Angriffe auf Frauen in Politik und Medien Konfliktexperte: "Weil Männer sich in ihrem Status bedroht fühlen"
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28. Juli 2024, 05:00 Uhr
Frauen werden teils gezielt angegriffen – immer wieder. Dahinter stecken veraltete Stereotype, erklärt Konfliktforscher Andreas Zick im Interview. Das Muster sei Bedrohung und Einschüchterung. Die Folgen gehen weit über einzelne Personen hinaus.
MDR AKTUELL: Die Bundestagsabgeordnete Yvonne Magwas (CDU) aus Sachsen hat angekündigt, nicht mehr für den Bundestag zu kandidieren, weil sie sehr starker Hetze ausgesetzt ist. Sind Frauen in politischen Ämtern besonders häufig Anfeindungen ausgesetzt?
Andreas Zick: Laut einer Studie "Vielfältige Repräsentation unter Druck" der Universität Duisburg-Essen ist der Anteil der Frauen und Männer Gewaltopfer zu werden, wenn sie Politikerinnen oder Politiker sind, auf kommunaler Ebene gar nicht überfällig groß. Aber wir haben tatsächlich sehr bekannte Fälle von Frauen: Frau Merkel hat mit "Merkel muss weg" eine riesengroße Kampagne erfahren, Frau Künast, Frau Baerbock, Frau von der Leyen. Also Frauen, die in der Öffentlichkeit stehen, erfahren teils sehr starken Hass. Zudem sind laut der Studie die Verhaltensänderungen bei Frauen nach Angriffen gravierender.
Woran liegt das?
Da mischt sich der Hass auf ihre Politik auch mit sexistischen Stereotypen. Laut Studien sind Stereotypen von Frauen immer noch weit verbreitet. Frauen seien weniger kompetent, zumindest nicht im Politikbereich. Die könnten anderes besser und seien emotionaler. Frauen werden in klassischen Geschlechterrollen betrachtet.
Eine Frau in der Öffentlichkeit wird also auch herabgewürdigt, weil sie eine Frau ist?
Ja. Da steckt oft auch dahinter, dass Männer sich in ihrem Status bedroht fühlen. Da gibt es starke Fälle von Diskriminierung. Politisch motivierte Gruppen greifen gerade Frauen an, etwa weil sie bestimmte Positionen vertreten, die sie bekämpfen wollen.
Andreas Zick Andreas Zick ist Professor für Sozialisation und Konfliktforschung und leitet seit 2013 das Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung (IKG) an der Universität Bielefeld. Das IKG erforscht politisch und gesellschaftlich relevante Konflikte und Gewalt sowie deren Folgen für den sozialen Zusammenhalt und Demokratie. Zick ist zudem Autor mehrere Bücher zu Themen wie Rechtsextremismus oder Hate Speech.
Haben Sie dafür ein Beispiel?
Es hat sehr aggressive Auseinandersetzungen gegeben, als Annalena Baerbock und weitere Ministerinnen den Vorschlag zur feministischen Außenpolitik gemacht haben.
Wir haben mittlerweile in der Gesellschaft eine hochgradige Polarisierung und eine aufgeheizte Situation.
Das betrifft also vor allem bestimmte Positionen. Aber werden Frauen an sich häufiger angegriffen?
Insgesamt werden Frauen und Männer in der Politik ähnlich stark angegriffen. Aber wir haben ein Dunkelfeld. Also es gibt viele Fälle, von denen wir nicht wissen. Und wir wissen aus Studien, dass Frauen weniger Anzeigen stellen als Männer, weil es schwieriger wird für sie.
Wie sieht das bei anderen Berufsgruppen aus?
Bei Medienschaffenden, also Journalisten, da sehen wir deutlich, dass Frauen mehr Hass und mehr Angriffe erfahren. Das liegt an verbreiteten Typen, Vorurteilen und auch der Meinung, dass man Frauen leichter angreifen kann.
Kommt das aus einer bestimmten Richtung?
Bei den ideologisch motivierten Angriffen und Straftaten ist der Rechtsextremismus am stärksten vertreten. Andererseits: Die Politiker und Politikerinnen der AfD erfahren auch Angriffe von linken Aktionsgruppen. Wir haben aber mittlerweile in der Gesellschaft eine hochgradige Polarisierung und eine aufgeheizte Situation.
Stehen sich nur die zwei Seiten als zwei Pole gegenüber?
Nein, in der Corona-Pandemie habe sich neue aggressive Gruppen gebildet, wie verschwörungsorientierte Milieus. Sie sind nicht einfach in dieses klassische Rechts-Links-Schema einzuordnen. Wir verstehen rechtsextreme Gewalt und linksextreme Gewalt relativ gut, aber die gewaltbereiten ideologischen Milieus ändern sich auch. Zudem sickert die Gewalt doch tatsächlich auch immer stärker in der Mitte.
Was meinen Sie damit: Es sickert in die Mitte ein?
Ich denke, wir haben uns tatsächlich mit dem Phänomen der Radikalisierung der Mitte zu beschäftigen. In der Mitte der Gesellschaft hat die Billigung und Akzeptanz der Gewalt zugenommen. Das sind Bürgerinnen und Bürger, wie du und ich, die finden es legitim, dass Wut auch in Gewalt umschlägt, und dass Gewalt zur Durchsetzung der eigenen Interessen angewendet wird. Das zeigen auch die Daten. Menschen akzeptieren im Moment ein höheres Ausmaß an Gewalt und Aggression als vor Jahren.
Wie ist es dazu gekommen?
Zum einen unterschätzen Menschen die eigene Aggressionsbereitschaft. Viele Menschen, die im Netz Hasspostings abgeben, finden das harmlos. Viele sagen dann vor Gericht: Aber so habe ich das doch gar nicht gemeint. Zum anderen wird Gewalt gebremst durch Werte und Normen und der klaren Vorstellung, dass das Gewaltmonopol beim Staat liegt – bei allen hitzigen Konflikten. Und das ist heute nicht mehr so.
Wie zeigt sich das?
Das berichten Einsatzkräfte und Polizisten. Konflikte entzünden sich vor Ort und schlagen ganz schnell in Gewalt um. Weil die Bremsen, die es früher mal gab, fehlen. Das beschäftigt die Gesellschaft sehr. Wir sehen es in den Daten: Bevor sie Gewalt ausüben, brauchen sie eine bestimmte Gewaltbereitschaft. Wir haben zum Teil Auseinandersetzungen um politische Themen, die so aggressiv geführt werden, dass sie vor Ort überhaupt nicht mehr regulierbar sind.
Von wem wird das vor allem ausgeübt – Männern oder Frauen?
Gewalt ist auch in der Gesellschaft zum großen Teil männliche Gewalt. Und wenn Männer Gewalt ausüben, dann berufen sie sich auch zum Teil auf klassische Rollenbilder. Das wird sichtbar bei der Gewalt gegen andere, vermeintlich Schwächere.
Die Gewalt gegen Politikerinnen, die wir beobachten ist auch Teil einer Strategie.
Vermeintlich Schwächere?
Frauen sind stärker Opfer von Gewalt, weil Frauen sich sehr viel stärker um Gemeinwohl kümmern und auch sehr viel stärker für Minderheitenrechte einsetzen, als es andere tun. Das wird von bestimmten Ideologien auch als bedrohlich wahrgenommen.
Das heißt es gibt eine stärkere Polarisierung, eine höhere Akzeptanz von Gewalt – und die Gruppe, die "stereotypisch" am ehesten wieder Gemeinschaft schaffen könnte, wird genau deswegen angegriffen?
Ja, das ist tatsächlich so. Und die Gewalt gegen Politikerinnen, die wir beobachten ist auch Teil einer Strategie. Da geht es um Bedrohung und Einschüchterung. Und wenn diese Angriffe von rechts kommen, dann geht es ganz stark um klassische Männlichkeitsbilder.
Um das nochmal festzuhalten: Wir reden von verbaler Gewalt?
Genau. Ich glaube, wir müssen auch noch viel mehr zwischen Gewaltformen unterscheiden, wie der physischen und psychischen Gewalt. Wir haben ein großes Ausmaß auch an psychischer Gewalt. Denn wenn Politikerinnen im Alltag ständig Drohung erfahren, dann wissen wir aus der Forschung, dass diese Form der Aggression auch Schädigung erzeugt. Diese ist oft indirekt.
Das hat sich durch den Rückzug von Frau Magwas gezeigt.
Ja, aber wir brauchen viel mehr Analysen. Es spielen viel mehr Faktoren mit rein. Im Vorfeld werden schon Personen auserkoren, die man treffen möchte. Und gerade vor der Europawahl haben die hetzerischen Angriffe nochmal deutlich zugenommen.
Ist das auch bei den anstehenden Wahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen zu befürchten?
In den Ländern ist nach Zahlen der Landeskriminalämter die Gewalt gestiegen. Die Polarisierungen haben zugenommen. Also ja, und das wissen die Behörden. Tatsächlich beschäftigen uns die zunehmenden, hetzerischen Angriffe vor Wahlen bereits seit längerer Zeit. Das haben wir bereits 2011 in unseren Studien erstmals erfasst.
Was kann gegen solche Angriffe und die Folgen getan werden?
Prävention ist sehr wichtig und viel ernster zu nehmen. Wenn die Gewalt passiert ist, ist es schon zu spät. Diese Gewalt muss ins Hellfeld. Es gibt einige Meldeportale. Solche Taten müssen strafrechtlich stärker verfolgt werden. Es braucht aber auch universellere Prävention. Also tatsächlich eine Arbeit gegen traditionelle alte Männlichkeitsvorstellungen und sexistische Stereotype. Das ist nicht einfach.
Und wenn die Gewalt doch bereits passiert ist?
Im Nachhinein müssen wir uns fragen: Was hat bei Frau Magwas eigentlich im Umfeld an Maßnahmen gefehlt, damit sie nicht ihr Amt aufkündigt? Denn das ist ja ein massiver Schaden für die Demokratie – egal aus welcher Partei. Denn so hat letztendlich Bedrohung und Gewalt über die Demokratie gewonnen.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 24. Juli 2024 | 19:30 Uhr