das größte Problem liege: bei der Qualifizierung.

Ausländischen Bürgergeldempfängern fehlt Anerkennung der Berufsqualifikation

Besonders herausfordernd sei dieses Problem bei einem Teil der mittlerweile fast 50 Prozent Bürgergeld-Empfänger ohne deutsche Staatsbürgerschaft. Ihr Anteil ist durch Geflüchtete aus Syrien, Afghanistan und der Ukraine deutlich gestiegen. Bei ihnen mussten erst Sprachbarrieren abgebaut werden -- oder sie bestehen noch.

Allerdings liege auch in der Qualifikation ausländischer Bürgergeldempfänger ungenutztes Potential -- mehr als in Sanktionen, sagt Kathrin Michel von der SPD. Denn selbst nach erfolgreichen Sprachkursen dauere es zu lange, bis Berufsabschlüsse aus den Herkunftsländern anerkannt würden. "Das ist eindeutig Landessache. Und da weiß ich hier aus Sachsen, dass wir teilweise zwölf Monate und länger brauchen, um Berufsabschlüsse aus dem Ausland anzuerkennen. Es ist ein unheimlicher Wust an Bürokratismus." Außerdem koste es diejenigenn viel Geld, die die Anerkennung beantragen müssten. Allgemein müssten die Länder schneller werden.

Ein weiteres Hindernis für Arbeitswillige, da sind sich Experten und Sozialpolitiker einig, sind fehlende Kitaplätze. Denn wer arbeiten will, aber kleine Kinder hat und keine Kita findet, muss zu Hause bleiben. Das gilt für Deutsche wie Ausländer gleichermaßen.

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL – Das Nachrichtenradio | 09. Juli 2024 | 06:06 Uhr

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