Vater und Kind spielen zusammen.
Elternteile – zumeist Väter – sollen nach einer Trennung ab einem bestimmten Mitbetreuungsanteil ihrer Kinder finanziell entlastet werden. Bildrechte: IMAGO / imagebroker

Eckpunktepapier Buschmanns Unterhaltsreform: Soziale Schieflage und offene Fragen

13. September 2023, 10:44 Uhr

Bei der geplanten Neuregelung des Unterhaltsrechts für Eltern unter stärkerer Berücksichtigung der Betreuungszeiten kann es offenbar zur Benachteiligung von Kindern kommen. Es droht ein Gezerre um Betreuungszeiten – denn schon wenige Tage mehr oder weniger im Jahr könnten sich erheblich auf die Unterhaltssumme auswirken, wie auch ein höherer Selbstbehalt. Die Leipziger Familienrichterin Ulrike Baraniak befürchtet neue Bürokratie und sieht viele offene Fragen zur praktischen Umsetzung der Reform.

MDR AKTUELL Mitarbeiter Andreas Sandig
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Hintergrund: Alte Unterhaltsregelung muss modernisiert werden

Konsens besteht bei der Notwendigkeit, dass die jahrzehntealte Gesetzgebung zum Unterhalt modernisiert werden muss. Bei einer Trennung von Eltern wurde früher davon ausgegangen, dass das gemeinsame Kind bei einem Elternteil bleibt (Residenzmodell). Meist die Mutter musste dann ihr Arbeitsverhältnis ganz oder teilweise aufgeben. Daraus ergibt sich ein Unterhaltsanspruch ans andere Elternteil (meist der Vater) entsprechend seinem Einkommen sowie Zahl und Alter der Kinder. Doch heutzutage betreuen auch viele getrennt lebende Väter ihre Kinder, hauptbetreuende Mütter haben Jobs und es gibt immer mehr Patchwork-Familien, die die Betreuung aufteilen.

Komplizierte Ausgangslage beim Unterhaltsrecht

Das Bürgerliche Gesetzbuch BGB gibt nur einen Rahmen für den Unterhalt vor. Bei nahezu vollständiger Betreuung von Kindern durch ein Elternteil ist die Rechnung relativ einfach, bei annähernder 50/50-Betreuung wird die Mitbetreuung voll angerechnet. Doch es gibt dafür keine bundeseinheitliche Gesetzgebung, sondern das wird über die sogenannte Düsseldorfer Tabelle geregelt und gegebenenfalls gerichtlich je nach Einzelfall entschieden. Dabei kann durch eine Mitbetreuung die Unterhaltssumme gesenkt werden. Aber grundsätzlich macht das Gesetz bislang keinen Unterschied: Betreut ein Elternteil das Kind nur an einem Wochenende, eine Woche oder zehn Tage im Monat – die Hauptbetreuungsleistung zählt und führt zum Unterhaltsanspruch.

Rechenbeispiele mit 4.000 Euro Nettoeinkommen

Die jahrzehntealte Unterhaltsregelung ist überholt, teils ungerecht und auch streitanfällig. Es fehlt eine klare gesetzliche Grundlage. Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) schlägt in einem Eckpunktepapier eine neue Formel vor, um inzwischen übliche Betreuungsanteile besser zu berücksichtigen. Erklärtes Ziel ist auch eine Motivation zur Aufteilung der Betreuung.

Das neue Modell wird mit Rechenbeispielen erläutert. Für Elternteil A wird in dem Beispiel ein Nettoeinkommen von 4.000 Euro angenommen, für Elternteil B von 2.000 Euro. A muss für ein sechsjähriges Kind nach bisheriger Regelung 558 Euro Unterhalt zahlen. Nach dem neuen Rechenmodell ergibt sich ab einer Betreuungsleistung von 30 bis 49 Prozent = 110 bis 179 Tage im Jahr, eine Summe von 427 Euro. B hätte somit etwa 130 Euro im Monat weniger im Portemonnaie.

Ein zweites Beispiel geht davon aus, dass das Einkommen von B unterhalb des Selbstbehalts von 1.650 Euro liegt. Dann müsste A allein aufkommen. Das neue Rechenmodell kommt auf eine Unterhaltsumme von 456 Euro statt bislang 558 Euro, auch hier eine Differenz für B – in der Regel die Mutter – von etwa 100 Euro.

Beide Einkommensbeispiele erscheinen willkürlich und wenig realistisch, gerade mit Blick auf die Durchschnittslöhne im Osten Deutschlands.

Rechenbeispiele bei geringeren Einkommen

Das im Eckpunktepapier aufgezeigte Rechenbeispiel erscheint zudem ungeeignet, um den gesetzgeberischen Handlungsbedarf zu belegen. Bei Nettoeinkommen von 4.000 Euro wird Betreuung bereits durch eine entsprechende Abstufung der Einkommensgruppe in der Düsseldorfer Tabelle berücksichtigt. Problematisch sind jedoch eher Fälle, wo bei geringem Lohn in der Einkommensgruppe 1 keine Abstufung möglich und der Mindestunterhalt nicht sichergestellt ist oder ein Wechselmodell praktiziert wird.

Adäquat zur Modellrechnung des Bundesjustizministeriums ergäbe sich für realistischere Nettoeinkommen der Eltern von jeweils 2.000 Euro und bei 30-prozentiger Betreuung eines sechsjährigen Kindes durch den Vater und 70 Prozent durch die Mutter folgende Rechnung:

  • Kindesbedarf gemäß beider Einkünfte von 4.000 Euro laut Düsseldorfer Tabelle: 683 Euro
  • Beim Abzug von pauschal 15 Prozent bleiben 581 Euro
  • Laut Berechnungsmethode (2.000 - 1.650 Euro Selbstbehalt) : (4.000 - 3.300 Gesamtselbstbehalt) ergibt als Haftungsanteil 0,5
  • 0,5 + 0,67 Betreuungsanteil ergibt 1,17; halbiert macht das 0,585
  • 0,585 x 581 Euro Kindesbedarf ergibt 340 Euro
  • 340 Euro abzüglich dem halben Kindergeld 125 Euro ergibt 215 Euro Unterhalt

Aktuell liegt der Mindestunterhalt bei 377 Euro für den Mitbetreuenden. Nach der neuen Regelung mit 15-Prozent-Pauschale und höherem Selbstbehalt wären es also nur noch 215 Euro. Wegen einem Prozentpunkt oder knapp vier Tagen im Jahr mehr Betreuung (30 statt 29 Prozent) müsste der ursprünglich allein barunterhaltsverpflichtete Elternteil also 162 Euro pro Monat weniger zahlen, aufs Gesamtjahr hochgerechnet sind das knapp 2.000 Euro.

Die hauptbetreuende Kindesmutter müsste letztlich neben ihrer überwiegenden Betreuungsleistung für den Ausgleich der Differenz sorgen, um den Mindestunterhalt des Kindes zu sichern. Sie müsste mehr arbeiten oder sich um einen Ausgleich durch Sozialleistungen bemühen – steuerfinanziert.

Pauschal-Entlastung wirft Fragen auf

Grundsätzlich problematisch scheint die geplante pauschale Entlastung beim Kinderbetreuungsanteil für alle Anteile von 30 bis 49 Prozent. Ein oder zehn oder 29 Prozent Betreuung im Jahr – also eine Spanne von vier bis etwa 106 Übernachtungen des Kindes – wird als geringfügig betrachtet und spielt unterhaltsmindernd keine Rolle. Das soll erst ab 30 Prozent Betreuung beginnen bis hin zu etwa 49 Prozent mit einer einheitlichen Entlastung um 33 Prozent. Auch das wäre eine relativ große Spanne von 110 bis 178 Tagen. Den anderen Sprung gibt es von 48 oder 49 Prozent hin zur paritätischen 50/50-Betreuung und entsprechender Halbierung der finanziellen Verantwortung. Vom Bundesjustizministerium heißt es dazu, in den Grenzbereichen müsse genauer hingeschaut und gerechnet werden.

Kritik: Stückwerk mit Streit- und Bürokratiepotenzial

Die Familienrichterin Ulrike Baraniak vom Amtsgericht Leipzig sieht grundsätzlich und in der praktischen Umsetzung der Buschmann-Reform eine Reihe an Problemen. Sie sagte MDR AKTUELL, die geplante gesetzliche Neuregelung sei Stückwerk und betreffe nur einen Teil der Unterhaltsproblematik. Vielmehr müsste das Kindesunterhaltsrecht insgesamt inklusive paritätischem Wechselmodell reformiert werden.

Die Familienrichterin erwartet künftig zusätzlichen Streit der Kindeseltern, ob 29 oder 30 Prozent bzw. 49 oder 50 Prozent Betreuung stattfindet. Damit werde die Frage des Umgangs ins Unterhaltsverfahren und umgekehrt getragen. Sie bezweifelt zudem, dass die aufgezeigten Prozentgrenzen im Alltag so genau festzulegen und praktizierbar sind. Denn ein Prozent von 365 Tagen im Jahr entsprechen 3,65 Tagen. Etwa vier Tage im Jahr mehr oder weniger Betreuung könnten also zu Unterhaltssprüngen führen.

Soziale Unwuchten zu Lasten von Müttern und Kindern?

Die Zugrundelegung des angemessenen Selbstbehalts von 1.650 Euro sieht Baraniak ebenfalls kritisch. Dann werde in vielen Fällen der Mindestunterhalt des Kindes mangels Leistungsfähigkeit des mitbetreuenden Elternteils nicht mehr gesichert sein. Das könnte dazu führen, dass bei geringem Einkommen das mitbetreuende Elternteil nicht mehr zahlen muss und gegebenenfalls die öffentliche Hand einspringen muss.

Baraniak stellt auch die pauschale Entlastung des Mitbetreuenden von 15 Prozent beim Bedarf in Frage, zumal beim paritätischen Wechselmodell von erhöhten Bedarfen des Kindes etwa im Hinblick auf Wohnbedarf ausgegangen werde. Fragwürdig sei auch, dass es bereits ab 30 Prozent Mitbetreuung nun eine beiderseitige Barunterhaltspflicht der Kindeseltern geben soll. Das werfe praktische Fragen auf: Wer zahle dann was: Kleidung, Schulsachen, Sportverein? Bisher muss der hauptbetreuende Elternteil diese Regelbedarfe tragen, bekommt aber auch grundsätzlich den Mindestunterhalt für das Kind und ist selbst nicht dem Kind gegenüber barunterhaltsverpflichtet.

Aus Sicht von Baraniak stellen die Pläne eine Abkehr von Paragraf 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB dar, nämlich der Gleichwertigkeit von Betreuungs- und Barunterhalt.

Geringverdienende mitbetreuende Elternteile müssten letztlich nahezu keinen Kindesunterhalt mehr leisten, was bedeutet, dass der Mindestbedarf des Kindes ohne ergänzende Sozialleistungen oder Ausgleich durch den hauptbetreuenden Elternteil nicht mehr gedeckt würde. Der Entwurf könnte damit tatsächlich zur Benachteiligung von Kindern führen.

Familienrichterin Ulrike Baraniak Amtsgericht Leipzig

Auch gehen die vom BMJ aufgezeigten Beispiele an der gerichtlichen Praxis vorbei. In einer Vielzahl der durch Gerichte zu entscheidenden Kindesunterhaltsverfahren wird – auch in Mitbetreuungsfällen – lediglich der Mindestunterhalt für das Kind begehrt. Zudem ist das Verhältnis zur Kindergrundsicherung ab 2025 unklar.

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 13. September 2023 | 11:00 Uhr

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