Migration Wie sich die Asyldebatte 2024 in Deutschland verändert hat
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31. Dezember 2024, 05:00 Uhr
Flucht und Migration sind auf der politischen Agenda wieder ganz nach oben gerückt: Die Zahl der Schutzsuchenden war auch 2024 hoch. Die Kommunen beklagen Überlastung, es gab Mordanschläge von Flüchtlingen in Deutschland. Rechtspopulisten sind europaweit auf dem Vormarsch. Die EU und Deutschland verschärften ihre Asylregeln. Regieren beim Thema Asyl inzwischen die Affekte? Ein Rückblick.
- Sachverständigenrat für Migration wertet EU-Reform des Asylsystems als Erfolg.
- Messerangriffe in Mannheim und Solingen verschärften die Migrationsdebatte und erhöhten den Druck auf Politik.
- Zusätzlich versorgen die EU-Länder 4,4 Millionen Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine.
Fragt man den Dresdner Politikwissenschaftler Hans Vorländer nach den wesentlichen Momenten, die die Debatte um Flucht und Asyl im Jahr 2024 ausgezeichnet haben, fallen zunächst diese Worte: Empörung und Erregung: "Ganz generell muss man wieder sagen, dass die Asyldebatte oder migrationspolitische Debatte sehr aufgeladen war, sehr aufgeheizt. Und das ist für die konkrete sachliche Problemlösung nicht sehr förderlich. Insofern müsste man die Debatte versachlichen."
Sachverständigenrat: EU-Migrationspakt ist ein Fortschritt
Im Frühling legte der Sachverständigenrat für Integration und Migration sein neues Jahresgutachten vor und stellte fest, dass die Migrationspolitik zu den dynamischsten Politikfeldern überhaupt gehört. Dynamisch, das trifft es: Mehrere Asylgipfel allein 2024. Immer neue Gesetze – von der Bezahlkarte bis hin zur erleichterten Ausweisung Geflüchteter.
Der lang erwartete EU-Migrationspakt, der wenige Monate später schon wieder verschärft werden soll. Dass es den Pakt überhaupt gibt, hält Vorländer indes für einen der Fortschritte in diesem Jahr: "Also ich finde es sehr richtig, dass die Europäische Union sich auf eine Reform des gemeinsamen europäischen Asylsystems verständigt hat. Bis zum Jahr 2026 wird das umgesetzt werden und das könnte eben dazu führen, dass nicht einzelne Länder, so wie die Bundesrepublik Deutschland, besonders belastet sind, sondern dass es zu einem neuen Solidaritätsmechanismus kommt, sodass wir hier tatsächlich auch eine gleiche Belastung haben."
Messerangriffe verschärften den Druck auf die Politik
Hier blieb die Debatte allerdings nicht stehen: Nach den Messerangriffen in Mannheim und Solingen jagte eine Forderung die nächste: Es brauche eine "Zeitenwende in der Migrationspolitik". Man diskutierte über die Zurückweisung von Flüchtlingen an der Grenze und über Asylverfahren und Unterbringung außerhalb der EU.
Während Politikwissenschaftler Vorländer diese Drittstaatenabkommen für problematisch hält, ist der Vorschlag für Migrationsforscher Gerald Knaus ein Zeichen dafür, dass die Parteien nach Lösungen suchen: "Das war ja in den letzten zehn Jahren die wichtigste Maßnahme, die tatsächlich – ich nehme nur Deutschland – dazu geführt hat, dass von 2016 bis 2019, in drei Jahren, die Zahl der Asylanträge auf ein Fünftel gefallen ist, damals die Einigung mit der Türkei."
Damit bekam die Türkei von der EU Milliardenhilfen, im Gegenzug riegelte sie Fluchtrouten ab. Außerdem sicherte die EU zu, asylberechtige Syrer aus der Türkei in die EU umzusiedeln. Ein solcher Weg entspreche dem, was die Bevölkerung laut Umfragen wolle, sagt Knaus: Weniger irreguläre Migration.
4,4 Millionen Geflüchtete in der EU durch Putins Krieg gegen die Ukraine
Zwar wurden in diesem Jahr nicht so viele Asylanträge gestellt wie 2023, die Zahl der Schutzsuchenden blieb trotzdem hoch. Migrationsforscher Gerald Knaus bilanziert: "Ich war auch erst vor Kurzem beim Landkreistag in Baden-Württemberg. Da war das ein großes Thema, dass viele Kommunen in ganz Deutschland an die Reserven gehen, weil ja tatsächlich die Zahl der Menschen, die sie unterbringen, historisch groß ist." Jedoch liege das vor allem an Putins Krieg gegen die Ukraine. Der habe zu 4,4 Millionen Flüchtlingen in der EU geführt und jetzt schon zu mehr als 1,2 Millionen Ukrainern in Deutschland.
Beim Ringen um Regelungen dürften aber zwei Dinge nicht aus dem Blick geraten, so Knaus: Die Menschenwürde und das Grundrecht auf Asyl. Und Hans Vorländer fügt an: Angesichts der teilweise herabwürdigenden Debatten – auch in diesem Jahr – müsse man aufpassen, dass man auf ausländische Fachkräfte nicht abschreckend wirke.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 31. Dezember 2024 | 07:00 Uhr