Finanzieller Machtmissbrauch Was ökonomische Gewalt in und nach der Partnerschaft bedeutet

08. März 2024, 05:00 Uhr

Oft wird bei Gewalt in Beziehungen vor allem auf den körperlichen Aspekt geschaut. Doch durch wirtschaftliche Abhängigkeit kann ebenfalls viel Druck und Leid erzeugt werden: Eine Frau schildert uns ihre Geschichte und erzählt uns, dass sie und ihre beiden Kinder dies seit Jahren erfahren – und stehen nun vor dem finanziellen Ruin.

Das Loch in der Wand ist fast auf Kopfhöhe. "Er hat mich nur ganz kurz verfehlt, der Blumentopf", sagt Katharina aus Thüringen und blickt auf den faustgroßen Krater in der weißen Tapete – mitten in ihrem Schlafzimmer. Sie sagt: Das Loch stammt von ihrem Noch-Ehemann, entstanden nach einer alltäglichen Situation. Er sollte auf die Kinder aufpassen, im Haushalt mithelfen. "Das war für ihn eine Überforderung. Und ich habe es dann halt abends, wenn die Kinder im Bett waren, zu spüren bekommen, seine Wutausbrüche."

Auch wenn ich mich mal eingeschlossen habe in einem Raum, hat er die Tür eingetreten.

Katharina
Tür mit herausgebrochenem Schloß.
Die Schlafzimmertür habe ihr Noch-Ehemann eingetreten, erzählt Katharina. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Katharina ist nicht ihr richtiger Name. Sie möchte unerkannt bleiben zu ihrem Schutz und dem der Kinder. Sie war zwölf Jahre lang mit ihrem Mann zusammen. Solche Vorfälle habe es häufig gegeben. Sie zeigt ein Foto, wo das Schloss mitsamt Türklinke aus der Schlafzimmertür gebrochen ist. "Auch wenn ich mich mal eingeschlossen habe in einem Raum, hat er die Tür eingetreten", sagt sie.

Katharina erzählt von weiteren Vorfällen. Die Sicht ihres Mannes dazu kann nicht dargestellt werden, er hat auf die Anfrage von MDR Investigativ nicht geantwortet. Für ihn gilt die Unschuldsvermutung. Vor dreieinhalb Jahren haben sie sich getrennt, er zog aus. Katharina blieb im Haus. Die gemeinsamen Kinder leben seitdem komplett bei ihr, haben inzwischen keinen Umgang mehr mit dem Vater.

Die heute neun und zwölf Jahre alten Kinder lieben ihr Zuhause. Morgens kräht der Hahn. Vor einem Stall mit Maschendrahtzaun picken die Hühner in der durchgescharrten Erde. Daneben legen Wachteln ihre Eier und über den Hof rennt eine grau getigerte Katze. Doch es könnte sein, dass sie hier bald wegmüssen. "Für die Kinder, denke ich, ist es ein ganz großer Verlust", sagt Katharina. "Weil das Haus ist, egal, was darin passiert ist, ihr Ankerpunkt. Sie sind ja trotzdem seit der Trennung glücklich da drin."

Streit um Geld und Unterhalt

Nach der Trennung fing der Streit ums Geld an. Zunächst ging es um den Unterhalt für die Kinder. Den beantragte Katharina beim Kindesvater über das zuständige Jugendamt. Der selbständige Bauunternehmer fällt in Stufe Zwei der Düsseldorfer Tabelle, einer Leitlinie zur Bemessung von Kindesunterhalt. Darin wird nach Einkommen eingestuft, wie viel ein unterhaltspflichtiges Elternteil an den anderen für die gemeinsamen Kinder zahlen soll. Das Jugendamt stellte Unterhaltsurkunden aus. Demnach  war er verpflichtet, jeden Monat pro Kind damals rund 370 Euro an Katharina zu zahlen.

Laut Katharina hat er die beiden Unterhaltsurkunden unterschrieben, aber trotzdem nicht gezahlt. "Daraufhin habe ich beim Jugendamt eine Beistandschaft beantragt. Die haben praktisch seine beiden Konten gepfändet", sagt sie. Nach den Kontopfändungen sei der Unterhalt dann durch seine neue Lebenspartnerin an das Jugendamt überwiesen worden. Doch der Zeitpunkt habe variiert und Katharina das Geld deshalb teils erst am Ende des Monats bekommen. Auch dazu hat MDR Investigativ den Kindesvater befragt und hätte gerne seine Sicht der Dinge berücksichtigt, hat jedoch keine Antwort erhalten.

Im Dezember 2023 bekam Katharina einen Brief vom Jugendamt, in dem mitgeteilt wurde, dass ab Januar der Unterhalt aufgrund einer Anpassung der Düsseldorfer Tabelle steigt. "Aber mir werden jetzt ab sofort 20 Prozent vom Unterhalt abgezogen für Wohnkosten, die nicht ich als Mutter bezahle, sondern der Vater", sagt Katharina. Sie habe damit 250 Euro weniger pro Monat. "Da steht man erstmal da."

Für mich ist es einfach eine Verlängerung der Gewaltausübung. Der Vater versucht, mich mit aller Möglichkeit irgendwie kleinzuhalten.

Katharina

Der Vater hat dem Jugendamt gegenüber angegeben, dass er die Wohnkosten für die Kinder komplett bezahle. Daher hat das Amt den Unterhalt gekürzt. Für Katharina völlig unverständlich. Er sei zwar Eigentümer des Hauses, aber Holz und Öl für die Heizung bezahle sie allein, sowie auch Strom und alle Reparaturen. Das alles habe sie dem Jugendamt auch dargelegt. Sie sagt: "Für mich ist es einfach eine Verlängerung der Gewaltausübung. Der Vater versucht, mich mit aller Möglichkeit irgendwie kleinzuhalten, und im Endeffekt unterstützt ein Jugendamt diese Machtausübung."

Finanzieller Machtmissbrauch: Kein Einzelfall

MDR Investigativ hat beim zuständigen Jugendamt angefragt. Die Behörde äußert sich nicht zu dem Fall, verweist auf den Datenschutz. Katharina hat dem Amtsleiter einen Brief geschrieben, alle Fakten benannt. Das Haus wird wohl bald zwangsversteigert, den Kindern droht der Verlust ihres Zuhauses. Denn wie Katharina belegen kann, hat der Vater vor knapp zwei Jahren die Ratenzahlungen eingestellt. Beim Kauf habe sie mit ihm gemeinsam Kredite für das Haus aufgenommen, eine 50-Prozent-Regel bei der Abbezahlung vereinbart. Ins Grundbuch als Eigentümer eingetragen sei allerdings nur er. Sie kann die Zwangsversteigerung nicht abwenden, denn sie arbeitet aufgrund der Kinderbetreuung als Sachbearbeiterin nur in Teilzeit. "Ich habe keine Ersparnisse mehr, das hat die Bank ja schon alles", sagt Katharina. Ihr letztes Geld habe sie in den vergangenen Jahren in Reparaturen für das Haus und in die Kinder gesteckt.

Klassenfahrten für beide Kinder und spezielle Brillen für die sehbehinderte Tochter, kann sie nur mit Unterstützung ihrer Eltern zahlen. "Er hat mich finanziell ruiniert. Bei häuslicher Gewalt zählt immer nur: die blauen Flecken, also nur die körperliche Gewalt. Aber so wirtschaftliche, psychische Gewalt sieht keiner." Sie wisse, dass sie keine Kredite für ihn hätte aufnehmen sollen. "Aber ja, im Nachhinein ist man dann immer klüger."

Katharinas Noch-Ehemann und dessen Verhalten ist kein Einzelfall. Rund elf Prozent aller Frauen in Deutschland haben bereits wirtschaftliche Gewalt durch den Partner erfahren. Das geht aus einer EU-weiten Erhebung der Agentur für Grundrechte der Europäischen Union (FRA) hervor.

Diese Form von Gewalt hat System. Es ist eingebettet in das Misshandlungssystem bei häuslicher Gewalt.

Petra Brzank Professorin für Soziologie

"Wenn wir uns die Zahlen angucken, dann können wir davon ausgehen, dass das kein Einzelfall ist", sagt die Professorin für Soziologie an der Hochschule Nordhausen, Petra Brzank. "Diese Form von Gewalt hat System. Es ist eingebettet in das Misshandlungssystem bei häuslicher Gewalt." Der Gesundheitswissenschaftlerin ist es wichtig zu betonen, dass das kein Schicksal ist. Sie sieht eine gesellschaftliche Aufgabe: "Wir können alle dazu beitragen, dass grundsätzlich Gewalt in der Paarbeziehung vermindert wird oder verhindert wird."

Was kann eine Lösung sein?

Das Bundesjustizministerium unter Marco Buschmann (FDP) hat ein Eckpunktepapier zur Reform des Unterhaltsrechtes vorgelegt. Alleinerziehendenverbände wie die "Alltagsheld:innen" kritisieren: Damit würde ökonomische Gewalt nicht verhindert. Sie schlagen vor, die Zuständigkeit für den Kindesunterhalt vom Jugendamt ins Finanzamt zu verlagern. So würde bei Nicht-Zahlung automatisch die Zwangsvollstreckung drohen, ohne dass Unterhaltsempfangende darum kämpfen müssen.

Das Ministerium antwortet auf Anfrage: "Die […] Einbeziehung von Finanzämtern wäre aus Sicht des Bundesministeriums der Justiz nicht geeignet, die Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen zu verbessern. Länderfinanzverwaltungen […] haben keinerlei Befugnisse, regulierend in Privatrechtsstreitigkeiten einzugreifen oder gar Zahlungen zwischen Privaten zu überwachen."

Frau
Katharina sagt, dass ihr Noch-Ehemann sie finanziell ruiniert hat. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Katharina hat dem Jugendamt inzwischen die Beistandschaft gekündigt. Sie hat auf eigene Kosten eine Anwältin beauftragt zur Vollstreckung des vollen Unterhaltes gemäß bestehendem Titel. Ihre Eltern unterstützen sie dabei finanziell. Die Klärung des gemeinsamen Vermögens aus der Ehe liegt schon seit anderthalb Jahren beim Familiengericht.

Doch die Zwangsversteigerung soll bald stattfinden. Für Katharina ist das eine katastrophale Vorstellung; während sie in Richtung der untergehenden Sonne schaut, sagt sie: "Wir verlassen ja nicht nur ein Haus, sondern unser ganzes soziales Umfeld. Und es war immer mein Traum, der jetzt einfach von einem Menschen kaputt gemacht wird, einfach um Macht auszuüben."

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Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR exakt | 06. März 2024 | 20:15 Uhr

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