Fragen und Antworten Das bringt die Unterhaltsreform

10. September 2023, 09:07 Uhr

Die geplante Anpassung der Unterhaltszahlungen an Betreuungszeiten für gemeinsame Kinder ist umstritten: Sozialverbände warnen vor einer Schlechterstellung von Müttern. Welche praktischen Auswirkungen hat der Plan von Bundesjustizminister Marco Buschmann? Ein Grund für Unsicherheiten dürfte sein, dass noch Details zur Umsetzung fehlen. Es gibt lediglich ein Eckpunktepapier, im Gesetzgebungsverfahren sind Änderungen möglich.

MDR AKTUELL Mitarbeiter Andreas Sandig
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Wie viele Trennungsfamilien sind von der geplanten Änderung betroffen?

Das Bundesjustizministerium (BMJ) hat nach eigenen Angaben für die geplante Gesetzesänderung keine belastbare Datengrundlage, da Zahlen zu Unterhaltspflichten und Höhe der Zahlungen statistisch nicht erfasst werden. Das gilt auch für sogenannte asymmetrische Wechselmodelle, in denen ein unterhaltspflichtiger Elternteil (meist Väter) 20 bis gut 40 Prozent der Betreuung des gemeinsamen Kindes/der Kinder übernimmt. Auf genau diese Fälle ist das Gesetz zugeschnitten.

Die Gesetzesinitiative wird vor allem damit begründet, dass sich in den letzten Jahren die Betreuungsverhältnisse stark verändert hätten. Studien zeigten, dass sich immer mehr Väter wünschten, mehr Zeit mit ihren Kindern zu verbringen – ohne unbedingt das klassische Wechselmodell mit hälftiger Betreuung zu erreichen. Für die "klassischen" Betreuungsverhältnisse soll sich laut Eckpunktepapier vom BMJ nichts ändern. Die Reform schließe die gesetzliche Lücke für Betreuungsanteile von 29 bis 49 Prozent. Auch der steigende Anteil berufstätiger Mütter spielt eine Rolle. Das BMJ teilte auf Nachfrage von MDR AKTUELL mit: "Festzuhalten ist, dass sich die Zahl der erwerbstätigen Mütter seit 2010 von 69,3 Prozent auf 74,9 Prozent im Jahr 2020 erhöht hat."

Die Familienrechtlerin Eva Becker vom Deutschen Anwaltsverein begrüßt eine Neuregelung. Sie erläuterte MDR AKTUELL, das bislang geltende Unterhaltsgesetz sei überholt, weil es die Realitäten nicht abdecke. Es gehe von Vollbetreuung durch ein Elternteil oder ungefähr hälftiger Betreuung aus. Gerechnet wird dabei nach der sogenannten Düsseldorfer Tabelle mit Unterhaltszahlungen je nach Einkommen und Kinderzahl sowie deren Alter. Die Fälle dazwischen würden oft beim Jugendamt oder vor Gericht entschieden – je nach Richterin oder Richter oder auch Bundesland. Die geplante Anpassung mache die Unterhaltsberechnung transparenter und biete mehr Rechtssicherheit.

Wie berechtigt sind Befürchtungen, dass vor allem Mütter durch die Neuregelung finanziell schlechter gestellt werden könnten?

Dazu heißt es im Eckpunktepapier: "Wichtig ist uns außerdem, dass wir den Betreuungsunterhalt endlich gerechter gestalten. Die geltenden Regeln gehen oft zum Nachteil von unverheirateten Müttern mit niedrigem Einkommen. Auch das müssen wir ändern."

Doch auch bei (zumeist) Vätern soll eine relevante Betreuungsleistung finanziell anerkannt werden: "Richtig ist, dass es zu einer Reduzierung der Unterhaltszahlung des mitbetreuenden Elternteils kommen kann (…), wenn der Elternteil das Kind in einem erheblichen Umfang in seinem Haushalt betreut."

Um welche Summen geht es bei den Unterhaltsänderungen?

Bundesjustizminister Marco Buschmann führt in seinem Eckpunktepapier eine Beispielrechnung an, nach der die Unterhaltsleistung entsprechend Betreuungszeiten im Bereich 30 bis 49 Prozent angepasst werden soll:

Beispielrechnung Wenn sich eine Mutter mit einem Einkommen von 2.000 Euro zu 60 Prozent in die Erziehung einbringt, und ein Vater mit 4.000 Euro von der Betreuung 40 Prozent übernimmt, zahlt dieser Vater bisher einen Unterhalt von 500 Euro. Nach dem neuen Modell sind es nur noch etwas mehr als 400 Euro – also eine Differenz von gut 100 Euro.

Die Familienrechtlerin Becker erklärt MDR AKTUELL dazu, es gehe bei der Reform zur asymmetrischen Betreuung nicht in erster Linie um größere Änderungen beim Unterhalt. Die Jugendämter und Gerichte rechneten bei ihren Unterhaltsentscheidungen ähnlich. Das neue sei die transparente gesetzliche Regelung. Die Idee dazu reiche viele Jahre zurück, jetzt werde es endlich angepackt. Allerdings hätte sich Becker eine komplette Neuformel beim Unterhalt für Eltern gewünscht - entsprechend der Betreuungsleistung.

Maßgeblich sollen die Übernachtungen bei den Eltern sein. Wie wird das praktiziert und wie gerecht ist das?

Das Bundesjustizministerium teilte mit: Die Berechnung der Betreuungsanteile anhand der Übernachtungszahlen sei in der Fachwelt anerkannt und bilde die Leistung im Regelfall ab. Im Einzelfall, wie bei Nachtarbeit eines Betreuungsleistenden, könne eine angemessene Einordnung erfolgen.

Ziel der Neuregelung sei es gerade, für die Vielzahl der Fälle eine klare und nachvollziehbare Betreuungsleistung des miterziehenden Elternteils zu schaffen. Das BMJ erläutert: Die Eltern müssten dabei nicht jede Nacht einzeln erfassen oder gar protokollieren. Es gehe um eine Pauschale des Betreuungsanteils zwischen 30 und knapp 50 Prozent. Eine genauere Erfassung werde nur an den Grenzen zum Residenzmodell und zum 50/50-Wechselmodell nötig. In der Praxis werde bereits zumeist eine bestimmte Betreuungsregelung praktiziert oder durch das Jugendamt oder Gericht fixiert, auch für die Unterhaltsregelung.

Eine durch gerichtlichen Beschluss getroffene Unterhaltsregelung kann laut BMJ nur abgeändert werden, wenn durch die Änderung der Betreuungsanteile eine 'wesentliche' Veränderung eingetreten ist – meist ab etwa 10 Prozent. Bei Unterhaltstiteln müssen relevante Änderungen demnach nachgewiesen werden. Kleinere Änderungen der Betreuungszeit, z. B. wegen Krankheit, geänderter Arbeitszeit oder Freizeitbeschäftigungen oder Geburtstagsfeiern reichten in der Regel nicht. Daneben könnten Eltern einvernehmlich die Unterhaltszahlungen anpassen.

Beim Unterhalt soll zur 'Bestimmung angemessener Wohnkosten künftig auf das Wohngeldgesetz Bezug genommen werden'. Was heißt das konkret?

Zur Berechnung des sogenannten notwendigen Selbstbedarfs wird der Regelbedarf eines Erwachsenen zugrunde gelegt – dazu kommen pauschale Aufschläge, etwa für Versicherungen und bei einem Job als Erwerbsanreiz. Wie das BMJ dem MDR weiter erläutert, sind angemessene Wohnkosten hinzuzurechnen. Der Selbstbehalt beinhalte bereits eine Wohnkostenpauschale. Die Neuregelung sieht demnach vor, diese Pauschale entsprechend dem Wohngeldgesetz an regionale Unterschiede anzupassen.

Das bedeutet, einem unterhaltspflichtigen Vater in München bleibt von seinem Einkommen eine größere Summe für den Selbstbedarf, als einem Unterhaltsleistenden etwa in ländlichen Regionen Sachsen-Anhalts, da die Wohnkosten im Raum München deutlich höher sein dürften.

Gelten die Pläne auch für Adoptiveltern und gleichgeschlechtliche Elternteile?

Ja, heißt es dazu vom BMJ: "Gemäß § 1601 des Bürgerlichen Gesetzbuches sind Verwandte in gerader Linie einander zu Unterhalt verpflichtet. Hierbei spielt es keine Rolle, welches Geschlecht die Verwandten haben oder ob die Verwandtschaft durch Adoption begründet wurde. Maßgebend ist demnach alleine, dass eine Elternschaft im Sinne des BGB vorliegt."

MDR AKTUELL (ans)

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR AKTUELL | 07. September 2023 | 17:45 Uhr

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