Brandbrief an Bundeskanzler Engagement gegen Rechtsextremismus gefährdet: Vereine fordern Reform der Gemeinnützigkeit
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24. Juni 2024, 23:38 Uhr
Mehr als 100 Vereine, Initiativen und Organisationen – insbesondere aus Ostdeutschland – haben einen Brandbrief an Bundeskanzler Olaf Scholz geschrieben. Die Vereine sehen ihre Arbeit gefährdet, da ihnen droht, den Status der Gemeinnützigkeit zu verlieren. Sie drängen auf eine Reform des Gemeinnützigkeitsrechts.
- Vereine, die Demonstrationen für Demokratie organisieren, fürchten um die Aberkennung der Gemeinnützigkeit.
- Die AfD versucht, die Gemeinnützigkeit von Vereinen anzuzweifeln, wenn diese etwa Demonstrationen organisieren.
- Die Ampelkoalition hat die Reform des Gemeinnützigkeitrechts im Koalitionsvertrag festgeschrieben.
Vereine, Initiativen und Organisationen aus ganz Deutschland sehen ihr Engagement wegen einer fehlenden Gesetzesreform gefährdet. Mehr als 100 Initiativen haben einen gemeinsamen Brandbrief an Bundeskanzler Olaf Scholz adressiert.
In dem Brief, der auf den 18. Juni datiert ist, kritisieren die Vereine und Organisationen die geltenden Regeln zur Gemeinnützigkeit: "Wir alle werden in unserem Engagement durch das Gemeinnützigkeitsrecht behindert. Es gefährdet unsere Arbeit". Finanzämter zweifelten die Gemeinnützigkeit an, weil Demonstrationen organisiert worden seien, heißt es unter anderem in dem Brief. Die Bundesregierung habe es versäumt, durch neue Regeln Unklarheiten zu beseitigen. Dazu zählen auch die Grenzen, die dem politischen Engagement der Vereine gesetzt werden.
Vereine fürchten Ende der Förderung
Die Unterzeichner sind überwiegend kleine Organisationen aus Wohlfahrtspflege, Sport, Kultur und Bildung, Natur- und Umweltschutz sowie Demokratiearbeit. Die meisten sind im ländlichen Raum tätig. Viele der Vereine und Initiativen, die den Brandbrief unterzeichnet haben, haben ihren Sitz in den mitteldeutschen Bundesländern. Unterzeichnet haben unter anderem das Kulturbüro Sachsen, Miteinander – Netzwerk für Demokratie und Weltoffenheit in Sachsen-Anhalt und ran e.V. – Gewerkschaftlicher Jugendförderverein aus Erfurt.
Die Unterzeichner fürchten, dass ihnen die Gemeinnützigkeit aberkannt werde, wenn sie sich weiter politisch engagierten. Sie fordern daher, dass "der Einsatz für demokratische Werte, Menschenrechte, Antidiskriminierung und Rechtsstaatlichkeit endlich als eindeutig gemeinnützig anzuerkennen ist".
AfD zweifelt Gemeinnützigkeit der Vereine an
Die Unterzeichner schreiben zudem, dass die AfD Vereine und Initiativen beim Finanzamt anzeige, die sich gegen Rechtsextremismus engagierten. Ohne den gemeinnützigen Status stehe die Existenz der Vereine und Initiativen auf dem Spiel. "Deswegen denken viele von uns über jedes Engagement zweimal nach – über jede Aktion, jede Demonstration, jeden Offenen Brief. Und deswegen geht immer mehr Engagement für unsere Demokratie verloren", heißt es in dem Brandbrief.
Der Verein Colorido in Plauen im Vogtlandkreis teilte dem MDR auf Nachfrage mit, dass ihm per Social Media angekündigt worden sei, dass die Gemeinnützigkeit des Vereins überprüft werden solle. Das komme sowohl von der AfD als auch von der "Neuen Perspektive Vogtland". "Wir geben uns keinen Illusionen hin, dass wir im nächsten Jahr in unseren Strukturen bestehen bleiben", hieß es aus dem Vereinsvorstand. Vieles werde zusammenbrechen, die Hoffnung auf eine Lösung schwinde von Tag zu Tag.
Reform steht als Ziel im Koalitionsvertrag
Die Unterzeichner fordern in dem Brief vom Bundeskanzler eine Reform des Gemeinnützigkeitsrechts. Sie betonen: "Nur eine zügige Reform kann verhindern, dass in den nächsten Monaten immer mehr Vereine Probleme bekommen und sich zurückziehen".
Die Regierungsparteien SPD, Grüne und FDP hatten sich bereits im Koalitionsvertrag darauf verständigt, das Gemeinnützigkeitsrecht zu reformieren und die Zwecke der Gemeinnützigkeit zu erweitern und zu konkretisieren. Hintergrund ist unter anderem ein Urteil des Bundesfinanzhofs von Anfang 2019. Das Gericht hatte mit Blick auf das Anti-Globalisierungsnetzwerk Attac geurteilt, dass Tätigkeiten der politischen Bildung, die darauf abzielten, politische Entscheidungen und die öffentliche Meinung im Sinne eigener Auffassungen zu beeinflussen, nicht gemeinnützig seien und daher keinen Anspruch auf Steuervorteile hätten.
Die Bundesregierung erörtere aktuell noch, welche Regelung geeignet sei, um die im Koalitionsvertrag formulierten Ziele zu erreichen, sagte ein Sprecher des Bundesfinanzministeriums am Montag. Vereine werfen der Regierung in dem Brandbrief vor, auch im Entwurf für das Jahressteuergesetz 2024 keine Änderung vorzusehen. Dieses sei "die letzte Chance, die gesetzlichen Änderungen vor der Bundestagswahl vorzunehmen".
Stichwort: Gemeinnützigkeit
Als gemeinnützig werden Organisationen und Initiativen anerkannt, wenn sie "die Allgemeinheit auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet selbstlos fördern".
Wer als gemeinnützig anerkannt ist, ist steuerlich begünstigt und kann Spenden und Zuwendungen annehmen.
KNA (kar)
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL – Das Nachrichtenradio | 24. Juni 2024 | 16:00 Uhr